SPD-Kandidat Steinbrück in München-Trudering:In Boxhandschuhen ist schlecht knuddeln

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Peer Steinbrück bläst zur Charmeoffensive. In München will der Ex-Minister seine Bierzelttauglichkeit beweisen. Dabei zeigt sich: Zum SPD-Knuddelbären taugt er nicht. Zum Merkel-Herausforderer aber durchaus.

Tobias Dorfer

Es vergehen nur wenige Augenblicke, bis Peer Steinbrück bemerkt, dass gerade etwas falsch läuft. Eben noch war ihm ein Maßkrug ans Rednerpult gestellt worden. Doch nachdem der ehemalige Finanzminister den ersten Schluck genommen hat, verzieht er das Gesicht. Wasser, ruft er angewidert und droht: "Ich breche meine Rede jetzt ab." Dann fragt er, wo derjenige sei, der für diese Ungeheuerlichkeit verantwortlich sei. Ein Mann steht auf. Steinbrück zieht sich das Sakko zurecht. "Wir treffen uns um 21 Uhr draußen vor dem Zelt", sagt er und plustert sich auf wie ein Preisboxer.

Peer Steinbrück kann Bierzelt: In Trudering bei München begeistert er die Zuschauer. (Archivbild) (Foto: dapd)

Steinbrück findet das lustig. Doch bei seiner Rede am Montagabend im Festzelt des Volksfestes in München-Trudering läuft er mehrfach Gefahr, es mit dem Lustigsein zu übertreiben. Für den ehemaligen Finanzminister ist es erst der zweite Auftritt in einem bayerischen Bierzelt. Auf dem Gillamoos in Abensberg hat er bereits gesprochen, aber das ist mittlerweile auch schon drei Jahre her. Doch wer Kanzler werden will, sollte auch in einem bayerischen Bierzelt bestehen.

Kann Steinbrück Kanzlerkandidat? Diese Frage schwingt derzeit bei jedem seiner Auftritte mit. Er gilt - zusammen mit SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier, dem Fraktionschef im Bundestag - als einer der Favoriten für die Rolle des Merkel-Herausforderers - auch wenn viele nach dem Wahlerfolg Hannelore Krafts in Nordrhein-Westfalen das Trio zum Quartett anwachsen sehen. Seit sich diese Troika herausgebildet hat, wird jeder Auftritt von Steinbrück besonders genau beobachtet.

Sonderlich gut schnitt Steinbrück dabei zuletzt nicht ab. Seine Rede auf dem Parteitag im Dezember in Berlin wurde von Beobachtern als "Publikumsbeschimpfung" interpretiert. Und dass er sich im Spiegel und in der ARD-Talkshow von Günther Jauch von Altkanzler Helmut Schmidt schon zum idealen Kanzlerkandidaten ausrufen ließ, hat ihm bislang auch nicht sonderlich genutzt.

Dabei hätte Steinbrück die öffentliche Schützenhilfe von Schmidt und zuletzt auch von Gerhard Schröder eigentlich gar nicht nötig. Unbestritten ist, dass er ein hochintelligenter Mann mit einer rasanten Auffassungsgabe und viel Humor ist. Wenn er möchte, kann Steinbrück komplizierte Sachverhalte einfach darstellen. Mit seinen Auftritten als Finanzminister in der rot-grünen Koalition und Euro-Retter hat er sich die Anerkennung der Wähler erworben. Kämpfen muss er um die Zuneigung.

Denn der SPD-Wähler ist eine seltsame Spezies. Er verehrt, wie Mitglieder anderer Parteien auch, charismatische Köpfe wie Willy Brandt und Helmut Schmidt. Andererseits mag er es bodenständig und gemütlich. Der SPD-Wähler wird gerne geknuddelt. Selbst der sehr seriöse Frank-Walter Steinmeier hat die Herzen der Genossen gewärmt, als er im Sommer 2010 seiner Frau eine Niere gespendet hat. Steinbrück dagegen widerstrebt jegliches Geknuddele. Doch spätestens seit Sigmar Gabriel laut darüber nachdenkt, die Partei über den Kanzlerkandidaten entscheiden zu lassen, muss auch der ehemalige Finanzminister zur Charmeoffensive blasen.

