Vermisste Alexandra R.:Angeklagte schweigen im Prozess um Mord an Schwangerer

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Seit Dezember 2022 ist eine hochschwangere Frau aus Nürnberg verschwunden. Vor Gericht soll nun geklärt werden, ob sie ermordet wurde. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Zwei Männer stehen in Nürnberg vor Gericht, weil sie eine Frau getötet haben sollen. Eine Leiche gibt es bislang nicht - und es ist fraglich, ob sich im Laufe des Verfahrens daran etwas ändert.

Von Max Weinhold, Nürnberg

Rund 50 Zuschauer haben den Weg gefunden in den Gerichtssaal E.006 des Strafjustizzentrums in Nürnberg. Vom Geschehen sehen sie aber erst einmal: nichts. 17 Kameraleute haben sich aufgereiht zwischen ihnen und der Anklagebank, auf der um 9.26 Uhr zwei Männer Platz nehmen. Zuerst schlendert Ugur T. herein, sein weißes Hemd spannt ein wenig, unter den Arm hat er einen roten Notizblock geklemmt. Der 48-Jährige nickt seinen zwei Verteidigern zu, schaut durch seine schmalrandige, eckige Brille interessiert in die Kameras. Als hätte er nichts zu verbergen. Was man von Dejan B., schwarzer Anzug, weißes Hemd, himmelblaue Krawatte, nicht sagen kann. Der 50-Jährige versteckt sein Gesicht hinter einem Aktenordner, einer Sonnenbrille, einer schwarzen OP-Maske.

Die beiden Männer sind angeklagt in einer Sache, die zunächst ein Vermisstenfall war, für die Polizei innerhalb eines Tages zu einem Kriminalfall wurde und aus Sicht der Staatsanwaltschaft längst ein Mordfall ist. Dejan B. und Ugur T. sollen die hochschwangere Alexandra R., damals 39 Jahre alt, am 9. Dezember 2022 wegen eines Streits um Geld aus gemeinsamen Immobiliengeschäften getötet haben. Ihre Leiche hat die Polizei trotz riesigen Aufwands bisher nicht gefunden. Dass der Prozess daran etwas ändert, glaubt Harald Straßner nicht, der als Nebenklageanwalt den Bruder der Vermissten vertritt. "Aber er schafft die Grundlage für eine Verurteilung. Ich gehe fest davon aus, dass es zu einer Verurteilung im Sinne der Anklage kommt", sagt er.

Diese umfasst neben dem mutmaßlichen Mord die Vorwürfe der gemeinschaftlichen Geiselnahme, des gemeinschaftlichen Schwangerschaftsabbruchs und des gemeinschaftlichen Computerbetrugs. Dejan B. ist zudem wegen zweifacher versuchter Nötigung angeklagt.

Zwölf Seiten lang ist die Anklageschrift, die Oberstaatsanwältin Alexandra Hussennether verliest. Sie legt darin ausführlich dar, was dem mutmaßlichen Mord vorausgegangen sein soll. Seit 2007 seien der Bosnier Dejan B. und die gebürtige Rumänin Alexandra R. ein Paar gewesen. Er soll sie währenddessen betrogen, ohne R.s Wissen hauptsächlich bei seiner Verlobten gelebt haben.

Während Hussennether dies und den Fortgang des Falls schildert, blättert Dejan B. mit einem Blick durch seine Akten, der sagt: Das kann doch alles gar nicht sein. Er schaut skeptisch, die Hand am Kinn, Denkerpose, seine Stirn in Falten gelegt, als suche er zwischen all den Zeilen einen Fehler. Drei Sitzplätze weiter balanciert sein mutmaßlicher Komplize Ugur T. in seinen Händen einen Kugelschreiber, sein Blick schweift gedankenverloren durch den Saal. Nervös wirken beide nicht, im Gegenteil: Sie scheinen einigermaßen zuversichtlich bei diesem Vortrag der Staatsanwältin, der vor Vorwürfen gegen sie nur so strotzt.

Es soll auch eine Entführungsdrohung gegeben haben

Jahrelang soll Dejan B., der mit R. seit 2020 eine Pflegetochter hat, das Vermögen der gut bezahlten Postbank-Angestellten - zunächst mit ihrer Zustimmung - genutzt haben, um Immobilien zu erwerben. Weil er selbst einschlägig vorbestraft war, mithilfe einer Firma, deren Geschäfte offiziell Ugur T. führte. Nach ihrer Trennung von B. im März 2022 schnitt Alexandra R. den Geldfluss ab, woraufhin dieser sie bedroht und unter anderem angekündigt haben soll, er werde die gemeinsame Pflegetochter entführen (Anklagepunkt: versuchte Nötigung). "Er drohte ihr, sich nicht mit ihm anzulegen, da er mit 18 Jahren in Serbien während des Bosnienkrieges aus einem Gefangenenlager ausgebrochen sei", sagt die Staatsanwältin. R. flüchtete daraufhin in ein Frauenhaus, ihr Ex-Partner durfte sich ihr wegen eines Kontaktverbotes nicht mehr nähern.

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Um wieder liquide zu werden, sollen die Männer einen sogenannten Vollstreckungstitel in Höhe von 784 660,82 Euro gegen die Frau erwirkt haben (Anklagepunkt: Computerbetrug). Sie ging dagegen gerichtlich vor, der entscheidende Termin war für die Woche nach ihrem Verschwinden angesetzt. Zu der Gerichtsverhandlung kam es aus Sicht der Staatsanwältin nicht mehr, weil die Männer Alexandra R. am Morgen des 9. Dezember vor einer Kita in Schwabach aufgelauert, ihr zu einem ihrer Anwesen in der Nähe gefolgt und sie dort mit Panzertape geknebelt haben sollen. Alexandra R., sagt Hussennether, sei "in Todesangst" gewesen.

Getötet haben sollen die Männer sie später "auf unbekannte Weise" - entweder in einer Garage gut 30 Kilometer entfernt in Hilpoltstein. Oder danach in einem Waldstück neben der Autobahn A8 auf Höhe der oberbayerischen Gemeinde Irschenberg. In der Garage jedenfalls, da ist die Staatsanwältin sicher, ist R. von den Männern dazu gezwungen worden, ihre Anzeigen wegen der Bedrohung durch B. und im Streit um das Geld zurückzuziehen. Ein entsprechender Brief ging einige Tage darauf bei der Nürnberger Justiz ein.

Die Angeklagten schweigen zum Prozessauftakt wie erwartet zu den Vorwürfen, es bleibt - neben einigen Formalitäten - bei der Verlesung der Anklage am ersten von 37 Verhandlungstagen am Landgericht Nürnberg-Fürth. Mehr als 100 Zeugen hat die Staatsanwaltschaft benannt, überdies zehn Sachverständige, um das Gericht von der Täterschaft der Männer zu überzeugen. Dazu gehört zum Beispiel ein Schriftsachverständiger. Dieser soll den Inhalt des Briefs bewerten, in dem Alexandra R. die Anzeigen gegen die Männer zurückgezogen hat. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt, dann beginnt die Beweisaufnahme.

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