Stoiber und die BayernLB:Der Mann, der sich nicht erinnern kann

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Stoiber wurde zweimal vor dem waghalsigen Kurs der BayernLB gewarnt. Trotzdem ignorierte er alle Hinweise auf Misswirtschaft bei der Hypo Alpe Adria.

K. Ott und N. Richter

Unter den deutschen Ministerpräsidenten, erst recht den bayerischen, ist keiner je ein solcher Aktenfresser gewesen wie Edmund Stoiber. Sein Fleiß, seine Akribie, seine Detailversessenheit bündelten sich in diesem Attribut. Für Stoiber war Regieren nie bloß Moderieren, sondern auch verschärftes Verwalten.

Edmund Stoiber erfuhr vom Vabanquespiel seiner Landesbank mindestens zweimal. (Foto: Foto: ap)

Vor allem gegen Ende seiner Amtszeit verhielten sich Stoiber und seine Staatskanzlei, als seien Sachverstand und politisches Können allein bei ihnen vereint, weshalb Stoibers Umfeld regelmäßig auch über kleinste Kleinigkeiten entschied, zum Unbehagen seiner Minister und der CSU-Fraktion im Landtag.

Im Sommer 2007, es waren Stoibers letzte Monate an der Macht, da erreichten seine Staatskanzlei die Vorboten jenes Skandals um die Bayerische Landesbank, der jetzt, drei Jahre später, die Strafjustiz und einen Untersuchungsausschuss im Landtag beschäftigt.

Es waren erste Warnungen vor der Hypo Group Alpe Adria (HGAA), der Kärntner Bank, die 2007 von der Bayerischen Landesbank gekauft wurde. Aber in Stoibers Staatskanzlei, wo man sonst penibel auf alles achtete, ignorierte man die schlechten Nachrichten.

Heute, da die Verantwortung für ein Desaster zu klären ist, das den Freistaat und seine Landesbank 3,7 Milliarden Euro gekostet hat, heute also stellt sich heraus, dass Stoiber von schweren Mängeln bei der HGAA wusste. Das legen Vermerke aus der Staatskanzlei nahe. Stoiber hätte im Sommer 2007 eingreifen und womöglich das Schlimmste verhindern können, was er aber nicht tat.

Die BayernLB hatte am 22. Mai 2007 den Vertrag zum Kauf der HGAA abgeschlossen, was Stoiber als "gutes Signal für den Banken- und Finanzplatz Bayern" feierte. Drei Tage später legte die Österreichische Nationalbank einen verheerenden - und damals noch geheimen - Prüfbericht zur HGAA vor.

Sie attestierte der Kärntner Bank neun "wesentliche Gesetzesverletzungen", etwa bei der Bekämpfung der Geldwäsche. Vor allem rügten die Experten die lasche Kontrolle bei Kreditvergaben. Im Jahr 2006 habe für mehr als die Hälfte der beantragten Darlehen keine Stellungnahme des Risikomanagements vorgelegen. Die Prüfer zählten "massive Mängel" im Detail auf. Die HGAA habe "hohen Risikoappetit" gezeigt, die Bankenaufsicht kritisierte speziell Geschäfte auf dem Balkan, bei denen die Rückzahlung der Darlehen nicht gesichert sei. Im Kaufvertrag für die HGAA hat die BayernLB all diese Risiken übernommen.

Stoiber erfuhr vom Vabanquespiel seiner Landesbank mindestens zweimal. Im Juni 2007, als Medien aus dem vertraulichen Prüfbericht zitierten, erkundigten sich seine Zuarbeiter beim bayerischen Finanzministerium. Dieses meldete in die Regierungszentrale, die Vorwürfe beträfen "abgeschlossene Sachverhalte". Sie seien beim Kauf der HGAA bekannt gewesen.

Stoibers Mitarbeiter warnten ihren Chef gleichwohl: Es sei kaum prognostizierbar, wie sich dies auf das "Marktvertrauen" auswirken werde, heißt es in einem Vermerk Ende Juni. Einen Monat später, Ende Juli, erhielt Stoiber einen weiteren Vermerk, in dem der verheerende Prüfbericht aus Wien als "Problemfeld" hervorgehoben wird.

