Natur in Bayern:Borkenkäfer-Alarm in Bayerns Wäldern

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Der Borkenkäfer ist eine große Gefahr für die Fichtenwälder in Bayern. Hier ein abgestorbenes Waldstück bei Schönberg im Bayerischen Wald. (Foto: Sebastian Beck)

Wegen des sommerlichen Wetters sind die Fichtenschädlinge ungewöhnlich früh ausgeschwärmt. Sollte es bei den milden Temperaturen bleiben, droht den Waldbesitzern ein schlimmes Jahr. Zumal die Population, die aus dem Vorjahr überwintert hat, sehr groß ist.

Von Christian Sebald

Der Ton ist wissenschaftlich zurückhaltend, aber die Botschaft ist höchst alarmierend: "Die hohen Temperaturen führten dazu, dass es auch die Fichtenborkenkäfer nicht mehr unter der Rinde aushalten und zu schwärmen beginnen", schreiben die Wissenschaftler der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) in ihrem aktuellen Borkenkäfer-Newsletter im Internet. "Aus zahlreichen Regionen Bayerns erhalten wir Meldungen von hohen Anflugzahlen des Buchdruckers." In der ersten Aprilwoche habe man in etlichen Fallen, mit denen die LWF das Geschehen an der Borkenkäfer-Front überwacht, bereits mehr als tausend Käfer gefangen. An vereinzelten Standorten, vor allem im Frankenwald, waren es sogar mehr als 3000. Für gewöhnlich werden solche Werte Anfang Mai erreicht. Das bedeutet: Dieses Jahr könnte schlimm werden, sehr schlimm für viele Waldbesitzer. Überall in Bayern ist der Borkenkäfer auf dem Vormarsch.

Forstministerin Michaela Kaniber (CSU), die für die Bekämpfung des Schädlings zuständig ist, ist in großer Sorge. "Mich beunruhigt, dass unser Monitoring schon jetzt hohe Käferdichten vor allem im Norden und Osten Bayerns zeigt", sagt sie. "Vorsicht ist das Gebot der Stunde. Ich appelliere eindringlich an alle Waldbesitzer, jetzt im Frühjahr ihre Fichtenbestände intensiv zu kontrollieren." Befallene Bäume müssten sofort gefällt und aus den Wäldern geholt werden. Man erkennt sie an dem Bohrmehl am Fuß der Fichten, das herabfällt, wenn sich die Käfer in den Baum einbohren. Außerdem fordert Kaniber die Waldbesitzer auf, Schneebruch aus dem zurückliegenden Winter und alte Sturmschäden in ihren Forsten sofort aufzuarbeiten, da sie optimale Bedingungen für die rasante Ausbreitung des Schädlings darstellen.

Der Vorsitzende des bayerischen Waldbesitzerverbands, Josef Ziegler, zeigt sich ebenfalls alarmiert. "Wir müssen damit rechnen, dass früher oder später der gesamte nordostbayerische Mittelgebirgsbogen vom Borkenkäfer überrollt wird", sagt er. "Ausgehend vom Frankenwald, wo es jetzt schon gigantische Kahlflächen gibt, über das Fichtelgebirge, den Steinwald und den Oberpfälzer Wald bis zum Bayerischen Wald." Aber auch im Hügelland südlich der Donau, in der Schotterebene rund um München und im nördlichen Alpenvorland sollten sich die Waldbesitzer vorsehen.

Aufräumarbeiten in einem Fichtenwald nahe München, der von Schneebruch und danach vom Borkenkäfer geschädigt worden ist. (Foto: Florian Peljak)

Die Borkenkäfer, wie Buchdrucker und Kupferstecher landauf landab von Waldbesitzern und Förstern zusammenfassend genannt werden, sind die wohl schlimmsten Waldschädlinge hierzulande. Die beiden nur wenige Millimeter winzigen Käferarten gehen auf die Fichte, die als "Brotbaum der Forstwirtschaft", wie sie gerne genannt wird, nach wie vor die mit Abstand häufigste Baumart in den Wäldern in Bayern ist. Die Käfer, die im Boden oder im Holz überwintern, schwärmen im Frühjahr ab Temperaturen von etwa 16 Grad aus.

Dann bohren sie sich auch in ihre Wirtsbäume ein, legen zwischen Rinde und Holz Gänge an, paaren sich und die Weibchen legen die befruchteten Eier ab. Nach ein bis zwei Wochen schlüpfen die Larven und fressen sich durch die saftführende Schicht der Fichten. Bis sich die neue Käfergeneration fertig entwickelt hat, vergehen sieben bis zwölf Wochen. Ihre Namen haben die Schädlinge übrigens von den Schadbildern, das sie in den befallenen Fichten hinterlassen. Das des Buchdruckers erinnert entfernt an eine aufgeschlagene Buchseite, das des Kupferstechers ähnelt einem Kupferstich.