Dass ihm dies noch etwas Mühe bereitet, zeigt der Vergleich mit seinem Vorredner im Zelt. Da spricht der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der 2013 bayerischer Ministerpräsident werden möchte. Hintergründig verspottet Ude die jüngste Facebook-Party der CSU und setzt das Event in der Nobeldisco P1 ironisch mit einem anderen Weltereignis, der Mondlandung, ins Verhältnis: "Ein kleiner Schritt für die Menschen, aber ein großer für die CSU." Dann streift er noch kurz das Transrapid-Desaster und nennt es einen Skandal, dass die Stadt München für die S-Bahn-Stammstrecke zahlen soll. Das Publikum ist begeistert, hält Schilder mit der Aufschrift "TrUDEring" in die Höhe und widmet sich dann wieder seinen Hendln.

Während Ude das Florett zieht, packt Steinbrück den Boxhandschuh aus. CSU-Chef Horst Seehofer ist für ihn "die größte lose Kanone an Deck" und das Betreuungsgeld "der größte Schwachsinn, den wir in den letzten Jahren in Deutschland erlebt haben".

Wenn Peer Steinbrück in Trudering lustig sein will, dann spricht er vom großartigen schwarz-gelben Ergebnis am Wochenende: der Pokalsieg von Borussia Dortmund gegen den FC Bayern München. Beim BVB sitze er im Aufsichtsrat, sagt der Ex-Minister und dann fügt er hinzu: "Was meinen Sie, warum die oben stehen? Glauben Sie wirklich, das liegt am Trainer. Oder gar an der Mannschaft?"

Mangelndes Selbstbewusstsein war noch nie das Problem von Peer Steinbrück. Seine Sätze im Truderinger Zelt leitet er häufig ein mit "Ich rate der SPD" oder "Die SPD sollte aufpassen, dass" oder "Darüber bitte ich, gelegentlich nachzudenken". Steinbrück gibt den Lehrmeister der deutschen Sozialdemokratie, der selbst am Wahlerfolg des Kieler Oberbürgermeisters Torsten Albig (SPD) bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein seinen Anteil hat: "Den habe ich erzogen", sagt er über seinen einstigen Sprecher im Finanzministerium.

Doch Steinbrück zeigt an diesem Abend auch, warum viele Genossen geradezu elektrisiert von der Idee seiner Kanzlerkandidatur sind. Etwa wenn er mit Hingabe die europäische Idee verteidigt und dafür nicht nur ökonomische Argumente vorbringt. Ein Zusammenbrechen des Euros würde ein "stärkeres Nationaldenken mit dumpfbackigen Tönen" hervorrufen, befürchtet er und fordert: "Wir müssen dafür sorgen, dass keine antieuropäischen Ressentiments aufkommen."

Jetzt ist er in seiner Welt angekommen. Steinbrück redet sachlich über mögliche Koalitionen auf Bundesebene, bei denen notfalls auch die FDP mitmachen darf. Fordert einen Mindestlohn von 8,50 Euro, geißelt Dumpinglöhne und die Tatsache, dass es Menschen gibt, die mit einem Vollzeitjob kein menschenwürdiges Leben führen können. Und am Ende fordert er mehr Respekt für Parteien, schließlich sorgten diese doch in einer Demokratie dafür, "dass wir uns nicht die Köpfe einschlagen".

Zum Kuschelbär der deutschen Sozialdemokratie wird Peer Steinbrück so nicht, will er wohl auch nicht. Aber Angela Merkel ist schließlich auch nicht für große Emotionen bekannt. Und dass Steinbrück jedoch durchaus diplomatisches Geschick besitzt, zeigt er am Ende seiner Rede: "Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Am Wochenende soll der FC Bayern 3:0 gegen Chelsea gewinnen", ruft Steinbrück und tritt vom Rednerpult ab. Das Publikum feiert ihn begeistert. Die Sache mit dem großartigen Dortmunder Ergebnis vom Wochenende ist da längst vergessen.

Ob das ausreicht, um die SPD von seinen Kanzlerqualitäten zu überzeugen, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Am nächsten Sonntag hat Peer Steinbrück bereits seinen nächsten großen Auftritt. Wieder bei Jauch, wo er auf Thilo Sarrazin treffen wird. Nach der Veröffentlichung von dessen umstrittenen Buch hatte sich Steinbrück im November 2010 öffentlich gegen einen Parteiausschluss des ehemaligen Berliner Finanzsenators ausgesprochen. Steinbrück dürfte hoffen, dass sich Sarrazin am Sonntag nicht mit einer Kanzlerkandidatur-Empfehlung revanchiert.

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