Prozess:Mordversuch im Vorübergehen

Lesezeit: 3 min

Der Angeklagte sagt nichts vor Gericht. Weder zur Sache, noch zur Person. Sein Gesicht verhüllt er. (Foto: prz)
  • Ein 19-Jähriger steht vor Gericht, weil er in Ansbach mehrmals auf einen Bundespolizisten eingestochen haben soll.
  • Die Tat ereignete sich im April 2016. Der Polizist überlebte, weil er eine Schutzweste trug.
  • Offenbar wollte der Mann verhindern, dass er wegen Drogenbesitzes angezeigt wird.

Aus dem Gericht von Olaf Przybilla, Ansbach

Sollte es zutreffen, was die Staatsanwaltschaft einem 19-jährigen Hilfsarbeiter zur Last legt, dann hat dieser quasi im Vorübergehen ein Kapitalverbrechen begangen. Ob das nachzuweisen sein wird, ist nach dem ersten Verhandlungstag am Ansbacher Landgericht allerdings alles andere als sicher.

Am Tatort wurden keine wirklich aussagekräftigen Spuren entdeckt, die angebliche Tatwaffe - ein Messer - wurde ebenfalls nicht gefunden. Und obwohl sich die Tat an einem Bahnhof zugetragen hat, gibt es auch keine Kamerabilder mit Aussagekraft. Dem 19-Jährigen wird ein versuchter Mord an einem Bundespolizisten vorgeworfen. Am ersten Tag schweigt er, beantwortet weder Fragen zur Sache noch zur Person. 29 Zeugen sind für den Prozess geladen, das Gericht stellt sich auf einen langen Indizienprozess ein.

Prozess
:Sprengsatz im Stadion: 19-Jähriger vor Gericht

Der Niederländer verletzte in der Fröttmaninger Arena durch einen hochexplosiven Böller acht Menschen.

Von Thomas Schmidt

Laut Anklage soll der damals 18-Jährige in einer Nacht im April 2016 an einen Container am Ansbacher Bahnhofsplatz uriniert haben. Zumindest soll er im Begriff gewesen sein, dies zu tun. Die Staatsanwaltschaft nimmt an, dass ein heute 43 Jahre alter Bundespolizist zufällig vorbeikam und den jungen Mann darauf aufmerksam machte, dass es im Bahnhof öffentliche Toiletten gebe; dass der Wildpinkler seine Geschäfte also auch wenige Meter entfernt verrichten könne. Die These des Staatsanwalts lautet nun so: Ohne sich weiter um den 18-Jährigen zu kümmern, soll der Bundespolizist zum Hintereingang der Inspektion gegangen sein. Der Angeklagte soll ihm gefolgt sein, ohne zu merken, dass es sich bei dem Mann, der ihn zur Ordnung gerufen hatte, um einen Polizisten handelte.

Der 18-Jährige soll sich von hinten an den Beamten herangeschlichen und ein Messer gezückt haben. Der Polizist merkte erst kurz vor der Attacke, dass sich da jemand nähert und drehte sich um. Daraufhin soll der Angreifer sechsmal auf ihn eingestochen haben. Ein Stich traf die Schulter des 43-Jährigen, einer die Achsel, einer den Arm, einer die Brust. Zweimal traf der Messerstecher den Bauch des Beamten.

Lebensgefährlich wurde er nur deshalb nicht verletzt, weil er eine Schutzweste trug. Der Beamte wich zurück und fiel eine steile Treppe mit 14 Stufen herab, ein Sturz aus 2,50 Meter Höhe. "Ich hatte Lebensangst", sagt er. Prellungen und Hautabschürfungen zog er sich zu und wurde kurz bewusstlos. Noch heute leidet er an Schlafstörungen, Ärzte haben ihm eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert.

Eine Großfahndung blieb zunächst erfolglos

Ein Kollege rief ihn nach einiger Zeit auf dem Mobiltelefon an, er sorgte sich. Als sich nur die Mobilbox meldete, habe er sich auf die Suche nach dem Kollegen begeben, berichtet er. Der taumelte ihm entgegen, geweckt offenbar vom klingelnden Handy, und stammelte etwas von einem Übergriff. Daraufhin leitete die Polizei eine Großfahndung ein. Sie blieb ergebnislos.

Erfolg hatte etwa einen Monat danach erst die öffentliche Fahndung mithilfe eines Phantombilds: Gesucht wurde nach einem etwa 1,90 Meter großen, hageren Mann mit kurz geschorenen Haaren. So in etwa sieht der Mann auf der Anklagebank aus, er trägt Fußfesseln und verfolgt die Verhandlung stoisch und mit verschränkten Armen. Unreine Haut habe der Angreifer gehabt, und ein markantes Gesicht, ergänzt der 43-jährige Beamte vor Gericht, daran könne er sich noch erinnern.

Alles das trifft auf den Angeklagten zu. Ob er glaube, dass es der Mann auf der Anklagebank war, der ihn damals attackierte, wird er gefragt. "Als ich ihn eben gesehen habe", antwortet der, "haben mir Kopf und Bauch gesagt: wahrscheinlich ja." Hundertprozentig aber könne er das beim besten Willen nicht sagen. Dafür ging alles zu schnell.

Hatte der Mann Angst, dass er mit Drogen erwischt wird?

Zeugen aus einer Vollzugsanstalt, in der der Angeklagte eines anderen Deliktes wegen einsaß, wollen gehört haben, wie sich der 19-Jährige über die Tat äußerte. Auch Zeugen aus seinem Umfeld wollen das vernommen haben, allerdings erst nachdem eine Belohnung ausgesetzt war. Sie sollen in den kommenden Tagen gehört werden.

Warum der Angeklagte überhaupt zugestochen haben soll? Der Staatsanwalt nimmt an, dass der 18-Jährige in der Nacht nach Cannabis gerochen hat und fürchtete, dass der Mann, der ihn aufforderte, eine Toilette zu benutzen, dies gerochen haben muss. Weil der Rufer auf dem Weg zur Polizei war, habe der 18-Jährige eine Anzeige gefürchtet und sei dem Mann gefolgt. Die Anklage lautet auf versuchten Mord zur Verdeckung einer Straftat.

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Selbstjustiz
:"Warum haben Sie nicht einfach die Polizei geholt?"

In Berlin hat ein Supermarktchef immer wieder Ladendiebe brutal verprügelt - bis einer an den Folgen starb. Der Angeklagte spricht von einem langsamen Abgleiten in die Selbstjustiz.

Von Verena Mayer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: