Politik:In Bayern ist die SPD ganz unten

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Die Bayern-SPD war nach der Landtagswahl nicht nur weggenickt, sie lag wie in einem künstlichen Koma. (Foto: dpa)

Der Landesverband nähert sich im Freistaat der Fünf-Prozent-Marke. Dass Bayern-Chefin Natascha Kohnen daheim unsichtbar bleibt, aber in Berlin Ratschläge gibt, kommt in der Partei schlecht an.

Von Lisa Schnell

Am Tag danach ging in Trostberg doch glatt wieder die Sonne auf. Und Martin Baumann konnte sich sogar darüber freuen. Irgendwie hatte er es sich schlimmer vorgestellt, so ein Leben ohne SPD. Aber der Phantomschmerz, er blieb aus. Ja, selbst dass von seiner Partei so rein gar nichts kam, als er seine Austrittserklärung einreichte, tat nur ein bisschen weh. Das einzige, was Baumann zugeschickt wurde, war ein Steuerbeleg für seinen Mitgliedsbeitrag - nach 16 Jahren. Fast sein halbes Leben war die SPD Teil von ihm und er von ihr. Jetzt verschwindet diese Partei immer mehr aus seinem Leben, und mit jedem Tag fühlt es sich weniger seltsam an.

Was Baumann da erkundet, ist ein Gefühlszustand, der bald ganz Bayern erfassen könnte. Es wäre dann ein Land, in dem die SPD, diese alte, stolze Partei, einfach nicht mehr wichtig ist. In dem es nicht die halbe Zeitung füllt, wenn eine ihrer Vorsitzenden mal wieder ausgetauscht werden soll. Umfragen wie eben erst wären normal: Bei zwölf Prozent steht die SPD im Bund. Im Freistaat haben sie eine leiderprobte Formel entwickelt, die zeigt, auf welches Niveau die Genossen bei so einer Zustimmung in Bayern schrumpfen würden: Es wären sieben Prozent. Die Bayern-SPD wäre damit ein Zwerg, der gerade mal so über die Fünf-Prozent-Hürde luren könnte.

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Als Baumann 2002 eintrat, stellte die SPD noch den Kanzler. Bei ihm in Trostberg waren sie sieben Jusos, immerhin fast zwei Schafkopfrunden. Jetzt wäre er der jüngste - mit 37 Jahren. Als stolzer Ortsvorsitzender überreichte er etliche neue Parteibücher. Noch keine zwei Jahre ist das her. Martin Schulz war da noch ein Heiland. Jetzt ist er der Mann, der mit seinen blutunterlaufen Augen unter der Sonnenbrille zum Sinnbild dieser Woche wurde. Die SPD ist gerade echt fertig.

Die Schulz-Jünger von Trostberg sind alle wieder ausgetreten, bis auf einen - der ist gestorben. Baumann konnte der SPD beim Verschwinden fast zuschauen. 2018 verlor sie 606 Mitglieder. Er selbst wurde eines davon, und zwar nach der Landtagswahl. Nicht etwa, weil er es leid war, bei den Verlierern dabei zu sein, sondern wegen diesem einen Bild: Andrea Nahles in Berlin und der ganze SPD-Vorstand geschlossen hinter ihr. Auch die bayerische Landeschefin Natascha Kohnen lächelte brav in die Kameras. Keine Selbstkritik, nur immer dieselbe Schallplatte von der Erneuerung, der Erneuerung ... So empfand das Baumann. Er hob die Plattennadel vom SPD-Vinyl und setzte sie nie wieder auf. Es war fast so, als hätte das der ganze Freistaat getan.

Als Bürger vernahm man doch immer ein gewisses sozialdemokratisches Grundrauschen. Nach der Landtagswahl aber wurde es still. Die Bayern-SPD war nicht nur weggenickt, sie lag wie in einem künstlichen Koma, bei dem der Patient ruhen muss, weil er die Wirklichkeit wach nicht ertragen könnte. Diese Woche hatte die Kombination aus Nahles-Rücktritt und drohendem Groko-Ende aber doch genügend Sprengkraft, um sie mit einem Knall zu wecken. Wie lange die Dämmerphase dauerte, lässt sich übrigens auch daran ablesen, dass im gemeinen Volk gerade viele die "neue Frisur" der Landeschefin bemerken. Kohnen trägt sie seit Januar.

Jetzt aber ist die Bayern-SPD wieder da. In nur wenigen Tagen legte sie einen in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Auftritt hin. Es ist Freitag, Nahles strauchelt schon, immer mehr zeigen sich verärgert über die von ihr erzwungene Wahl in der Fraktion, da bekommt sie von der Bayern-SPD ein Paket an Forderungen auf den Tisch: Ein "Weiter-so" dürfe es nicht geben. Die große Koalition, für die Nahles so gekämpft hat, habe keine Mehrheit mehr und für zentrale Fragen keine Antworten. Schon im September solle Nahles sich einer Neuwahl stellen. Wie die guten Ratschläge des erfolglosesten Landesverbands der SPD in Berlin ankamen, ist offiziell nicht bekannt. Eine Zeitung aber fragte später: "Keinen Erfolg, aber eine große Klappe?" und deutete das Papier als einen "Angriff". Wer das auch so sah, musste am nächsten Tag verwirrt sein.

Da nämlich rief Kohnen zusammen mit den anderen stellvertretenden Parteivorsitzenden im Bund zur Solidarität mit Nahles auf. Die massive Kritik an ihr sei "unfair". Nahles trat zurück, Kohnen sagte "Respekt" und geißelt seitdem den Umgangston in der Partei. Wobei der Nahles-Sound von "in die Fresse" bis "verdammte Kacke" wohl auch nicht Kohnens Anstandsvorstellungen entsprechen dürfte.

