Rekord-Hobby:Gefaltete Flotte

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Die Papierflotte, die Oliver Stoll in Pfaffenhofen aufkreuzen lässt, ist trotz der kleinen Abmessungen ziemlich groß. (Foto: privat)

Origami war gestern: In Pfaffenhofen stellt Oliver Stoll seine riesige Sammlung von Kriegsschiffen und Lokomotiven vor. Alle gebastelt aus Papier.

Von Sophie Burkhart, Pfaffenhofen an der Ilm

Er schiebt die Ladeöffnung des Trommelrevolvers zurück und setzt das Magazin - Klick! - in den vorgesehenen Behälter ein. "Mit dem Ding hab' ich schon auf meine Teddybären geschossen", erzählt Oliver Stoll. Für einen richtigen Einsatz ist der Revolver allerdings nicht geeignet, denn er ist nur wenige Zentimeter groß - und aus Papier! In Pfaffenhofen an der Ilm stellt Stoll derzeit sein Lebenswerk aus Papier aus. Weit über 700 handgearbeitete Modelle von Schiffen, Zügen, Seehäfen und vielem mehr stehen hier in der Kunsthalle. Die größte Sammlung von Papier- und Kartonmodellen und damit ein Weltrekord, wie das Rekordinstitut in Hamburg bestätigt hat. Dazu gehören 230 Schiffe und 60 Lokomotiven von fünf verschiedenen Kontinenten.

In einer kleinen Vitrine bewahrt der Konstrukteur seine ältesten Schätze auf. Einer davon ist der Revolver, dessen Alter man anhand des vergilbten Papiers erahnen kann. Oliver Stoll ist Anfang der Sechzigerjahre aufgewachsen, in eher bescheidenen Verhältnissen, wie er erzählt. "Was hat man in jedem Haushalt? Papier, Schere und Kleber", sagt er. "Das Spielzeug, das ich mir nicht leisten konnte, habe ich also einfach selbst gebastelt." Als kleiner Bub habe er eine 1000 Mann starke Soldatentruppe besessen, und die hätten eben eine Ausrüstung gebraucht. Mit einem einfachen Säbel habe alles angefangen und sich dann schnell zu ganzen Schiffsflotten hochgesteigert.

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"Mit Anfang 20 hatte ich mir in den Kopf gesetzt, eine russische Flotte zu bauen, die 1905 bei der Seeschlacht bei Tsushima die japanische besiegt hätte", erinnert sich Stoll an sein erstes Großprojekt zurück. Er hat viele russische Schiffe gebaut, sie mittlerweile aber alle umbenannt als Konsequenz auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Der 66-Jährige ist geschichtsinteressiert, hat viele Bücher gelesen. Aus denen hatte er damals, als es das Internet noch nicht gab, auch seine Vorlagen für die Modelle. Da sei er zwar gut ausgestattet gewesen, aber bei einem Projekt hätten ihm die bildlichen Vorgaben gefehlt: dem offensiven Minenleger. "Da hatte ich nur grobe Unterlagen, und der Rest, der ist hier oben passiert", sagt Oliver Stoll und tippt sich an den Kopf. Das war in den 1970er-Jahren. 2002 habe er dann in einer Ausstellung einen Plan eines solchen Kriegsschiffes gesehen, der zu 95 Prozent mit seinem Entwurf übereingestimmt habe. Da sei ihm die Kinnlade runtergefallen, erzählt der Bastler stolz.

Oliver Stoll mit dem Modell eines Torpedo-Depot-Schiffs, an dem er zehn Jahre lang immer wieder gearbeitet hat. (Foto: privat)

Sein Handwerk vergleicht er oft mit der Arbeit eines Malers, denn Schiffskonstrukteure könne man genauso fälschen. Er fälsche am liebsten den britischen Ingenieur William White; vier Panzerkreuzer, die es so nie gegeben habe, seien von White inspiriert. Für seine Kunstwerke braucht Stoll nicht viel: handelsübliches Karopapier, einen Stift, Zirkel, Skalpell und Schere - und natürlich Kleber. Papier kann man zwar nicht mit Eisen und Stahl vergleichen, doch die Schiffe sind beim Hochheben stabiler als erwartet. Das liegt an Stolls persönlichem Trick: Er klebt das Papier in mehreren Lagen zusammen, meist sind es vier.

Einige Modelle, wie ein kleines Maschinengewehr, sind keine fünf Zentimeter groß. Er nimmt das Modell auf seine Hand; dass diese doch breiteren Finger etwas so Filigranes formen können, man kann es fast nicht glauben. Oliver Stoll zuckt nur die Schultern, er weiß auch nicht, wie das geht. Die kleinen Modelle seien aber nur fürs "Ambiente". Wer genau hinschaut, entdeckt manch lustiges Detail: In einem Waggon hat er beispielsweise eine Toilette eingebaut. "Mit offenem Klodeckel, na, wer macht denn sowas?", scherzt er.

Manche Modelle sind winzig klein - auch im Vergleich zu Oliver Stolls durchaus breiten Händen, die sie geformt haben. (Foto: privat)

An seinen größeren Konstrukten sitzt der Modellbauer schon mal mehrere Stunden. Mit am längsten hat er für ein Torpedo-Depot-Schiff gebraucht: knapp zehn Jahre. "Ich hatte voller Enthusiasmus angefangen und dann war ich einfach zu blöd. Ich hatte es nicht im Kopf", sagt er. Deshalb sei daraus zuerst ein Frachter geworden, bevor er das Modell finalisieren konnte. Das mache er häufiger, Gebautes noch mal überarbeiten. "Ist ja immerhin meine eigene Flotte." Nur acht Blatt Papier habe er für das Schiff gebraucht, denn bei seiner Faltarbeit werde grundsätzlich nichts weggeschmissen.

Der 66-Jährige erfüllt sich auch noch Träume aus seiner Kindheit. "Als Kind hatte ich es nie geschafft, einen abnehmbaren Verschluss einer Bajonette zu bauen", berichtet er. "Das ist mir dann vor 20 Jahren gelungen." Inzwischen sind die Papiermodelle wieder in Kisten verschwunden - vermutlich für immer. "Ich bin auch nicht mehr der Jüngste", sagt Oliver Stoll. Das Basteln wird er aber nicht aufgeben. "Mein Papiervorrat reicht noch bis ich 120 Jahre alt bin."

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