Es ist kurz nach neun, als Jessica B. in den Gerichtssaal schlurft. Sie trägt Kapuzenjacke, ihr Haar ist zum Pferdeschwanz gebunden. Eine Frau, "die ihre Kinder auch mag und liebt", sagt ihr Anwalt, "eine ganz normale Mutter". Aber normal ist nichts an dem Fall, um den es von Mittwoch an am Regensburger Landgericht geht.
Es muss etwas gewaltig schief gelaufen sein, wenn eine Mutter ihr Kind anzündet und die Eltern sich lieber ihrem Sexleben widmen als einen Arzt zu rufen. Der Richter soll nun Antworten finden auf die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass scheinbar normale Eltern ihren eigenen Sohn beinahe krepieren ließen.
Als Jessica B. in den Saal kommt, sitzt ihr Mann Oliver S. bereits auf der Anklagebank. Ein kleiner, unauffälliger Mann mit kurzem, lichtem Haar. Die Staatsanwaltschaft wirft dem arbeitslosen Ehepaar, beide 37, gemeinschaftlich versuchten Mord durch Unterlassen vor. Das Opfer: ihr heute sechsjähriger Sohn Jamie.
Es geschah am 30. September 2016 im Garten des Paares, das mit seinen fünf Kindern in Waldmünchen (Kreis Cham) lebte. Wohl um einen Diebstahl zu vertuschen, goss Jessica B. Benzin aus einem Kanister über einige Gegenstände, die ihr Ehemann kurz vorher aus einem fremden Auto geklaut haben soll: ein Navigationsgerät, eine Brille, einen Kugelschreiber.
Weil auch der Kanister Feuer fing, soll Jessica B. ihn weggeschleudert haben. Brennendes Benzin trat aus und traf den kleinen Jamie, der auch im Garten war. Eine Minute lang soll der Bub gebrannt haben. Laut Anklage erstickte die Mutter die Flammen mit einer Jacke, dann trug der Vater den Buben ins Haus. Dort kühlten die Eltern dessen Körper mit kaltem Wasser.
Dann sollen sich die Eltern im Internet informiert und daher gewusst haben, dass ihr Sohn lebensgefährlich verletzt war und sofort hätte behandelt werden müssen. Weil sie nichts unternahmen, spricht die Staatsanwaltschaft von einer "gefühllosen, mitleidlosen und gleichgültigen Gesinnung" des Paares, das im Netz sehr bald nicht mehr nach Brandverletzungen googelte, sondern nach Sexualpartnern für Sadomaso-Spiele. Einem potenziellen Sexualpartner, einem Krankenpfleger, soll Oliver S. sogar geschrieben haben, dass sein Sohn schwer verletzt sei. Das Hilfsangebot des Pflegers soll S. abgelehnt haben.
Die Sache flog auf, als die Eltern vier Tage später an eine Tankstelle fuhren und deren Pächterin der schwer verletzte Bub auffiel. Nachdem die Pächterin die Polizei gerufen hatte, soll ihr Jessica B. am Telefon mit Rache gedroht haben: "Wenn Sie die Tankstelle abends zusperren, ist es dunkel. Ich finde heraus, wo Sie wohnen und dann stehen Sie nicht mehr auf."
Am ersten Prozesstag wollen Jamies Eltern nicht über die Vorwürfe reden. Dafür spricht eine Kripobeamtin, die nach dem Anruf der Tankstellenpächterin mit Kollegen zum Haus des Paares gefahren war. Dort habe sie den Bub "zusammengekauert auf einer Couch in einem Zimmer sitzen sehen, am ganzen Körper zitternd".