Autobahn 94 in Oberbayern:Mindestens sieben Tote bei Unfall - Polizei vermutet Schleuser

Lesezeit: 5 Min.

Beim Unfall eines mutmaßlichen Schleuserfahrzeugs auf der Autobahn 94 sind mindestens sieben Menschen ums Leben gekommen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Der Fahrer des völlig überfüllten Transporters soll versucht haben, einer Polizeikontrolle zu entgehen. Unter den Toten ist ein sechsjähriges Kind.

Von Matthias Köpf

In der Rechtskurve der Autobahnausfahrt hat der dunkle Van die linke Leitplanke durchbrochen, anschließend hat er sich mehrmals überschlagen, erst die Leitplanke an der Auffahrt Richtung München hat ihn aufgehalten, dort liegt er nun auf dem Dach. Ein schwerer Unfall, es könnte viele Opfer und Verletzte geben, denn so ein Mercedes Vito hat bis zu neun Sitzplätze. Und dass in dem Auto viele Menschen saßen, das hatte die Streifenbesatzung der Bundespolizei schon ein paar Minuten davor bemerkt, unter anderem deswegen hatten die Beamten den Mercedes ja anhalten wollen auf der A 94. Doch der Fahrer hatte Gas gegeben. Die Flucht endete nach wenigen Minuten um kurz nach drei Uhr früh hier, an der Ausfahrt Ampfing. In dem Auto waren 23 Menschen, insgesamt 22 stammen aus Syrien und der Türkei. Sieben von ihnen sind tot, darunter ein Kind, das nur sechs Jahre alt geworden ist.

Der Fahrer des Autos hat den Unfall überlebt. Laut Polizei ist er 24 Jahre alt und aktuell ohne Staatsangehörigkeit. Gemeldet ist er in Österreich, wo auch der dunkle Vito zugelassen ist - zumindest deutet dessen österreichisches Nummernschild darauf hin. Der mutmaßliche Schleuser liegt wie die anderen Überlebenden in einem der umliegenden Krankenhäuser, zählt aber selbst noch zu den leichter Verletzten. Die Polizei hat ihm die vorläufige Festnahme erklärt.

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Gänzlich unverletzt ist bei dem Unfall in der Nacht niemand davongekommen. Einige Passagiere wurden aus dem Auto geschleudert. Mit 23 Gurten zum Anschnallen haben die Schleuser ihr Fahrzeug nicht eigens ausgerüstet. Der Rettungsdienst war im Großeinsatz, auf der Fahrbahn Richtung Passau landeten vier Rettungshubschrauber, die Autobahn blieb in Richtung München bis weit in den Freitag hinein gesperrt, die Ausfahrt Ampfing sogar noch etwas länger.

Noch in der Nacht übernahmen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei die Ermittlungen - diesmal auch wegen eines mehrfachen Tötungsdelikts und nicht nur wegen des üblichen Verdachts auf Schleuserkriminalität, die schon längst wieder zur Routine gehört im bayerischen Grenzgebiet. Die A 94 gilt als eine der wichtigeren Routen nach und durch Bayern, zuletzt registrierte die Bundespolizei in der Gegend jedenfalls immer mehr Fälle. Denn die Schleuserbanden meiden die 2015 eingerichteten festen Grenzkontrollen an der A 3 bei Passau, an der A 8 am Walserberg bei Salzburg und an der Inntalautobahn bei Kiefersfelden.

An den kleineren Übergängen können die Bundespolizei und auf Anforderung auch die bayerische Grenzpolizei nur stichprobenartig kontrollieren. Mehr als 50 solche Übergänge gibt es zwischen Bayern und Österreich, dazu führen rund drei Dutzend Straßen über die weitgehend grüne Grenze von Tschechien nach Bayern. Allein zwischen dem oberösterreichischen Braunau und dem bayerischen Simbach am Inn, ziemlich genau 50 Autobahn- und Bundesstraßen-Kilometer östlich von Ampfing, gibt es schon zwei Brücken. Ob der dunkle Vito in der Nacht über eine davon ins Land gerollt ist, bleibt zunächst offen. Oft erfährt die Polizei die exakte Route bis zum Schluss überhaupt nie, wenn sie bei ihrer Schleierfahndung und bei Streifenfahrten im Hinterland der Grenze auf Schleuser und Flüchtlinge stößt, so wie in dieser Nacht auf der A 94.

