Prozess:Die Nacht, in der 13 Menschen ertranken

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Am Ziel der Überfahrt. Eine Afghanin verlässt im Norden der Mittelmeerinsel Lesbos ein Schlauchboot. Unzählige Menschen ertranken auf dem Weg dorthin. (Foto: Socrates Baltagiannis/dpa)
  • Drei Männer müssen sich vorm Landgericht Traunstein wegen bandenmäßiger Schleusung mit Todesfolge verantworten.
  • Im September 2015 sank nachts in der Ägäis ein Schlauchboot, nachdem es mit einem Frachter kollidierte.
  • 46 Menschen sollen an Bord gewesen sein, mindestens 13 starben.

Von Matthias Köpf, Traunstein

Er will nur ein kleines Rädchen gewesen sein in der Organisation von el Khal, dem "Onkel". Um selbst irgendwann doch noch das Geld zusammenzubekommen für die Weiterreise nach Europa, habe er dieser Organisation andere Flüchtlinge vermittelt, die vom türkischen Izmir übers Meer auf die wenige Kilometer entfernte griechische Insel Lesbos gelangen wollten. So lässt es der 27 Jahre alte Mann aus dem syrischen Aleppo seinen Anwalt erklären.

Viele dieser Flüchtlinge haben es geschafft, und auch er selbst kam irgendwann in Deutschland an, wo er schließlich in einer Flüchtlingsunterkunft in Burghausen landete. Deswegen sitzt er nun im Landgericht Traunstein auf der Anklagebank, neben ihm zwei weitere Palästinenser, die auch aus dem seit fast 70 Jahren bestehenden Flüchtlingslager bei Aleppo stammen. Sie sind der bandenmäßigen Schleusung mit Todesfolge angeklagt, denn mindestens 13 Menschen haben es eben nicht geschafft im September 2015.

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Sie sind ertrunken, als ihr unbeleuchtetes Schlauchboot nachts in der Ägäis von der "Sultan Atasoy" gerammt wurde, einem 109 Meter langen türkischen Frachter. Ein Junge war noch keine zwei Jahre alt, einer könnte es gerade schon gewesen sein. Zwei weitere tote Kinder waren neun, eines zwölf. Eine Siebenjährige und ein Elfjähriger werden vermisst. Von einem Opfer ist nur bekannt, dass es ein Mann gewesen sei. Doch all diese Todesopfer will der Angeklagte nicht vermittelt haben an den "Onkel" und dessen Leute. Diejenigen, die er angesprochen habe, Palästinenser aus Syrien wie er selbst, hätten alle überlebt.

Am Leben geblieben ist auch der Mann, der das Schlauchboot in jener Nacht gesteuert hat. Das lassen die Schleuserbanden in der Regel einen der Flüchtlinge erledigen, gegen Nachlass des Fahrpreises. Beim ersten Versuch, der dann schnell an der türkischen Küstenwache gescheitert ist, habe er das Steuer übernommen, weil er kein Geld mehr gehabt habe, sagt der 24-Jährige. Dann habe der Bruder in Syrien ein Haus verkauft, um den Fahrpreis für den zweiten Versuch aufzubringen. Dabei sei er von den teilweise bewaffneten und vermummten Schleusern trotzdem ans Steuer gezwungen worden, sagt der Mann.

Zwei Stunden sollte die Überfahrt dauern, navigiert per GPS am Mobiltelefon. Das vielleicht zehn Meter lange Boot war vollkommen überfüllt und entsprechend langsam, doch nach drei Stunden waren in der Dunkelheit fahrende Autos zu sehen, erzählt der Steuermann. Den als große schwarze Masse herannahenden Frachter habe er erst gesehen, als es zu spät war. Beim Zusammenstoß verletzte er sich am Rücken, das Schiff sei weitergefahren, vom Boot nichts mehr zu sehen gewesen.

Das Schlauchboot wurde noch mehrere Stunden mitgeschoben

Zwei andere Flüchtlinge, die im Gegensatz zu ihm Schwimmwesten trugen, hätten ihn gerettet. Nach vier, fünf Stunden kam dann zuerst der Hubschrauber, dann die griechische Küstenwache. Später hat sich herausgestellt, dass das Schlauchboot noch mehrere Stunden vom Frachter mitgeschoben wurde, einige Passagiere konnten sich festklammern und sich auf diese Weise retten. Laut Staatsanwaltschaft sollen etwa 46 Menschen an Bord gewesen sein. Überlebende hätten ausgesagt, der Mann sei freiwillig ans Steuer gegangen. Später hat sich auch er nach Deutschland durchgeschlagen. Er lebte in Rüsselsheim, bis er verhaftet wurde, als Steuermann ist er nun der Beihilfe angeklagt.

Der Vermittler will sich zum Zeitpunkt der tödliche Kollision schon schlafen gelegt haben, denn seine Klienten hätten ihm am Telefon berichtet, dass die Küste in Sicht sei. Er habe die Menschen ohnehin stets nur zu einem Hotel in Izmir gebracht, der Rest sei Sache von "Onkel" el Khal und der "türkischen Seite" gewesen. Selbst habe er nie mehr als fünf Leute für eine Fahrt angeworben, doch in den Vernehmungsakten fand das Schwurgericht da auch andere Angaben. Aus den Akten ergebe sich auch, "dass die türkische Seite die Leute mit Gewehren zusammengetrieben und gezwungen hat, auf die Boote zu gehen", sagt der Vorsitzende Erich Fuchs und meldet Zweifel an, dass der Angeklagte davon wirklich nichts gewusst habe.

Die ermittelnde Bundespolizistin hält ihn erklärtermaßen nicht für ein kleines Rädchen, sondern für einen der wichtigeren Strippenzieher bei diversen Schleusungen aus Izmir. Er selbst will pro Person nur 50 bis 100 Dollar Vermittlungshonorar bekommen haben. Insgesamt kostete die Passage nach Griechenland in der Regel mehr als 1000 Dollar pro Erwachsenem, Kinder ermäßigt. In sechs Fällen, die die Staatsanwaltschaft dokumentiert hat, sollen so mindestens 250 Menschen nach Europa gelangt sein.

40 Zeugen sollen gehört werden

Deren Geld soll zum Teil der Hauptangeklagte verwahrt haben, zu einem anderen Teil aber auch ein ebenfalls angeklagter 34 Jahre alter Landsmann, der damals schon mit seiner Familie in Berlin lebte. Er soll als eine Art Treuhänder das Honorar verwahrt und erst dann an die Schleuser weitergeleitet haben, wenn der betreffende Flüchtling per Mobiltelefon einen vereinbarten Code übermittelte und so bestätigte, dass er angekommen sei. Doch der Mann will nur Transaktionen ausgeführt haben, die nicht im Zusammenhang mit Schleusungen standen, sondern Darlehen für die Weiterreise gewesen seien.

Als finanzieller Beihelfer zu Schleusungen wurde der Mann in Berlin schon einmal zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die Bundespolizei hatte deswegen sein Telefon abgehört und stieß dabei auf den nun in Traunstein verhandelten Fall. Das Landgericht hat sieben Verhandlungstage angesetzt und will 40 Zeugen hören. Das Urteil soll im August fallen.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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