Stoiber aber ließ nicht weiter nachforschen. Dabei war die Expansion der BayernLB durchaus auch sein Anliegen, sie passte zu Stoibers Konzept, wonach Bayern in allen Belangen das beste Bundesland zu sein hatte. Dass die BayernLB nun eine Bank in Österreich kaufte mit Geschäften an der Adria, das klang so global, wie es die Staatskanzlei wünschte.

Stoiber engagierte sich für das Gelingen dieser Investition persönlich. Im Juli 2007 erfuhr er, dass es Widerstände gab gegen den Kauf der HGAA durch die BayernLB. Denn zur Hypo Alpe Adria gehörten Tochterbanken in Kroatien, und die Kroatische Nationalbank in Zagreb wollte die Übernahme nicht genehmigen. Stoiber verkündete am 13. Juli gewohnt schneidig, dies sei "nicht akzeptabel"; das "Misstrauen gegenüber Bayern" belaste die Beziehungen zu Kroatien.

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Dass bei der HGAA, dem Objekt bayerischer Begierde, indes Gesetzesverstöße aktenkundig waren, schien die Staatskanzlei viel weniger zu interessieren. Dabei hätten die Rügen im Prüfbericht und der Widerstand der Kroaten den Bayern wohl einen Grund - oder Vorwand - geliefert, das Engagement bei der HGAA umgehend wieder zu beenden.

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Die Übernahme der HGAA durch die BayernLB wurde erst im Oktober 2007 abgeschlossen, Stoiber hätte also Zeit gehabt, das riskante Geschäft zu hinterfragen und notfalls zu stoppen. Stoiber erklärt nun auf Anfrage, er könne sich "an keine interne Bewertung erinnern, die das Vorgehen der Landesbank und ihrer Organe in Frage gestellt hätte". Auch der von der SZ erwähnte Vermerk "gab dazu offensichtlich keinerlei Anlass".

Hauptsache, ein politischer Erfolg

Tatsächlich war der Vermerk der Staatskanzlei für Stoiber von Ende Juli 2007 verharmlosend. Darin ist zwar von "wesentlichen Gesetzesverletzungen" bei der HGAA die Rede, sogleich werden diese aber unter Berufung auf die BayernLB kleingeschrieben. Die BayernLB habe die HGAA bereits umfassend überprüft, heißt es, dies habe sich auch auf den Kaufpreis ausgewirkt. Die BayernLB prüfe zudem, wie sie Risikomanagement und Geldwäschebekämpfung verbessern könne bei ihrer neuen Tochter HGAA.

Dass dies überhaupt notwendig war, hätte bei jedem skeptischen Leser zumindest Misstrauen wecken müssen. Aber offensichtlich waren Stoiber und seine Berater so von dem Übernahmecoup beseelt, dass sie alle Hinweise auf Misswirtschaft in der HGAA ignorierten. Hauptsache, es gab einen neuen politischen Erfolg zu vermelden.

Weder der Kaufvertrag noch der kritische Prüfbericht der Österreichischen Nationalbank haben der Staatskanzlei nach deren Angaben je vorgelegen. Auf Anfrage der SZ rechtfertigt sich die Staatskanzlei heute damit, "nach der Verfassung des Freistaats Bayern" liege die Verantwortung für Fachthemen in den jeweiligen Ministerien. "Die Staatskanzlei stellt keine eigenen Nachforschungen und Sachverhaltsermittlungen zu Vorgängen an, die in Ressortverantwortung liegen", heißt es, es habe keinen Anlass gegeben, an der Beurteilung des Finanzministeriums zu zweifeln.

Wer Stoiber länger beobachtet hat, kann diese formalistische Argumentation nur sehr gewagt finden. Denn gerade in seinen letzten Jahren als Ministerpräsident entwickelte sich Stoiber vom Teamspieler zum Alleinherrscher und seine Staatskanzlei zur mächtigen Zentrale für alles. Hier glaubte man alles besser zu wissen als alle anderen. Der Unmut darüber bewegte die CSU schließlich dazu, Stoiber zum Rückzug zu zwingen. Wenn es allerdings um die Landesbank und ihre windigen Geschäfte ging, soll es ganz anders gewesen sein: Stoiber gab angeblich nur die grobe Richtung vor, alle Details, die alarmierenden vor allem, waren demnach das Problem anderer.

© SZ vom 24.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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