Die Polizei hat die Unfallstelle auf der Autobahn 94 abgeschirmt. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Immer wieder kommt es in solchen Situationen zu Unfällen. So hatte erst ein paar Tage zuvor im oberbayerischen Grenzstädtchen Laufen ein 32-jähriger Niederländer in hohem Tempo die Flucht vor der Polizei ergriffen und seinen VW-Transporter nach einigen Kilometern in einen Straßengraben gesetzt. Im Wagen entdeckte die Polizei zehn Türken und vier Syrer ohne gültige Einreisepapiere. In Burghausen versuchte neulich ein weiterer Schleuser, einer Streife der Bundespolizei zu entkommen. Nach Polizeiangaben raste er mit bis zu 140 Kilometern pro Stunde durchs Stadtgebiet und fuhr dabei über rote Ampeln und gegen eine Einbahnstraße. Die Geschleusten, in dem Fall drei Türken und ein Afghane, hatten noch versucht, die lebensgefährliche Fahrt per Griff zur Handbremse selbst zu stoppen, der Mann am Beifahrersitz versuchte sogar, aus dem Auto zu springen. Schließlich endete auch diese Schleusung mit einem Unfall und mehreren Verletzten. Aber ohne Tote wie am Freitag.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) reagierte auf den tödlichen Unfall auf der A 94 mit einer neuerlichen Forderung nach stärkeren Grenzkontrollen: "Jedenfalls zeigt auch dieser Vorfall, wie wichtig es ist, die unmittelbaren Grenzkontrollen weiter zu verstärken, um Schleuser bereits an der Grenze aufzuhalten", sagte Herrmann in München. Das menschenverachtende Verhalten des Schleusers, der mit der Flucht vor der Polizei nur seine eigene Haut habe retten wollen, mache ihn "fassungslos", sagte Herrmann.

Die bayerische Polizei führe die Untersuchungen zum Unfall und unterstütze die Bundespolizei bei den Ermittlungen zur Schleusung und zu deren Hintermännern. Denn die Fahrer als letztes Glied in der Kette tragen in aller Regel das höchste Risiko innerhalb der Schleuserorganisationen.

Diese verlangen von Geflohenen je nach Herkunftsland und Route oft Tausende Euro für den illegalen Transport nach West- und Nordeuropa. So kommt es immer wieder bei Schleuserprozessen etwa am grenznahen Landgericht Traunstein zur Sprache.

Großschleusungen nahmen zuletzt erkennbar zu

"Wir müssen das grausame Geschäft der Schleuserbanden zerschlagen, die mit der Not von Menschen maximalen Profit machen und sie auf solch lebensbedrohliche Weise über Grenzen schmuggeln", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nach dem "furchtbaren Ereignis" von Ampfing. Dieses zeige, "auf welch grausame und menschenverachtende Weise Schleuser das Leben von Menschen aufs Spiel setzen". Die Bundesregierung habe zuletzt "überall an den Schleuserrouten an unseren Grenzen die Kräfte der Bundespolizei deutlich verstärkt". Unter anderem hat Faeser jüngst verstärkte Kontrollen an den Grenzen zu Tschechien und Polen angekündigt. Auf feste Kontrollpunkte wie zwischen Österreich und Bayern hat sie aber verzichtet.

Im Freistaat hat die vor fünf Jahren wieder neu eingerichtete bayerische Grenzpolizei von Januar bis August 154 Schleuserfälle registriert, um die Hälfte mehr als in den gleichen Monaten des vergangenen Jahres. Zuletzt nahmen nach Polizeiangaben vor allem auch sogenannte Großschleusungen mit mehr als zehn Personen zu, die in Lastwagen oder Kleintransportern ins Land gebracht werden. Demnach wurden allein im August 66 solche Großschleusungen aufgedeckt. Erst am Donnerstag hat die Bundespolizei bei Frasdorf im Landkreis Rosenheim nach einem Zeugenhinweis 20 türkische Migranten angetroffen, die dort von einem unbekannten Schleuser abgesetzt und zurückgelassen worden waren. Eingereist waren sie nach den Erkenntnissen der Polizei offenbar auf der Ladefläche eine Lastwagens oder größeren Transporters.

Die Zahl illegaler Grenzübertritte nimmt zu. Das Bild zeigt Migranten, die von der Polizei Mitte Oktober bei Frasdorf aufgegriffen wurden, nachdem sie von Schleusern dort ausgesetzt worden waren. (Foto: Bundespolizei Rosenheim)

Die Bundespolizei hat sie nach Rosenheim zu ihrer dortigen "Bearbeitungsstraße" fürs erste Erfassen von Einreisenden gebracht. Diese Bearbeitungsstraße hatte die Rosenheimer Bundespolizei bisher nur in den Jahren 2015 und 2016 genutzt und zuletzt im Frühjahr 2022 für die vielen Geflohenen aus der Ukraine. Angesichts der zuletzt stark gestiegenen Zahl von Migranten hat die Polizei sie erst zu Beginn der Woche wieder in Betrieb genommen.

Viele unerlaubte Einreisen dürften aber ohnehin unentdeckt blieben. Wenn doch, so würden die Schleuserfahrer "zunehmend skrupelloser", um sich einer Festnahme zu entziehen, hieß es schon im Sommer von der Bundespolizei. Diese hat nach eigenen Angaben von Januar bis Juli allein in Bayern 13 496 illegale Einreisen registriert, bundesweit waren es in der gleichen Zeit etwa 56 000. Besonders hoch war die Zahl der illegalen Einreisen nach Bayern demnach schon im vergangenen Jahr in den Herbstmonaten von September bis November.

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