Unwetter:"Wir werden unser altes Simbach nicht mehr kriegen"

Hochwasser in Bayern

Militärische Hilfe: Die Bundeswehr hat hundert Soldaten mitsamt Gerätschaften nach Simbach geschickt, um beim Aufräumen mit anzupacken.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Der Landrat lädt zur Bürgerversammlung in der Turnhalle ein. Ein Versuch, die Kontrolle über die Katastrophe zu gewinnen. Tränen fließen - und am Ende regt sich Aufbruchstimmung.

Von Andreas Glas, Simbach

Es ist Montag, halb zehn, es ist Rushhour in Simbach. Autos, Traktoren und Lkw-Kipper schieben sich mühsam in den Ort hinein, die Felgen und Fensterscheiben sind schlammverkrustet, die Gesichter hinter den Scheiben sehen müde aus, aber das Aufräumen muss weitergehen. Die Menschen schlüpfen wieder in ihre Stiefel, holen die Schaufeln wieder raus, packen aufs Neue an. Es ist Tag fünf nach der Flut, es herrscht vielleicht keine Routine in Simbach, aber ein gewisser Rhythmus: aufstehen, anpacken, schlafen. Aufstehen, anpacken, schlafen.

Am Abend zuvor hat Landrat Michael Fahmüller (CSU) den Rhythmus unterbrochen, für etwa eine Stunde. Er hat die Simbacher in die Turnhalle der Realschule geladen, zur Bürgerversammlung. Es ist der Versuch, die Kontrolle über eine Katastrophe zu gewinnen, die noch immer keiner begreifen kann. Die Turnhalle ist voll, die Menschen sitzen auf Stühlen, hocken auf Biertischen und Bierbänken, haben ihre Köpfe erschöpft gegen die Wand gelehnt.

Einige müssen stehen, sie stehen bis hinaus auf die Innstraße, wo der Schlamm allmählich trocknet und die Stadt in eine Wolke aus Staub hüllt. Auch die Turnhalle war abgesoffen, die braune Brühe stand bis zur Unterkante der Basketballkörbe, der Bodenbelag hat sich gelöst, jetzt ist da nur noch der Estrich. Die Halle steht noch, aber sie wirkt wie ein Rohbau.

Um 17 Uhr geht es los. Es ist so still, dass man jeden Atemzug des Landrats über das Saalmikrofon hören kann. "Ein Drittel unseres Landkreises ist von der Katastrophe betroffen", sagt Fahmüller. Er schluckt die Tränen weg, verspricht unbürokratische Hilfe, "weil Menschen, die alles verloren haben, keine Nerven haben für zu viel Bürokratie". Dann nennt er den Betrag, den der Freistaat bis zum Sonntagabend den Menschen im Landkreis gezahlt hat: 5,6 Millionen Euro Soforthilfe. Verhaltener Applaus. Die Simbacher wissen, dass das nicht reichen wird. Niemals. Das Landratsamt Rottal-Inn schätzt den Schaden auf mehr als eine Milliarde Euro.

Man arbeite an der Trinkwasserversorgung, verspricht der Landrat

Das Geld, es dürfte in den kommenden Monaten und Jahren das wichtigste Thema für die Simbacher werden. Doch an diesem Sonntagabend in der Turnhalle haben die Menschen andere Sorgen. "Wir können uns nicht mal die Hände waschen", sagt Hubert Six, ein kleiner, drahtiger Mann in kariertem Fleecehemd, 84 Jahre alt. Er hat alles verloren, was er in seinem langen Leben aufgebaut hat.

"Von meinem Haus ist nichts mehr übrig, nur noch die nackten Wände", sagt Six. In seiner Brusttasche steckt einer dieser Zettel, die das Landratsamt an die Menschen verteilt hat, die zur Bürgerversammlung gekommen sind. Darauf sollen sie schreiben, was sie zurzeit am dringendsten brauchen. Hubert Six kramt den Zettel aus seiner Brusttasche, faltet ihn auseinander, drei Dinge hat er notiert: "Weniger Bürokratie", "Rechtzeitige Information", "Tankwagen mit Wasser".

Die Sache mit der Bürokratie hat der Landrat ja schon angesprochen, die Information wiederum ist Sinn und Zweck der Bürgerversammlung - mit einem Tankwagen kann er dagegen nicht dienen. Man arbeite an der Trinkwasserversorgung, verspricht Fahmüller. Bis das Wasser aber wieder überall fließt, werde man Pendelbusse einrichten, die rüberfahren in den Nachbarort, zum Sportzentrum nach Kirchdorf, wo es Duschen gibt. Außerdem verkündet Fahmüller, dass die Simbacher Schulen die ganze Woche über "aus Sicherheitsgründen" geschlossen bleiben und 100 Bundeswehrsoldaten anrücken werden, um beim Aufräumen zu helfen.

Am Ende der Bürgerversammlung greift sich der Simbacher Bürgermeister Klaus Schmid (CSU) das Mikro, stellt sich vor die Menschen, auch er atmet schwer, als er sagt: "Wir werden unser altes Simbach nicht mehr kriegen. Aber wenn wir zusammenhalten, schaffen wir uns ein neues Simbach. Und ein schöneres." Schmid wischt sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Langer Applaus. Dann gehen die Menschen zurück zu ihren zerstörten Häusern, schlüpfen zurück in ihre Stiefel. Und schaufeln weiter.

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