Landtagswahl:Wie zwei Einwandererkinder Karriere in der Politik machen

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Sie haben viel gemein und pflegen Unterschiede: Die Brüder Halil Tasdelen (links) und Arif Taşdelen. (Foto: www.roggenthin.de)

Arif Taşdelen sitzt schon für die SPD im Landtag, sein Bruder Halil könnte bald folgen.

Von Claudia Henzler und Olaf Przybilla

Freunde leiser Töne und des Understatements tun sich womöglich erst mal schwer mit dem Kandidaten Halil Tasdelen, so groß sind die Energie und das fröhliche Selbstbewusstsein, mit denen sich der 45-Jährige in seinem ersten Landtagswahlkampf präsentiert. Er will es seinem Bruder Arif gleichtun und ins Maximilianeum einziehen - als zweiter Parlamentarier mit türkischen Wurzeln überhaupt.

Dass dies gelingt, ist von Platz 5 der oberfränkischen SPD-Liste aus allerdings keine Selbstverständlichkeit. 2013 holten die Sozialdemokraten in dem Regierungsbezirk gerade mal drei Mandate. Und seitdem haben sich die Aussichten der Partei ja nicht gerade verbessert. Kandidat Tasdelen versucht deshalb, in Bayreuth omnipräsent zu sein und parallel in ganz Oberfranken um Zweitstimmen zu werben. Er ließ in der Stadt schon Großplakate aufstellen und ein Riesenfoto von sich auf sein Wahlkampfmobil kleben, als die Konkurrenten "noch geschlafen haben", wie er amüsiert feststellt.

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Tasdelen verteilte Wasserbälle vor Schwimmbädern, besuchte unzählige Feste und will noch an so vielen Haustüren klingeln wie irgend möglich. Mit dem Plakatierungseifer ist er zuletzt allerdings ein wenig übers Ziel hinaus geschossen. Er und sein Wahlkampfteam hatten offenbar gedacht, man dürfe in der Stadt je hundert Plakate des Landtags- und der Bezirkstagskandidatin aufhängen. Tatsächlich waren aber insgesamt nur hundert erlaubt. Also rückte Tasdelen mit seinen Helfern noch einmal aus, um einen Teil wieder zu entfernen. Auf Facebook postete er danach ein Bild der Aktion, das ihn in orangefarbener Warnweste beim Überkleben zeigt. Kommentar: "Fehler passieren."

"Engagiert" ist ein Wort, das vielen einfällt, wenn man sie nach Halil Tasdelen fragt, "authentisch" ein anderes. Besonders häufig wird er als "Paradebeispiel für Integration" bezeichnet. Auch politische Konkurrenten sprechen respektvoll davon, wie sich jemand, der mit neun Jahren aus Südostanatolien nach Deutschland kam und mit sechs Geschwistern in kleinen Verhältnissen aufwuchs, so weit hochgearbeitet hat: Vom Gleisbauer bei der Deutschen Bahn über die Fachhochschulreife zum staatlich geprüften Bautechniker. Heute ist Tasdelen Personalreferent einer großen Baufirma in Bayreuth.

Und während sich der 17-jährige Halil noch schwer vorstellen konnte, seinen Pass einzutauschen, ist es für den Erwachsenen schon lange keine Frage mehr, dass Bayreuth seine Heimat und Deutschland "sein Land" ist. Und das, ohne dass er seine türkische Herkunft oder seinen muslimischen Glauben verstecken müsste. Tasdelen spielt Fußball, engagiert sich in diversen Vereinen und trägt seit 2008 in Bayreuth als Stadtrat Verantwortung. Dafür zeigten ihm die Wähler bei der Stadtratswahl 2014 ihre Anerkennung, als sie ihn zum Häufelkönig der Genossen machten. Und die wählten ihn dann 2015 zum Vorsitzenden der Bayreuther SPD.

Einen Konkurrenzkampf mit dem Bruder gibt es nicht

Zur Authentizität gehört, dass Tasdelen schon mal sagt, dass ihn etwas "ankotzt". Noch lieber betont er aber, "dass wir einen geilen Sozialstaat haben". Wobei ihm als SPD-Kandidaten natürlich einige Dinge einfallen, die man in Bayern besser machen könnte. Mehr Bildungschancen für Kinder aus armen Familien zum Beispiel, mehr bezahlbare Wohnungen.

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Einen Konkurrenzkampf mit dem ein Jahr jüngeren Bruder gebe es nicht, sagt Halil Tasdelen. "Ich bin stolz auf ihn." Als er damals im Radio gehört hat, dass Arif tatsächlich in den Landtag gewählt wurde, da habe er anhalten müssen, weil er vor Freude weinte. Wenn es nach Halil gegangen wäre, wäre er allerdings vor sechs Jahren ebenfalls schon auf dem Stimmzettel gestanden. Ziemlich frech war er 2012 bei der parteiinternen Nominierung gegen den altgedienten SPD-Abgeordneten Christoph Rabenstein angetreten. Er verlor zwar, holte aber respektable 37 Prozent. Nun zieht sich Rabenstein mit 66 Jahren zurück und unterstützt den Nachfolger, so sagt er, aus vollem Herzen. "Der Halil ist ein Kandidat, der wirklich Gutes bewirken kann", preist er Tasdelen. "Er ist ein Kandidat, der aus dem Volk kommt, der Berufserfahrung hat und Lebenserfahrung."

