Wirtschaft:"Lenting puffert und pumpt für die Energieversorgung Mitteleuropas"

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Zahlreiche Raffinerien prägen das Bild in Ingolstadt - manche musste in den vergangenen Jahren Insolvenz anmelden. (Foto: dpa)
  • Vor 50 Jahren wurde die "Transalpine Ölleitung" zwischen Triest und Lenting in Betrieb genommen.
  • Das Öl wird an der Adria von Tankern gelöscht und über 465 Kilometer Rohre nach Oberbayern gepumpt.
  • Zahlreiche Raffinerien haben sich in der Region angesiedelt. Mit dem petrochemischen Industriezentrum entstanden viele Arbeitsplätze.

Von Maximilian Gerl, Ingolstadt

Weißer Stuck, Goldverzierungen, Kronleuchter. Im Hintergrund thront ein Gemälde des Prinzregenten über allem. Nichts im Spiegelsaal des Ingolstädter Kolpinghauses erinnert an Erdöl, und doch reden auf dieser Jubiläumsfeier am Donnerstag alle darüber. "Wir wissen, worauf unser Erfolg baut", sagt etwa Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU): "Auf der Mineralölindustrie." Und Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagt: "Lenting puffert und pumpt für die Energieversorgung Mitteleuropas. Die besten zentralen Mittelfeldspieler haben eben wir Bayern."

Gepuffert und gepumpt wird in Lenting jetzt schon seit 50 Jahren. Am 3. Oktober 1967 rauschten dort die ersten Liter Rohöl in ein Tanklager, den Endpunkt einer damals frischverlegten Pipeline, der Transalpinen Ölleitung (Tal). Ihr Bau galt in den Sechzigerjahren als eines der gewagtesten und ehrgeizigsten Projekte in Europa: 465 Kilometer Rohre mussten zwischen dem italienischen Triest und Lenting vergraben und dabei auch noch die Alpen überwunden werden. Seitdem deckt die Tal hundert Prozent des bayerischen Rohölbedarfs.

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In Ingolstadt sehen sich die Politik- und Wirtschaftsvertreter für die Risikobereitschaft ihrer Vorgänger belohnt. Und für deren Weitblick. Die Tal lieferte damals den bayernweit benötigten Treibstoff für Industrie, Haushalte und Verkehr, sagte Seehofer. Gerade der Raum Ingolstadt profitierte von der neuen Pipeline, schnell entstanden ein petrochemisches Industriezentrum und Arbeitsplätze.

Der damalige Wirtschaftsminister Otto Schedl (CSU) sagte: "Wer jetzt und heute von Ingolstadt spricht, meint Öl." Lentings Bürgermeister Franz Binder bekam bald den Spitznamen "Ölscheich" verpasst, weil mit dem Öl auch die Gewerbeeinnahmen sprudelten.

Im 21. Jahrhundert gilt Öl mehr als Fluch denn als Segen: Es ist nötig wie eh und je, etwa als Rohstoff für Kunststoffe, Lacke und Medikamente; zugleich gilt die Förderung und Verbrennung fossiler Energieträger als Klimakiller, havarierte Tanker, Bohrplattformen und lecke Leitungen haben zu Umweltschäden in Milliardenhöhe geführt.

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465 Kilometer Rohre wurden für die Pipeline zwischen Adria und Oberbayern vergraben - und dabei musste man auch noch die Alpen überwinden.

Die Zukunft aber soll dem Elektromotor gehören. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren deckte Bayern seinen Energiebedarf vor allem mit Kohle und Rohöl, das aus den deutschen Seehäfen per Laster oder Zug angeliefert wurde. Das war teuer und gefährdete den Wandel zum Industriestandort. Die Lösung von Schedl und Ministerpräsident Alfons Goppel: Raffinerien nach Bayern locken und mit einer Pipeline aus dem Süden versorgen.

Ingolstadt bot sich wegen seiner zentralen Lage an, Triest wegen seines Hafens. Tanker, die dort ihre Ladung aus dem Nahen Osten löschen, können sich den Weg an die Nordseeküste sparen - und damit Geld. 1964 begannen die Bauarbeiten im Schnee. 160 Flüsse und Bäche mussten unterquert werden, 154 Straßen und 26 Eisenbahntrassen. Für Gebirgspässe wie den Felbertauern wurden Tunnel und Pumpstationen gebaut. Das Ganze kostete 192 Millionen US-Dollar, damals eine ordentliche Summe, die nur zusammenkam, weil außer Ölkonzernen auch 83 Banken investierten.

Anfangs dauerte die Pipeline-Reise des Öls Wochen. Heute sind es drei Tage. Insgesamt 1,4 Milliarden Tonnen Rohöl habe die Tal bisher nach Ingolstadt transportiert, rechnet Lösel vor. "Das sind fast 20 000 Öltanker, die in Triest entladen werden mussten." Trotzdem hat die Tal für Bayerns Wohlstand inzwischen an Bedeutung verloren, in Ingolstadt etwa beliefert sie nur noch eine Raffinerie. Vielleicht fließt das Öl deshalb fast unbemerkt durchs Land, meist zwischen anderthalb und drei Metern unter der Erde.

Bei Kiefersfelden passiert die Tal die Grenze, folgt dem Inn nach Rosenheim und weiter gen Ingolstadt. Unterwegs gibt es ein paar Abzweigungen. Eine führt bei Steinhöring (Landkreis Ebersberg) zur OMV-Raffinerie Burghausen. Von Lenting aus versorgt eine Verlängerung einen Chemiepark in Karlsruhe, eine andere die Bayernoil-Raffinerie in Neustadt. Es ist ein kompliziertes Geflecht.

An eine oberirdische Alternative will trotzdem niemand denken. 2016 transportierte die Tal mit 41,4 Millionen Tonnen Rohöl so viel wie noch nie in einem Jahr. Für die Menge müssten etwa 10 000 Tanklaster täglich über den Brennerpass fahren: logistisch unmöglich, wegen der Abgase ein Umweltdesaster, zu teuer sowieso.

Die Tal wird von drei Ländergemeinschaften in Deutschland, Österreich und Italien betrieben, dahinter stehen wiederum Ölkonzerne wie Shell, BP oder Exxon Mobile. Der TÜV Süd nimmt die Anlage ab. Natürlich gebe es nach 50 Jahren Abnutzungserscheinungen, sagt dessen Geschäftsführer Ferdinand Neuwieser, möglichen Rissen komme man aber schnell zuvor: mit sogenannten Molchen, kleinen Messgeräten, die mit dem Öl durch die Rohre rauschten und Tausende Daten über "die Integrität der Pipeline" sammelten.

Erdöl ist heute kaum weniger wichtig als vor 50 Jahren, viele Unternehmen benötigen es weiterhin, allen Diskussionen zum Trotz. Seehofer bekräftigt, mit ihm sei jedenfalls ein Verbot von Dieselmotoren nicht zu machen. "Ich will nicht das Experiment eingehen, was das für die Wirtschaft bedeuten würde."

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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