Steinbrück beim SPD-Parteitag in Berlin:Der Mann, der zu viel schimpfte

Was war das denn? Peer Steinbrück hält auf dem Parteitag der SPD in Berlin eine Rede, die zum Teil an Publikumsbeschimpfung grenzt. Die Genossen reagieren mit Flüsterbeifall. Der Kanzlerkandidatur ist Steinbrück mit diesem Auftritt nicht näher gekommen. Stattdessen rückt eine Frau ins Blickfeld.

Thorsten Denkler, Berlin

Da stehen sie, die drei angeblichen, möglichen, noch unausgerufenen, natürlichen und/oder selbstbestimmten Kanzlerkandidaten der SPD. In der Mitte Peer Steinbrück, der gerade seine Rede beendet hat. Rechts von ihm Frank-Walter Steinmeier, links Sigmar Gabriel. Als würde kein Blatt zwischen sie passen.

Gut, dass Gabriel und Steinmeier den ehemaligen Finanzminister in ihre Mitte genommen haben. Sonst hätten die Delegierten wohl wenig Grund gesehen, dem ehemaligen Bundesfinanzminister der vergangenen großen Koalition über die Höflichkeitsschwelle hinaus Applaus zu spenden.

Sollte Steinbrück wirklich Kanzlerkandidat werden wollen - es wäre naiv, daran zu zweifeln -, dann sollte er den Plan nach dieser Rede dringend noch mal überdenken. Nach dem Parteitag müssen in der K-Frage die Karten neu gemischt werden. Und eines scheint jetzt schon sicher: Geht es nach der Parteibasis, wird Steinbrück keine allzu große Rolle mehr spielen.

Steinbrück will es wissen

Steinbrück hat seinen Genossen die Entscheidung aber auch leichtgemacht. Er ist nicht gekommen, den Genossen nach dem Mund zu reden. Bevor er loslegt, zieht er Hemd- und Sakkoärmel stramm, schüttelt seine Arme aus. Er will es wissen.

Gleich zu Beginn lobt er die Agenda-Reformen. Mit der Faust in der Tasche werden manche Parteilinke gehört haben, was Steinbrück ihnen zu sagen hat. "Wo stünde die Bundesrepublik Deutschland heute ohne die teilweise auch bitteren Reformen unter Gerhard Schröder?", fragt Steinbrück den Saal. Und fordert "mit mehr Selbstbewusstsein" über das zu reden "was gelungen ist in den letzten zehn Jahren".

Genau danach ist der Basis auf diesem Parteitag überhaupt nicht zumute. Weil aber Pfiffe und Buhrufe wohl doch eine Spur zu unhöflich wären, entscheiden sich die Delegierten für die in solchen Fällen schlimmste Strafe: Ein müde plätschernder Applaus, wie Nieselregen im Dezember.

Schlecht versteckte Publikumsbeschimpfung

Es wird nicht besser für Steinbrück. Er kann sagen, was er will, über einen Flüsterbeifall kommt er nicht hinaus. Was nicht verwunderlich ist. Denn Steinbrück betreibt schlecht versteckte Publikumsbeschimpfung.

Die SPD, ätzt er, wisse seit jeher, "dass allein das Gutgemeinte politisch noch nichts verändert". Der "Rückzug auf das Parteiverträgliche und Selbstvergewisserung" würden nicht helfen. Die Adressaten dieses Satzes sitzen vor ihm.

Ein paar Punkte sammelt er, als er das "dämliche" Betreuungsgeld der CSU als "Fernhalteprämie" geißelt, die ebenso "Schwachsinn" sei wie die geplanten Steuersenkungen. Oder als er seine Forderung nach einem Mindestlohn mit dem Satz untermauert: "Wer ein Geschäftsmodell auf Niedriglöhnen aufbaut, der hat kein Geschäftsmodell!"

Schnell aber ist er wieder der Chefpragmatiker der Partei: Es gelte jetzt "Regierungswillen zu dokumentieren", ruft er. "Das muss unser Anliegen sein!" Danach setzt er eine seiner Kunstpausen, die er so lange in die Länge zieht, bis sich ein paar Genossen doch noch erbarmen und klatschen.

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