Jugendämter:Mehr Kinder in Gefahr

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Immer häufiger schreiten die Jugendämter ein, um Kinder vor Misshandlung oder Vernachlässigung zu schützen. Im vergangenen Jahr mussten die Behörden 136.900 Verfahren bearbeiten, um die Gefährdung des Kindeswohls zu prüfen.

Von Ulrike Heidenreich, München

Immer häufiger schreiten die Jugendämter ein, um Kinder vor Misshandlung oder Vernachlässigung zu schützen. Im vergangenen Jahr mussten die Behörden rund 136 900 Verfahren bearbeiten, um die Gefährdung des Kindeswohls zu prüfen. Das ist ein Anstieg um 5,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das Statistische Bundesamt hat am Mittwoch diese Zahlen vorgelegt. Die Zahl der akuten Fälle stieg auf 21 600, das ist eine Zunahme von 3,7 Prozent. Dies sind Fälle, in denen die Jugendämter zu der Ansicht kommen, dass den Kindern und Jugendlichen Gefahr droht und sie sofort aus ihrem häuslichen Umfeld herausgeholt werden müssen.

Besonders häufig leiden Kinder, die jünger als drei Jahre sind, unter psychischer und physischer Gewalt oder kompletter Vernachlässigung. In 24 200 Verfahren stellten die Jugendämter eine "latente" Gefährdung des Kleinkindes fest. Bei den meisten der rund 45 800 Kinder mit akuter oder latenter Gefährdung erkannten die Mitarbeiter der Jugendhilfe Anzeichen von Vernachlässigung. In rund 28 Prozent der Fälle wurden Anzeichen für psychische Misshandlung festgestellt. Bei einem guten Viertel gab es Anzeichen für körperliche Misshandlung. Anzeichen für sexuelle Gewalt wurden in 4,4 Prozent der Fälle von Kindeswohlgefährdung festgestellt.

Die Jugendämter erfahren von Gewalt in Familien von Schulen, Nachbarn, der Polizei, oft auch anonym. Dann müssen sie belegen, dass den Kindern neben körperlicher Misshandlung psychische Schäden drohen - um die Gefährdung des Kindeswohls zu begründen. Möglich ist es dann, die Kinder zeitweise oder auch dauerhaft anderweitig unterzubringen und betreuen zu lassen - bis hin zum Entzug des Sorgerechts. Dass die Zahlen in der Statistik kontinuierlich steigen, hängt mit der wachsenden Überforderung von Eltern zusammen. Aber auch die wachsende Vorsicht der Jugendämter spielt eine Rolle: Nach der Häufung erschütternder Todesfälle von Kindern wollen sie sich im Zweifel nicht dem Vorwurf aussetzen, zu lange zugeschaut zu haben und bringen Kinder schneller zu Pflegestellen. In rund 46 600 Fällen (plus acht Prozent) kamen die Ämter im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass zwar keine Gefährdung der Kinder vorlag, aber Unterstützung der Erziehungsberechtigten notwendig ist.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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