Es gab Zeiten, da hatte die CSU im Stimmkreis Nürnberg-Nord keine Chance. Wer Michael Brückner vor der Landtagswahl 2013 darauf ansprach, auf die historischen Siegeszüge der Sozialdemokratin Renate Schmidt, dem beschied der damalige CSU-Kandidat, dies sei eine Zeit der "Trauer und Resignation" für die CSU gewesen. So tief saß der Stachel. 2013 trat also der Landwirt Brückner an und galt als klarer Favorit gegen den SPD-Mann Arif Taşdelen, der zu der Zeit noch wenig bekannt war. Trotzdem wurde es knapp: 34 Prozent für Brückner, 31 für Taşdelen. Das allein würde reichen, um zu wissen, dass der Stimmkreis auch diesmal keine ausgemachte Sache ist für die CSU.

Ein paar weitere Tatsachen mögen das freilich noch deutlich erhärten. Da ist die Beobachtung, dass Nürnberg-Nord nicht nur das Sorgenkind der CSU ist, sondern zuletzt geradezu von einem Fluch heimgesucht zu sein schien. Und das, nachdem Günther Beckstein den Stimmkreis in der Post-Renate-Schmidt-Ära für die CSU erobert hatte und als dienstältester Innenminister Europas als quasi unanfechtbar galt. Jedenfalls bis 2008, bis er als Ministerpräsident von Nürnberg-Nord aus in die Landtagswahl zog.

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Die CSU bekam damals 43,4 Prozent, ein Ergebnis, für das die CSU den zweiten bayerischen Ministerpräsidenten aus Nürnberg, Markus Söder, diesmal wohl sofort zum Parteichef auf Lebenszeit ernennen würde. Beckstein aber musste gehen, er trat als Regierungschef zurück und ließ es als Abgeordneter in Nürnberg-Nord austrudeln. Womit der Tiefpunkt der CSU aber noch lange nicht erreicht war.

2013 wollte die CSU zunächst mit einem Juristen in die Wahl ziehen, das klappte nicht, der hoffnungsvolle Bewerber musste einer privaten Malaise wegen zurückziehen. Also sprang kurzfristig Brückner ein, der Landwirt aus dem Knoblauchsland. Wie gesagt: Brückner besiegte Taşdelen knapp, musste aber 2016 von allen Ämtern zurücktreten. Er gestand, bezahlten Sex mit einer Minderjährigen gehabt zu haben. Die CSU brauchte schon wieder einen Bewerber, den dritten seit Beckstein.

Es wurde dann eine Bewerberin, die Seminarrektorin Barbara Regitz, 60, die seit 22 Jahren die CSU im Stadtrat vertritt und sich dort um Bildungspolitik kümmert. Über die alten Geschichten seit Beckstein mag sie nicht reden, sie fühle sich mit ihrer Erfahrung "ganz klar stark genug", um den Stimmkreis zu gewinnen. Auch wenn sie natürlich um die Klippen weiß. Es gibt Ecken im Stadtteil Gostenhof, da muss die CSU bei Wahlen ernsthaft darum kämpfen, ein zweistelliges Ergebnis einzufahren. Die Linke ist da stärkste Partei.

Immer im Stimmkreis unterwegs

Das weiß auch Arif Taşdelen, 44, der 2013 zwar nicht das Direktmandat errang, aber einen so fiebrigen Häuserwahlkampf hinlegte, dass er auf der mittelfränkischen Liste von ziemlich weit hinten, Platz zwölf, nach vorne in den Landtag gewählt wurde. Seither beackert der SPD-Häufelkönig seinen Stimmkreis, keine Kerwa ist vor ihm sicher, manchmal glaubt man, der Mann hat einen Doppelgänger.

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Dass er Wurzeln in der Türkei hat, das sei sein großer Nachteil, haben 2013 viele in der SPD geglaubt. Ihm sei es aber gelungen, seine Lebensgeschichte - er kam mit acht Jahren im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland - "zu einem Vorteil zu machen", sagt Taşdelen. Auch würden ihn die Leute jetzt viel besser kennen als vor fünf Jahren. Taşdelen ist sicher: Das Direktmandat trotz aller SPD-Widrigkeiten zu gewinnen, das ist "sehr, sehr gut möglich".

Der Grünen-Abgeordnete Markus Ganserer, 41, nimmt das "zur Kenntnis". Er ist weder so euphorisch wie Taşdelen, noch gilt er als notorischer Charismatiker. Auch hätte man ein Direktmandat für die Grünen in der historischen Arbeiterstadt Nürnberg vor nicht allzu langer Zeit für einen Witz gehalten. Aber Ganserer weiß, dass es in den urbanen Vierteln nördlich der Burg inzwischen Straßen gibt, in denen die Grünen den anderen Parteien weit enteilt sind. Und er weiß, dass im Knoblauchsland - dort, wo der Landwirt Brückner viele Stimmen gesammelt hat - längst nicht mehr so sehr mit den Grünen gefremdelt wird wie noch vor ein paar Jahren. Womöglich also sogar ein grünes Direktmandat in Nürnberg? Das wäre tatsächlich eine Sensation.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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