Verfassungsschutz:Ein Vorzeigeevent für Toleranz - mit Islamisten auf der Rednerliste

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Aktionen gegen Rassismus gibt es in den verschiedensten Formen, die Augsburger Variante allerdings steht in der Kritik. (Foto: Imago/IPA Photo)

In Augsburg findet der Auftakt der UN-Wochen gegen Rassismus statt. Allerdings mit umstrittener Prominenz, der die Verharmlosung von Antisemitismus vorgeworfen wird.

Von Stefanie Schoene, Augsburg

Rassismus hat viele Gesichter. Er kann sich gegen Hautfarbe, Religion, Nationen, sexuelle Identitäten, Behinderung von Menschen richten. Mit einem umfangreichen Programm zu den "UN-Wochen gegen Rassismus" will die Stiftung gegen Rassismus aus Darmstadt auch in Deutschland Flagge gegen Hass und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zeigen. Bundesweit finden bis zum 2. April etwa 4500 Veranstaltungen statt, eine wichtige zum Auftakt in Augsburg. Doch an dieser gibt es Kritik.

Denn Minderheiten, deren Mitglieder rassistisch angegriffen werden, sind nicht automatisch selbst Demokraten. In Augsburg steht bei der Veranstaltung, einem öffentlichen Freitagsgebet zum ersten Fastentag des Ramadan, ein Funktionär des Verbandes Islamische Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) mit auf der Bühne. Es ist ein Vorzeigeevent, von dem ein Zeichen für mehr Toleranz und Empathie ausgehen soll. Mehrere religiöse Dachverbände, darunter Jesiden, Sikhs, Buddhisten, Aleviten und Bahai, schicken zu diesem Anlass ihre höchsten Vertreter in die Stadt.

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Milli Görüş ist eine Moschee-Dachorganisation, die in den 1970er-Jahren von Funktionären aus der Türkei für die muslimischen Arbeiter in Deutschland gegründet wurde. Sie vertritt 325 Moscheevereine im Bundesgebiet und fiel über Jahrzehnte durch radikale islamistische Demonstrationen, Missionierungsversuche und Bildungsarbeit auf. In Bayern wird sie bis heute als Teil des "legalistisch-islamistischen" Spektrums vom Verfassungsschutz beobachtet. Wie das Landesamt für Verfassungsschutz auf Anfrage mitteilt, wird die IGMG auch im neuen, noch nicht veröffentlichten Bericht erwähnt werden.

Jürgen Micksch, Vorstand der Stiftung gegen Rassismus, hat damit kein Problem. Im Gegenteil. "Wir bringen die Religionsgemeinschaften an einen Tisch. Das ist nicht immer störungsfrei, es gibt viele Debatten zwischen den Gruppen. Aber nur so geht es." Er ist evangelischer Theologe und Soziologe und seit Jahrzehnten gut vernetzt mit Milli Görüş und anderen umstrittenen muslimischen Initiativen. Er war Mitgründer zahlreicher interreligiöser Vereine, darunter auch des Abrahamischen Forums und der Arbeitsgruppe "Muslime und Verfassungsschutz". Die IGMG ist ein langjähriger Partner.

Das System soll "zugunsten einer islamischen Grund- und Werteordnung" gestaltet werden

Ein verkannter Verband? Wie das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auf Anfrage erklärt, beobachtet nicht nur Bayern die IGMG und ihre Moscheevereine als "legalistisch-islamistische" Organisationen. Auch in fünf weiteren Bundesländern steht sie im Fokus der Verfassungsschutzämter. "Legalistisch" bedeutet, dass nicht zur Gewalt aufgerufen wird, der Islam jedoch nicht nur als persönliche Glaubenspraxis gilt, sondern als umfassendes Gesellschaftsmodell: "Sie versuchen, das gesellschaftliche und politische System langfristig zugunsten einer islamischen Grund- und Werteordnung mitzugestalten und ihre Agenda in Politik und Gesellschaft zu etablieren", so die Verfassungsschützer.

Necmettin Erbakan, der verstorbene IGMG-Gründer und frühere Ministerpräsident der Türkei, und seine Schriften stehen für ein Weltbild unversöhnlicher Gegensätze: Hier die "Umma", die gerechte Weltgemeinschaft der Muslime. Dort der dekadente, feindliche Westen, der von Juden beherrscht wird: "Der Zionismus ist eine Ideologie, dessen Zentrum sich in der New Yorker Wallstreet befindet. Die Zionisten glauben, dass sie die auserwählten Diener Gottes sind, dass die anderen Menschen als ihre Sklaven geschaffen wurden. Sie gehen davon aus, dass es ihre Aufgabe ist, die Welt zu beherrschen", schrieb er in seinem Manifest "Gerechte Ordnung". Zu seinem Todestag wird Erbakan in den IGMG-Vereinen bis heute mit Ritualen und Programmen zum "Gedenken der Altvorderen" geehrt.

Jürgen Micksch erklärt: "Ja, die Konzepte von Erbakan sind natürlich höchst fragwürdig. Und es ist nötig, sich damit auseinander zu setzten. Aber wir haben in vielen Bundesländern erreicht, dass die IGMG nicht mehr beobachtet wird. Auch in Bayern gibt es unserer Meinung nach keine Grundlage für die Beobachtung."

In Augsburg kooperierte er mit dem Runden Tisch der Religionen. Helmut Haug, Dekan der katholischen Kirche und Leiter des runden Tisches, erklärt, das Augsburger Programm sei von der Stiftung festgelegt worden. Ein Problem, der IGMG eine Bühne zu geben, sieht er nicht. "Nur so können ja Themen wie Antirassismus angesprochen werden", erklärt er schriftlich. Auf die Frage, ob der Antisemitismus ein Problem darstellt, antwortet er nicht.

Herrmann Bredl, Antisemitismus-Beauftragter der Israelitischen Kultusgemeinde Augsburg, ist entsetzt. "Milli Görüs hat in Deutschland bis heute keine ernsthafte, kritische Auseinandersetzung mit antisemitischen Inhalten und Israel-bezogenem Antisemitismus gezeigt. Eine vor über zehn Jahren formulierte erste Distanzierung vom Weltbild Erbakans wurde nicht fortgesetzt oder mit jüdischen Verbänden aufgearbeitet." Der Auftritt verharmlose den Antisemitismus, die Gemeinde verurteile die prominente Platzierung der IGMG bei diesen Veranstaltungen "in aller Schärfe".

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