Dialekt:Warum die Franken zu Pessimismus neigen

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Der Staffelberg bei Bad Staffelstein gilt den Franken als heiliger Berg. Auf ihre Sprache sind nicht alle Franken gleichermaßen stolz, mancher versucht gar sie hinter harten Konsonanten zu verbergen. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Helmut Haberkamm kennt die Feinheiten des Fränkischen. Im Interview spricht er über die Sprache, die Geschichte und die Mentalität der Menschen.

Interview von Olaf Przybilla, Nürnberg

Der Schriftsteller Helmut Haberkamm hat einen "Gräschkurs Fränkisch" verfasst. Ein Gespräch über den Wohlklang fränkischer Aufweichung, das La-La-Land und die Unmöglichkeit, jemandem auf Fränkisch den Krieg zu erklären.

SZ: Herr Haberkamm, die schwierigste Vokabel für alle Nicht-Franken ist das "fei".

Helmut Haberkamm: Verstehe ich. Das fränkische "fei" ist allgegenwärtig, ein Würzwort, Sprachwissenschaftler würden von einer Abtönungspartikel sprechen. Es kommt eigentlich von "fein", aber das merkt man dem Wort heute kaum noch an.

Hat sich irgendwie verselbständigt.

Genau. Der Franke benutzt das zum Abtönen, zum Würzen von Aussagen, um diesen eine subjektive Schlagseite zu geben. Sage ich: "Du bist blöd", ist das eine Aussage. Wenn ich sage "Du bist fei blöd", gebe ich dem einen bestimmten Nachdruck. Das kann heißen "Das hätte ich nicht von Dir gedacht", "das überrascht mich jetzt" oder auch: "Bloß, damit Du es weißt." Das kann ernst gemeint sein oder ironisch.

Klingt nicht völlig trivial.

Also wenn ich zu meiner Frau sage: "Du bist fei wergli schee bleed", ist das mindestens als Lob gemeint. Um "fei" richtig zu verstehen, braucht man also immer einen Kontext, einen Sprecher, dessen Gegenüber, eine Aussageabsicht - erst dann lässt sich herauslesen, was genau gemeint ist.

Ein bisschen wie in asiatischen Sprachen?

Gibt's aber auch im Englischen. "Well" heißt als Antwort in bestimmter Betonung alles andere als Zustimmung. Eher schon: Kann man so sehen, ich halt's für Blödsinn.

Helmut Haberkamm, 58, hat Anglistik, Amerikanistik und Germanistik studiert, er lebt als Autor und Gymnasiallehrer in Spardorf bei Erlangen. Sein "Gräschkurs Fränkisch" ist im Ars Vivendi Verlag (Cadolzburg) erschienen. (Foto: Privat)

Ebenfalls für Nicht-Franken kaum zu dechiffrieren ist das Wort "Woor".

Das ist ein ganz wichtiges Wort in Mittelfranken. Und es wird sicher nicht einfacher dadurch, dass es Sätze gibt wie "Wer waaß, was vo dera Woor wohr woor", was übersetzt etwa bedeuten würde: Wer weiß, was an dieser Sache wahr war. Klingt fast nach Kindersprache, beinahe ein bisschen wie Dada. Ist aber vollständig ernst gemeint.

"Woor" ist multipel einsetzbar oder?

Auch da kommt es auf den Kontext an. Wenn einer am Marktstand "a weng a greena Woor" will, verlangt er nach Gemüse. "Ich muss noch schnell mei Woor eikaafn" heißt, dass einer Lebensmittel braucht. Ein hohes Lob in Franken ist: "Der schaut scho, dass die Woor bassd." Das heißt, dass einer gewissenhaft ist. Sagt einer zu seinem Vater: "Mach fei ka Woor", soll der keinen Unsinn machen. Sagt wiederum ein Mann über seine Frau, dass diese "heid ihr Woor" hat - dann geht's um Menstruation.

Ist Sprache Spiegel einer Geisteshaltung?

Unbedingt. Der Franke etwa tut sich wahnsinnig schwer darin, zu loben oder Charme auszurücken. Das ist unsere Schlagseite. Zu einem sehr guten Essen sagen wir: "Des kammer fei essen dei Woor da." Diese Bassd-scho-Haltung kann gut sein im Sinne einer Bescheidenheit. Kann aber auch schlimm sein als Zeichen von Gleichgültigkeit, geringer Wertschätzung, fehlendem Lebensgenuss. Das ist manchmal schade.

Woher kommt denn das?

Ich führe das auf die Zersplitterung Frankens zurück. In dem Moment, wo ein Zentrum da ist, gibt es auch eine Norm. Und wenn der Herrscher Dialekt spricht, dann ist dieser geadelt. Wo es viele Herrschaften gibt wie in Franken, kriegt man immer einen auf den Deckel. Und das führt dazu, dass man vorsichtig wird, misstrauisch, eher pessimistisch. Optimismus? Es könnte ja auch bald wieder schlimmer werden.

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Schlimm kann es klingen, wenn Franken krampfhaft Standarddeutsch sprechen.

Und Konsonanten verwechseln. Da frage ich mich: "Warum tun sie tas ploß?" Beckstein wurde ja veralbert deshalb. Ein Zeichen von mangelndem Selbstbewusstsein.

Dabei macht der Wohlklang der Aufweichung das Hässliche oft erst schön.

Absolut: Bauerboindbräsendazion klingt doch wunderbar. Oder eine Däddlein, das richtige Daiming oder ein Datschbedd.

Dazu kommt dann noch dieser liebreizende Hang zum Verkleinern.

Ja, wir leben im La-La-Land. Hier gibt's Babbierla, Beiderla, Engerla - klingt doch viel schöner als Papier, Beutel, Engel. Das schafft eine liebliche, warmherzige, zugewandte Melodik, fast wie bei Kosenamen.

In so einer Sprache kann man keinen Krieg erklären.

Völlig richtig. Höchstens ein Kriegla. Aber das wäre kein Krieg, sondern ein Krug.

© SZ vom 13.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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