Ope(r)n-Air in Bayreuth:Wagner fürs Volk

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Public-Viewing am Grünen Hügel: In Bayreuth lauschen 40.000 Menschen der "Walküre" - und diskutieren eine wichtige Frage: Ist Regisseur Tankred Dorst eher der Typ Thomas Schaaf oder Louis van Gaal?

Roman Deininger, Bayreuth

Die Theaterpädagogin lächelt ihr reizendstes Theaterpädagogenlächeln, vor ihr stehen eine Tuchwand und zwei kleine Buben. Gerade haben die beiden den "Tannhäuser" als Kinderoper gesehen, und die Theaterpädagogin regt an, sie sollten doch mal aufmalen, an was sie sich so erinnern, den rosa Riesenflamingo vielleicht oder einen der anderen Bewohner der schrillbunten Venuswelt. Die zwei schauen sich an, dann sagt einer: "Wir malen einfach irgendwas." Ein ICE wird es schließlich, mit Speisewagen. Nebenan pinselt ein Mädchen eine Bratwurst auf, ihr Vater schreibt dann noch "Bratwurst" daneben, er will das Werk seiner Tochter vor Fehlinterpretationen schützen.

Die Bayreuther Festspiele wollen das Werk Richard Wagners unters Volk bringen an diesem Samstag, und bei den Kindern fangen sie an. Auf einem Erlebnisparcours können die Nachwuchs-Wagnerianer einen Bühnenfelsen stemmen, der so viel wiegt wie ein Kieselstein, sie können Instrumente ertasten oder sich mit Rüstung und Speer als Wotan fotografieren lassen, ein Angebot, das neben vielen Kindern auch einige japanische Touristen nutzen.

Drüben, in der Mitte des Volksfestplatzes, füllen sich langsam die Sitzreihen vor der 90 Quadratmeter großen Leinwand, auf der später die "Walküre" übertragen wird, live aus dem Festspielhaus drei Kilometer weiter am Grünen Hügel, wo der Durchschnittsbayreuther seinen Platz gewöhnlich an rot-weißen Absperrgittern hat.

Auf einer Bierbank sitzt derweil die Frau, die sich vor drei Jahren das Public Viewing hat einfallen lassen im Zuge ihrer Bemühungen, die altehrwürdigen Festspiele in die Gegenwart zu führen. Katharina Wagner, mit ihrer Halbschwester Eva Chefin am Hügel, trägt Jeans, ein schwarzes Polohemd und eine immens große Sonnenbrille, die Lederjacke hat sie sich umgebunden. Es sind die ersten Festspiele nach dem Tod ihres Vaters Wolfgang, sie wird nach der neuen Offenheit Bayreuths gefragt und erklärt, dass es für sie in Ordnung sei, wenn jemand nur für einen Aufzug vorbeischaut auf dem Volksfestplatz: "Wenn es langweilig wird, kann er ja wieder gehen."

Sie schreibt Autogramme, mancher Beglückte bringt das Danke kaum über die Lippen vor Aufregung. Dann ist eine Dame an der Reihe, die Brunhilde heißt. "Ihre Eltern waren sicher Wagner-Fans", mutmaßt Katharina mit einigem Recht, doch die Dame sagt, nein, ihre Eltern hätten ihr einfach so einen "Scheiß-Namen" gegeben. Katharinas Entourage verlegt schleunigst ins Kinderland.

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Die Sonne brennt herab auf den Kies, wer keinen Schirm dabei hat zum Schutz, bastelt sich aus der Sonderbeilage einer Tageszeitung ein Hütchen. Viele haben Decken und Picknickkörbe mitgebracht, es ist auch toll zu sehen, was führende Campingstuhlentwickler so alles an Campingstühlen entwickeln, bei manchen ist sogar eine Kühltasche eingebaut.

Beim Public Viewing im vergangenen Jahr hat eine Umfrage ergeben, dass 60 Prozent der Besucher vorher noch nie eine Wagner-Oper gesehen hatten. Deshalb leisten ein Moderator und eine Dramaturgin zwischendurch Deutungshilfe, stets kundig und verständlich. Einmal will der Moderator allerdings wissen, ob Tankred Dorst als Regisseur eher ein Louis van Gaal oder ein Thomas Schaaf sei, worauf die Dramaturgin einräumt, dass ihr die Einordnung schwer falle, weil sie die letztgenannten Herren nicht kenne.

Dorst hat sich auf einem der Polstersessel im VIP-Zelt niedergelassen, er hatte vorher etwas mehr Licht in seiner Inszenierung gestattet, um den Technikern die Übertragung zu erleichtern. Er finde die Idee mit dem "Volksfest" gut, sagt er, wobei er schon froh sei, "dass die Bratwürste nur am Rande verkauft werden". Am Rande ist auch ein Strand aufgeschüttet, inklusive Liegestühlen und zwei höchst begehrten Strandkörben. Nicht jeder der am Ende fast 40.000 Besucher ist in jeder Sekunde ganz bei der Sache. Aber dass sogar die Security-Leute gebannt auf die Leinwand starren, als Siegmund das Schwert Wotans aus dem Eschenstamm zieht, deutet darauf hin, dass Wagner und das Volk schon zusammengehen.

Alfred Toegels Handy läutet, es ist so ziemlich das einzige Handy, das ohne böse Blicke läuten darf. Der Wiener Klangprofessor kümmert sich um die Tonqualität, das sei nicht leicht, sagt er, weil der Bayreuther Volksfestplatz ja weder Wände noch ein Dach habe. Mit 60 Lautsprechern versucht er diesen strukturellen Nachteil zu kompensieren, das Ergebnis ist verblüffend gut. Die Bildregie sitzt in einem Ü-Wagen oben am Festspielhaus, 55 Techniker, zwei feste und acht ferngesteuerte Kameras sind im Einsatz - schon lange vorher wurde die Inszenierung in 1200 Einstellungen gegliedert. Die Live-Bilder sind auch im Internet zu sehen und im japanischen Fernsehen.

In Bayreuth ist es zehn Uhr abends und in Japan früher Morgen, als der Feuerring des Schlussbildes den Volksfestplatz in rötliches Licht taucht. Die Leute haben Pullover dabei und Decken und trotzdem Gänsehaut. Sie sehen den Applaus im Festspielhaus und wie sich der Saal danach leert. Auf dem Festplatz bleiben sie sitzen, denn das Ensemble ist schon unterwegs zu ihnen - zu einem zweiten Beifallssturm, der zweifellos kräftiger ausfallen wird als der erste.

© SZ vom 23.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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