Die Zeiten waren anders, als die Europäischen Wochen Passau (EW) im August 1952 ihre Premiere feierten. Gefragt waren nicht nur Musik und Kultur - geboten wurden Orchester- und Orgelkonzerte, ein Ballettabend und Mozarts Oper "Figaros Hochzeit". Auch Vorträge über Europa füllten die Säle. Mehr als 2000 Menschen wollten Eugen Kogon, den Präsidenten der Europa-Union Deutschland, über die "Einigung Europas" in der Nibelungenhalle reden hören. So ein Konzept würde im Jahr 2022 nicht mehr funktionieren, ist sich Carsten Gerhard, der Intendant der EW, sicher.
Vieles von dem, was sich die EW-Gründerväter für Europa erhofft hatten, ist inzwischen Wirklichkeit. "Dafür stehen wir jetzt vor anderen europäischen Herausforderungen", sagt Gerhard, dem das politische Profil der Festspiele wichtig ist. Daher greift sein Programm mit Theaterstücken - zu Gast ist beispielsweise ein freies Theater aus Ungarn - und Performances Themen wie Artenschutz oder autokratische Freiheitsbeschränkungen auf. "Ukraine Moments", die Ausstellung am Innkai, thematisiert den aktuellen Krieg, auch wenn die Aufnahmen der Fotografen Polina Polikarpova und Mikhail Palinchak das Land in einer Schönheit zeigen, die durch den Krieg nahezu unmöglich geworden ist. "Wir haben die Arbeiten als bewusste Entgegensetzung zu den omnipräsenten Bildern der Zerstörung ausgewählt", sagt Gerhard.
Initiator des Festivals war ein amerikanischer Offizier
Anlässlich des 70-jährigen Bestehens hat er in einer Broschüre die Geschichte des Festivals aufgeschrieben. Initiator war der amerikanische Kulturoffizier Robert Marvel Allen, der mit "Festspielen, die der europäischen Integration gewidmet waren," dazu beitragen wollte, den europäischen Gedanken zu fördern. Der Passauer Stadtrat war von der Idee angetan, zumal der Offizier finanzielle und organisatorische Unterstützung der amerikanischen Behörden zusagte.
Der Erfolg der ersten Wochen war groß, die Passauer machten weiter. 1956 setzten sie den ersten Intendanten ein. Johannes Klein holte zwar die gewünschten großen Opern- und Theateraufführungen nach Passau, doch der europäische Gedanke interessierte ihn weniger, und finanzielle Probleme gab es auch. 1959 beendete die Stadt seinen Vertrag und ließ die EW 1960 ausfallen. Das rief die Bürger auf den Plan, die auf ihr Festival nicht verzichten wollten. Hermann von Moreau, Dirigent und Chef des Passauer Konzertvereins, gründete mit Gleichgesinnten den Verein Festspiele Europäische Wochen Passau, der bis heute das Festival trägt. Moreau sorgte als Intendant für eine Orientierung nach Osteuropa. Die Einladung von Künstlern aus dem "Ostblock" wurde zu einer feste Säule im Programm.
Moreau starb früh. Ihm folgte der Passauer Dirigent und Musiker Walter Hornsteiner (1966-1994) nach. Ihm nutzten die speziellen Förderungen, die Veranstaltungen im Zonenrandgebiet erhielten. Mit genügend Geld im Rücken gelang es ihm, die internationale Elite der Musik- und Kunstwelt zu verpflichten. Und politische Zeichen zu setzen, als er 1980 den Dissidenten und Unterzeichners der "Charta 77", Pavel Kohout, einlud. Daraufhin mussten alle anderen tschechischen Ensembles auf Druck der sowjetischen Behörden absagen.
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Hornsteiners Nachfolger, der Münchner Kunsthistoriker Pankraz Freiherr von Freyberg, wieder ohne Zonenrandförderung, aber geschickt im Motivieren von Sponsoren, hielt das hohe internationale Niveau der EW aufrecht. Doch 2012 begann die Zeit der schnellen Intendantenwechsel, Peter Baumgardt (2012-2016) und Thomas E. Bauer (2017/18) schieden nach Differenzen mit dem Verein aus. Seitdem managt Gerhard das Festival. Mit ihm haben die EW wieder einen Intendanten, dem der europäische Gedanke ein echtes Anliegen ist, ohne dass er den Auftrag vernachlässigt, für Festspielstimmung in der Region zu sorgen. Dafür sorgen heuer das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, die Bamberger Symphoniker und das Kammerorchester der Münchner Philharmoniker, aber auch Solisten wie Rolando Villazón, Ian Bostridge oder David Geringas.
Ein besonderes Highlight dürfte das ganztägige, grenzüberschreitende Wassermusik-Fest (26.6.) entlang der Donau sein. "Wie zu Zeiten König Georg I. fahren Orchester und Besucher auf verschiedenen Schiffen flussabwärts, begleitet von den Klängen von Händels 'Wassermusik'", sagt Gerhard. Tags zuvor verwandelt sich die Donau sogar in den Nil. Der Zitherspieler Georg Glasl und die Performance-Künstlerin Ruth Geiersberger spüren auf einem historischen Donauschiff der Nilfahrt von Herzog Max in Bayern nach. Sisis Vater, leidenschaftlicher Zitherspieler und Komponist, soll im Jahr 1838 sogar am Fuße der Cheops-Pyramide in die Saiten gegriffen haben.
Europäische Wochen Passau , 17. Juni bis 24. Juli, Infos unter www.ew-passau.de