Kohnen freilich versucht, die Widersprüche aufzulösen: Ihre Solidaritätsbekundung für Nahles sei bei einer "Frau, die dermaßen beschossen wird", notwendig gewesen. Und nein, ihr Wunsch nach Neuwahlen sei eben kein Beschuss gewesen, sondern "eine rein sachliche Entscheidung". Wie es sich für sie selbst angefühlt hat, als sie nach den verlorenen Landtagswahlen aufgefordert wurde, sich schnell einem Parteitag zu stellen? "Die Forderungen waren legitim." Möglich, dass Unterstützer aus ihren Reihen das damals als Angriff gedeutet hätten, sie aber nicht.

Wird Kohnen in einer Partei wie der SPD, in der viele nur die Frage interessiert, wer wen absägen will, mit ihrem "anderen Politikstil" einfach nur missverstanden? Oder sendete die Landeschefin Kohnen einfach eine ganz andere Botschaft als die stellvertretende Bundeschefin Kohnen?

"Die Bayern-SPD bräuchte ein bisschen mehr Pfeffer im Arsch"

Mit der klaren Haltung, die von der SPD im Landtagswahlkampf an jeder Ecke gefordert wurde, hatten es die Genossen in Bayern schon immer schwer. Egal, von wem sie geführt wurden. Wer in Bayern als Opposition die reine Lehre fordert und in der Bundesregierung unangenehme Kompromisse mittragen muss, der hat einfach ein Problem. Beispiel Upload-Filter: Die Bayern-SPD hat zweimal laut "Nein" geschrien zur EU-Urheberrechtsreform. Als die SPD-Ministerin Katarina Barley im EU-Ministerrat aber mit Ja stimmte, sagten die Bayern nichts. Kommt nicht gut an. Die eigene Spitzenkandidatin im EU-Wahlkampf kritisieren, das kommt aber auch nicht gut an. Oder diese Woche der Aufstand aus Bayern gegen das "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" der CSU. Die Bayern-SPD geht auf die Barrikaden dagegen, die bayerische Landesgruppe im Bundestag aber stimmt zu.

Im Landesvorstand erzählt Kohnen gerne, wie sie in Berlin lautstark für die bayerischen Interessen kämpft. So erzählen das Teilnehmer. Fragt man solche, die Kohnen im Bundesvorstand erleben, ergibt sich ein anderes Bild: Kohnen sitzt oft gar nicht vorne mit den anderen Stellvertretern, sondern im allgemeinen Vorstand. Ihr Auftreten sei "eher unauffällig". Nur: Wer immer wieder einen Aufstand wagt, dem steht es gut zu Gesicht, wenn er sich ab und an auch durchsetzt.

Oder wie es Martin Baumann aus Trostberg sagt, wenn er sich doch mal wieder mit seiner früheren Liebe SPD beschäftigt: "Die Bayern-SPD bräuchte ein bisschen mehr Pfeffer im Arsch." Er meint das gar nicht böse. Baumann mag Kohnen, wie viele an der Basis findet er sie sehr sympathisch. Nicht umsonst ist sie mit fast 80 Prozent wieder zur Parteichefin gewählt worden. Auch was sie sagt, findet er eigentlich gut, nur eben "viel zu leise". Was die SPD seit der Landtagswahl in Bayern konkret gemacht hat aber, kann er nicht so genau sagen.

Eine unvollständige Umfrage unter Genossen zeigt: Baumann ist mit der Einschätzung nicht alleine. Zu Jahresanfang forderte die SPD mal einen bayerischen Mindestlohn. Was genau damit gemeint war, sollte noch konkretisiert werden. Man hörte dann aber nicht mehr viel. Im Landtagswahlkampf redete die SPD über nichts anderes als Wohnen, als der Mieterverein München ein Volksbegehren "Mietenstopp" präsentierte, war sie erst einmal nicht dabei. In einer Pressemitteilung reichte sie ihre Zustimmung nach.

Auf ihrem Parteitag gab es keinen Leitantrag mit den Ideen des Vorstands für Bayern, dafür wurde eine organisationspolitische Kommission eingesetzt. Den Schwerpunkt auf Strukturreformen zu setzen sei "völlig verfehlt", sagt der Landtagsabgeordnete Florian von Brunn. Die SPD müsste konkrete Vorschläge machen, wo sie hin wolle. Sie müsse die Grünen stellen und die Unterschiede aufzeigen: dass die SPD beim Klimaschutz eben Arbeitsplätze und Wirtschaft mitdenke. Dass es doch heuchlerisch sei, in Frankfurt eine vierte Startbahn zu bauen und in München gegen die dritte zu sein. Brunn hat noch viele Vorschläge. Er versteht es, sie zu verkaufen. Manche meinen, von ihm höre man in einer Woche mehr als von Kohnen in einem ganzen Monat. Eigentlich wären die zwei das perfekte Duo. Brunn kann, was Kohnen schwer fällt: verkaufen. Kohnen dagegen versteht sich darauf, parteiinterne Fettnäpfchen zu meiden, in die Brunn regelmäßig tritt. Brunn aber ist auch Kohnens größter Konkurrent, und so sind sich die zwei spinnefeind.

Menschen wie Martin Baumann verstehen das nicht ganz: "Ich dachte immer, es geht um das Beste für die Partei und nicht um Personen." Aber was weiß er schon, er lebt jetzt ja ohne SPD. Ob er sie denn nicht doch einmal wieder zurück will? "Sag niemals nie", sagt Baumann. Immerhin: ein bisschen Hoffnung bleibt.

© SZ vom 08.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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