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Borkenkäfer sind Profiteure des Klimawandels, je früher es im Jahr warm wird, desto früher beginnen sie auszuschwärmen. Und je länger es im Herbst mild ist, desto länger sind sie aktiv. Auch mit den immer milderen Wintern kommen sie gut zurecht. In der Vergangenheit haben Borkenkäfer üblicherweise ein bis zwei Generationen Nachkommen im Jahr ausgebildet. Mit dem rasanten Fortschreiten der Klimakrise gibt es immer öfter Jahre mit drei Generationen.

Solche Massenvermehrungen sind der Albtraum eines jeden Waldbesitzers und Försters. "Bei drei Generationen im Jahr kann ein einziges Buchdrucker-Weibchen 100 000 Nachkommen haben", sagt der Waldschutzspezialist am Forstministerium, Franz Paulus. "Solche gigantischen Vermehrungsraten hält kein Fichtenwald aus." 2023 war ein Jahr mit drei Borkenkäfer-Generationen. Auch das verheißt nichts Gutes für dieses Jahr. "Es steht eine große Käfer-Population in den Startlöchern", heißt es in dem Newsletter der LWF-Wissenschaftler.

Zumal sich der Borkenkäfer in den vergangenen Jahren rasant ausgebreitet hat in Bayern. Am schlimmsten am nördlichen Ende des Freistaats im Frankenwald. Die Bilder von dort ähneln denen, die man aus dem Harz, dem sächsischen Elbsandsteingebirge und anderen Waldkatastrophen-Regionen in Deutschland kennt. Im Frankenwald haben sich letzten Herbst allein die Kahlflächen, also die vormaligen Wälder, auf denen wegen des Schädlings kein Baum mehr steht, schon auf mehr als 7000 Hektar belaufen. Das entspricht 10 000 Fußballfeldern und macht 15 Prozent des gesamten Walds in der Region aus. Auch jenseits des Frankenwalds darf sich kein bayerischer Waldbesitzer sicher fühlen. Das zeigt ein Blick auf die Borkenkäfer-Gefährdungskarten, die die LWF-Wissenschaftler jedes Jahr für die bayerische Forstverwaltung herausgeben. Sie zeigen eindringlich, wie sich die Schädlingsgefahr in den letzten vier Jahren über ganz Bayern ausgebreitet hat.

Die Borkenkäfergefahr ist in den letzten Jahren überall in Bayern massiv angestiegen. (Foto: SZ-Grafik)

Wenig verwunderlich also, dass auch die Schäden auf Rekordniveau sind. 2023 zählten Paulus und seine Kollegen bayernweit 6,3 Millionen Festmeter Käferholz. Das ist eine schier unglaubliche Menge: Mit ihr könnte man eine drei Meter hohe und einen Meter dicke Holzmauer vom schwedischen Göteborg bis Palermo auf Sizilien errichten. Und noch etwas zeigt die Statistik: Die Schäden gehen seit gut 30 Jahren nach oben, zwar nicht linear, sondern in einer Art Wellenbewegung, aber unterm Strich sehr deutlich - von jeweils gut vier Millionen Festmeter Käferholz in 1993, 1994 und 2005 auf mehr als fünf Millionen Festmeter in 2018 und zuletzt auf eben jene 6,3 Millionen Festmeter in 2023.

Was die Zukunft anbelangt, gibt sich Waldbesitzer-Chef Ziegler denn auch pessimistisch. Er rechnet damit, dass beim Käferholz schon bald die Zehn-Millionen-Festmeter-Marke geknackt wird. In den nächsten 25 bis 30 Jahren werden nach seiner Prognose die Hälfte der Fichten, die derzeit in den bayerischen Wäldern stehen, dem Schädling zum Opfer fallen. "Wenn wir alles zusammenrechnen, haben wir derzeit ungefähr 500 Millionen Festmeter Fichtenholz-Vorrat im Freistaat", sagt Ziegler, der seit acht Jahren an der Spitze des bayerischen Waldbesitzerverbands steht und sich demnächst von dem Amt zurückzieht. "Davon werden wir 250 bis 300 Millionen Festmeter an den Borkenkäfer verlieren." Auch für den Vermögensschaden, der dadurch dem Freistaat, den Kommunen und den vielen tausend privaten Waldbesitzern in Bayern entsteht, hat Ziegler eine Summe parat: zehn Milliarden Euro.

Die einzige Hoffnung, die den Waldbesitzern und Förstern für dieses Jahr bleibt: Dass es doch nicht so warm wird, wie es sich angelassen hat. Sondern eher kühl und regnerisch. Denn das mögen die Borkenkäfer nicht. Dann vermehren sie sich nicht so stark und breiten sich nicht so massenhaft aus.

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