Weltgenusserbe:Gepriesen sei das Sauerkraut

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Das Interesse an regionalen Spezialitäten ist den den vergangenen Jahren stark angestiegen. (Foto: dpa-tmn)

Würstl, Leberkäs und Ochsengurgel: Bayerns Spezialitäten leiden bei Feinschmeckern unter ihrem rustikalen Ruf. Das will die Staatsregierung nun ändern.

Von Franz Kotteder

Manchmal kann Leidenschaft ganz schön anstrengend sein, die Leidenschaft für besondere Lebensmittel zum Beispiel. Da hat man etwa jene oberbayerische Spezialität, die vom Aussterben bedroht ist, die schwarze Rübe. Eigentlich ein klassischer Fall für die "Arche des Geschmacks" von Slow Food. Diese internationale Genießervereinigung hat es sich zum Ziel gesetzt, regionale Lebensmittel zu bewahren und zu fördern.

Bevor aber nun so eine Besonderheit in die "Arche" aufgenommen wird, läuft ein kompliziertes Verfahren ab; es wird über viele Monate hinweg - beinahe möchte man sagen: furchtbar umständlich - geprüft, ob der Kandidat es überhaupt wert ist, vor dem Aussterben bewahrt zu werden. Und das Ergebnis all der Liebesmüh? Die schwarze Rübe war es am Ende nicht. "Wir haben die Rübe schließlich zusammen verkostet", sagt der Slow-Food-Funktionär Rupert Ebner, "und mussten leider feststellen: Die ginge eigentlich niemandem ab."

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Wie gut, dass man das offenbar nicht von vielen bayerischen Spezialitäten sagen muss. Das bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat sogar eine Datenbank aufgebaut ( www.spezialitaetenland-bayern.de), die nicht weniger als 250 regionale Delikatessen auflistet und beschreibt. Vor 15 Jahren wurde damit begonnen, "eine rechte Fitzelarbeit beinahe schon über Jahrzehnte hinweg", sagt Richard Balling, Professor für Marketing und Konsumforschung an der TU München und zugleich Leiter des Referats Markt und Qualitätspolitik im Ministerium.

Die dort erfassten Lebensmittel müssen immer seit mindestens 50 Jahren in einer bayerischen Region hergestellt oder angebaut werden, sie müssen eine Beziehung zur Region haben und vom Verbraucher als typisch bayerisch oder typisch für die Region eingestuft werden. "Das kann dann die Agnes-Bernauer-Torte oder die Prinzregententorte sein", sagt Balling, "oder auch das Garmischer Steinschaf, der blaue Silvaner oder der Bamberger Knoblauch."

Das Interesse an regionalen Besonderheiten ist jedenfalls stark angestiegen in den vergangenen Jahren, konstatiert auch Balling. Zwar bemüht sich seine Behörde schon seit mehr als 30 Jahren mit recht ordentlichem Erfolg, die Erzeugnisse der heimischen Landwirtschaft und Lebensmittelproduzenten unter dem Signum "Spezialitäten aus Bayern" unters deutsche Konsumentenvolk zu bringen.

Aber erst in den vergangenen Jahren und besonders seit dem Amtsantritt des Landwirtschaftsministers Helmut Brunner (CSU) nahm die Kampagne so richtig Fahrt auf. Gerade erst war er in Rom, um dort für weißblaue Spezialitäten zu werben, weil Italien das "mit Abstand wichtigste Exportland für bayerische Lebensmittel" sei. Allein im vergangenen Jahr lag der Ausfuhrwert bei 1,6 Milliarden Euro. Beliebt ist dort besonders Käse aus Bayern.

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Daran merkt man schon, dass es nicht nur um kulinarische Traditionspflege, sondern gerade auch um den wirtschaftlichen Ertrag geht. Fraglos haben es andere Länder in ganz Europa viel besser verstanden, ihre regionalen Erzeugnisse mit einem positiven Image zu besetzen und weltweit zu vermarkten - von den Austern der Atlantikküste über den Champagner bis hin zum Parmesan oder dem Albatrüffel (der längst nicht mehr aus Alba kommt).

Da sieht es mit Delikatessen aus Deutschland, mal abgesehen vom weltbekannten Sauerkraut, doch eher trübe aus. Ob aber Blaue Zipfel, Dinkelsbühler Karpfen, Pfennigmuckerln oder die unterfränkische Röhrlesbirne tatsächlich das Zeug zum internationalen Auftritt haben?

Muss auch gar nicht sein, findet Ministerialrat Balling. "Bayern ist im Rest Deutschlands gut bekannt für seine Lebensmittel", weiß er, "wir sind das Bundesland mit den meisten Spezialitäten." Da habe sich die gezielte Förderung schon ausgezahlt. Und es ist ja wahr: Welche Bilder bleiben zum Beispiel vom G-7-Gipfel im bayerischen Elmau im Gedächtnis?

