Es war kein aufregendes Foto. Ein eher tristes Bild. Es zeigte nur eine leere Reitbahn in Ansbach. Der Syrer Mohammad D., 27. schickte das Foto an einen Unbekannten, der vermutlich in Saudi-Arabien lebt. Auf dieser Reitbahn, teilte Mohammad D. seinem Gesprächspartner mit, werde bald ein Open-Air-Konzert stattfinden: "Dieser Platz wird voll von Menschen sein." Der Gesprächspartner antwortete: "Töte sie alle." Die beiden blieben dann in Kontakt.
Riaz A. war fast noch ein Kind. Der 17-jährige Flüchtling, der vermutlich aus Afghanistan stammt, lebte in Ochsenfurt in einer Pflegefamilie und galt als gut integriert. Was niemand ahnte: Er hatte heimlich Kontakt mit einem Unbekannten, der wohl ebenfalls in Saudi-Arabien lebt. "Hör dir eine wichtige Sache an. Ich werde heute in Deutschland mit einer Axt einen Anschlag begehen", sagte der Jugendliche. "Bruder, wäre es nicht besser, es mit einem Auto durchzuführen?" schrieb der Gesprächspartner zurück. "So wird die ganze Welt erneut aufgewühlt werden".
Vier Tage zuvor hatte in Nizza ein mutmaßlich islamistischer Attentäter auf der Promenade des Anglais mit einem Lastwagen 85 Menschen getötet und die ganze Welt tatsächlich in Angst und Schrecken versetzt.
A. antwortete, er könne nicht Auto fahren. "Du solltest es lernen", schrieb der Unbekannte, "der Schaden wäre auch erheblich größer".
Mohammad D. und Riaz A. sind tot. Der eine starb, als er vor einem Weinlokal in Ansbach seine Rucksackbombe zündete. Der andere wurde, nachdem er mit einer Axt auf Fahrgäste einer Regionalbahn losgegangen war, von Spezialkräften der Polizei erschossen. Seither rätseln die Behörden, was die beiden Flüchtlinge Riaz A. und Mohammad D. dazu brachte, innerhalb von sechs Tagen diese Anschläge in Deutschland zu begehen.
Es sind schwierige Ermittlungen, der Generalbundesanwalt hat sie übernommen. Eine Schlüsselrolle bei den Ermittlungen spielen nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR ihre von der Polizei sichergestellten Mobiltelefone, die von Behörden in Bayern und des Bundes gemeinsam ausgewertet werden.
Nach ersten Erkenntnissen standen beide noch unmittelbar vor ihren Gewalttaten über Chats in Verbindung mit bisher nicht identifizierten Personen, die ihnen Ratschläge für die Attentate gaben, sie ermutigten, ja im Fall von Ansbach sogar zur Tat drängten. Und das Bundeskriminalamt fragt sich seit der Auswertung der Chat-Protokolle nun, ob das Internet nicht mehr nur für Propaganda der Terrormiliz Islamischer Staat genutzt wird - sondern ob hier auch eine konkrete Anleitung und Beratung von Tätern stattfindet.
"Sie wollen ein Attentat verüben? Wir helfen Ihnen", könnte die Botschaft lauten. Die Welt kennt viele Formen des IS-Terrorismus. Da sind die Anschläge, die direkt vom IS in Auftrag gegeben werden. Die Attentäter sind dann so etwas wie Soldaten, die auf Befehl morden. Da sind Attentäter, die irgendeinem Terror-Aufruf des IS folgen, keinen Kontakt zur IS-Führung haben und selbst entscheiden, wo und wann sie morden. Und hinzu kommen nun offenbar im Hintergrund agierende "Berater", die keinerlei Befehlsgewalt haben, sondern potenzielle Terroristen mit Tipps versorgen.
Die deutschen Fälle mit den Helfern im Hintergrund sind für die Terrorermittler ein Novum. "Dem IS gewogene oder dschihadistische soziale Netzwerke" seien "nicht nur in der Lage, Freiwillige über die allgemeine Propaganda hinaus zu motivieren, sondern auch konkret zu beraten und anzuleiten", schreibt das Bundeskriminalamt in einer Analyse zu den Anschlägen in Ansbach und Würzburg.
Dass der Gesprächspartner von Mohammad D. unter einer saudischen Nummer zu erreichen war - eben solche Hinweise gibt es auch bei Riaz A. - macht die Sache zudem politisch heikel. Immer wieder war das Königreich in der Vergangenheit in Verdacht geraten, nicht entschieden genug gegen Islamisten vorzugehen, was die Regierung in Saudi-Arabien ebenso vehement bestreitet.
Es gibt Menschen in Saudi-Arabien, die Terroristen gerne zu Diensten sind und es gibt Menschen in Saudi-Arabien, die selbst Opfer des Terrorismus werden. Erst jüngst, in den letzten Tagen des Fastenmonats Ramadan wurden in der islamischen Welt etliche Selbstmordanschläge verübt, darunter auch im saudi-arabischen Dschidda, in der Schiitenhochburg Katif und in Medina.
Die IS-Propaganda macht sich alles und jeden zunutze. Das ist bekannt. Im Fall des Ansbacher Rucksackbombers behauptet der sogenannte Islamische Staat, dass Mohammad D. unter dem Kampfnamen "Abu Yousef" schon lange Teil der Terror-Organisation gewesen sei und sich nur nach Deutschland begeben habe, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen. Dann habe er in den Kampf zurückkehren wollen. D. ein Soldat des IS? Die ihn in Deutschland kennenlernten, die Therapeuten, Helfer und die paar Freunde, wollen das nicht glauben. D. sei psychisch krank gewesen, sagen sie. Zudem war er selbstmordgefährdet, hatte Suizidversuche hinter sich.
Wie so häufig, wenn es um Taten des IS geht, lassen sich die Hinweise und Erkenntnisse nur schwer zu einem schlüssigen Bild zusammenfügen.
Immer klarer hingegen werden Art und Umfang der Beratung, entweder durch Kontaktleute des IS oder Sympathisanten des IS. So war der Attentäter mit der Axt am Tag des Attentats, am 18. Juli, ab etwa 18.30 Uhr in Verbindung mit seinem Gesprächspartner. Kurz vor der Tat teilte er ihm mit: "Ich warte jetzt auf den Zug."
Der Gesprächspartner versprach dem jungen Flüchtling ein Bekenner-Video, das A. im Haus seiner Pflegeeltern in Ochsenfurt offenbar bereits produziert hatte, an das "Zentrum" weiterzuleiten. "Wenn du den Anschlag begehen wirst, so Gott es will, wird der Islamische Staat dafür die Verantwortung übernehmen." A. solle aber nicht den Treueschwur gegenüber dem IS vergessen. Einen solchen Schwur auf die terroristische Gruppe und ihren selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi verlangt der IS, bevor er sich später dann öffentlich zu den Taten bekennt.
Erschreckend liest sich für die Ermittler auch der Chat des Ansbacher Täters, kurz bevor er die Bombe zündete. Am Abend des Konzerts, am 24. Juli, stellte D. fest, dass man eine Eintrittskarte benötigte, um auf das Festivalgelände zu gelangen. Er scheint dann zunächst gezögert zu haben. Sein nicht identifizierter Gesprächspartner riet ihm, einfach durch die Kontrollen durchzulaufen.
D. zögerte dennoch: "Bete für mich, du weißt nicht, was gerade mit mir passiert." Sein Chat-Partner drängte weiter: "Vergiss das Fest und gehe zum Restaurant. Mann, was ist mit dir los? Ich würde es wegen zwei Personen durchführen. Vertrau Gott und lauf zum Restaurant los."
D. gehorchte. Die Bombe zündete, sie tötete ihn und verletzte 15 Menschen.