Sicher das von Barack Obama mit Weißbier und Weißwürsten. Und das Oktoberfest ist sowieso eine weltweite Werbeplattform für Bier und Hendl aus weißblauen Gefilden. Wenn's ums Bodenständige und den eher rustikalen Genuss geht, traut man den Bayern eine gewisse Grundkompetenz schon zu.

Freilich: Nichts gegen eine saftige Leberkässemmel - aber eine Pâté de foie gras ist schon noch was anderes aus Sicht eines Gourmets. Das, so darf man ruhig vermuten, wurmt einen wie den Minister Helmut Brunner dann doch, und nicht nur ihn. Brunner hat im Januar auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin seine neue "Premiumstrategie" kurz vorgestellt, in der recht folkloristisch ausgestalteten Bayern-Halle vor einem riesigen Gebirgspanorama, vor dem sonst Schuhplattler und Goaßlschnalzer ein Bild vom Freistaat verbreiten, wie es der Preuße halt so vom Fremdenverkehrsabend aus dem Skihotel kennt.

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Die Premiumstrategie aber will "Bayerns Top-Spezialitäten" stärker ins Bewusstsein rücken, mit Hilfe von "100 Genussorten", mit einer eigenen "Genussakademie", die in Kulmbach entstehen soll, und mit der Schaffung neuer Wertschöpfungsketten für besonders hochwertige Produkte. Brunner spricht da von "regionalen Schätzen", die man heben wolle.

Viele von ihnen sind allerdings längst gehoben. Der Schrobenhauser Spargel etwa gilt schon lange als Delikatesse, und auch das Image der Nürnberger Rostbratwurst ist ja eigentlich tadellos. Pfunde, mit denen man wuchern kann. Schon vor acht Jahren hat man im Ministerium den Begriff "Weltgenusserbe Bayern" erfunden, der gleich zweimal für Kampagnen mit Unterstützung der Europäischen Union verwendet wurde. Für diese Kampagnen traten dann sogenannte Genussbotschafter auf den Plan - überhaupt ist nicht nur bei diesem Werbefeldzug so viel von "Genuss" die Rede, dass man zwischendrin ganz einfach nur mal essen möchte.

Einer dieser Botschafter ist auch Bayerns einziger Drei-Sterne-Koch, Christian Jürgens vom Seehotel Überfahrt in Rottach-Egern. "Die Basis hoher Qualität ist immer das Produkt", sagt er ganz demütig, "durch Zubereitung kann man das Produkt nur verhunzen, besser machen kann man es nicht." Da untertreibt er freilich schon ein bisschen. Für die Aktion "Weltgenusserbe" hat er zum Beispiel ein "Casoulet Deluxe" gekocht, und das raffinierte Zusammenspiel von Spargel, Morcheln, Allgäuer Emmentaler und Sherry wäre ohne seine Mitwirkung sicher längst nicht so schmackhaft.

Zwischen Schnauze und Schwanz

Aber im Grunde hat Jürgens natürlich recht, und tatsächlich gibt es neben dem handelsüblichen Einerlei an Lebensmitteln, das ein gewöhnlicher Supermarkt so bietet, doch noch allerhand Nischen. Auch beim Fleisch, obwohl inzwischen ja auch in Bayern die Massentierhaltung langsam um sich greift.

Aber es werden ja auch Rassen wiederentdeckt, etwa beim Rind - es muss nicht immer Simmentaler sein, die am weitesten verbreitete Rasse. Jürgen Lochbihler, auch so ein "Genussbotschafter", hat zum Beispiel auf seinem Hof das Murnau-Werdenfelser Rind gezielt wieder gezüchtet, nachdem es fast ausgestorben war.

Heute verkauft er das Fleisch unter anderem in seinem Münchner Wirtshaus "Der Pschorr" am Viktualienmarkt. Und zwar "from nose to tail", wie heutzutage auch der Bayer sagt, also in fast all seinen Erscheinungsformen zwischen Schnauze und Schwanz. Das war früher völlig normal. Die Gerichte, die daraus entstehen, sind heute weitgehend vergessen, weil alle Welt nur noch Steaks will.

Lochbihler ist übrigens auch für Slow Food aktiv, in seinem Wirtshaus gibt es selbstverständlich auch Münchner Brotzeitsemmeln und Ismaninger Kraut - zwei weitere Spezialitäten, die in die "Arche des Geschmacks" aufgenommen wurde. Es werden noch mehr, denn das Interesse wächst. Aktuell denkt Rudolf Böhler von Slow Food gerade über "die Bries-Milzwurst und den Bier-Radi" nach. Der Stoff wird seinem Arche-Arbeitskreis nicht ausgehen, sagt er: "Es gibt noch viele Spezialitäten, die zu retten sind."

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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