Neuerscheinung:In der Welt von Mythen, Geistern und Magie

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Elfenreigen auf der Waldwiese. In bayerischen Sagensammlungen fehlen zwar die Elfen, aber gleichwohl wurde in Schlafzimmerbildern um das Jahr 1900 auf dieses Motiv gerne zurückgegriffen. (Foto: privat)

Naturgeister spielen im heutigen Alltagsleben kaum noch eine Rolle. Dabei haben sie unsere Kultur nachhaltig geprägt, schreibt Gertrud Scherf in ihrem neuen Buch.

Von Hans Kratzer, München

Mythen und mystische Naturphänomene haben einst den Alltag in einer Intensität geprägt, die heute nicht mehr vorstellbar ist. Für viele Vorkommnisse gab es in der vorindustriellen Welt keine natürliche Erklärung. Fiel einmal kein Regen, kam sofort der Teufel ins Spiel oder die Drud und häufig auch Natur- und Hausgeister. Alles Über- und Außerirdische rief unentwegt Angst hervor und musste ständig besänftigt werden, im christlichen Kulturkreis beispielsweise durch Pferdeumritte, Bittgänge und durch Opferkerzen.

"Heute sind die Naturgeister und das Mythische aus unserem Alltag nahezu verschwunden", sagt die in Niederbayern lebende Biologin und Autorin Gertrud Scherf, die sich mit diesen Phänomenen intensiv beschäftigt und nun ihre Erkenntnisse in einem Buch zusammengefasst hat. Nixen und Bergmännlein, Riesen und Zwerge, all diese Wesen aus der heimischen Sagenwelt waren vor einigen Jahrzehnten noch Bestandteil des Schulunterrichts, heute gelten sie als nicht mehr zeitgemäß. Trotzdem, sagt Gertrud Scherf, erfreuten sich Vorträge und Führungen zu mythischen und magischen Orten sowie Kräuter- und Baumwanderungen, die auch Sagenhaftes vermitteln, wachsender Beliebtheit. Auch alte Bräuche aus dem Kosmos der Naturgeister leben wieder auf, seien es Buttenmandl, Klausen oder Perchten, wobei Gertrud Scherf die berechtigte Frage stellt, ob dabei nicht doch nur das Event im Vordergrund steht.

Dürers Satyrfamilie. (Foto: privat)

Grundsätzlich entziehen sich Naturgeister unseren Denkgewohnheiten, sie sind schwer zu fassen. Auffällig ist, dass viele eine dunkle und eine helle Seite besitzen, typisch sind die zwei Gesichter der Frau Percht. Nach der Christianisierung kam es zu einer deutlicheren Aufspaltung in gute und böse Geister, wobei gerade Heilige der Adventszeit im Volksglauben ihre Doppelnatur bewahrt haben. Dem heiligen Thomas steht der blutige Dammerl gegenüber, der heiligen Lucia die schiache Luz, dem Nikolaus der Krampus.

Man begegnet den Haus- und Naturgeistern vorwiegend in Volkserzählungen und Volkssagen. Sie sind die wichtigsten Quellen zur Kulturgeschichte der Naturgeister. Die Riesen und Zwerge, die in den Volksmärchen auftauchen, haben dort eine andere Bedeutung als in den Sagen. In der Sage lösen die Jenseitigen im Menschen Schauder, Erregung und Verwirrung aus, im Märchen fehlt den Gestalten das Jenseitige, der Mensch verkehrt mit ihnen direkt. Wie es Scherfs Buch breit belegt, beinhalten Kunst, Sprache, Alltagskultur und Brauchtum unglaublich viele Hinweise auf diese Wesen.

Bald werden die ersten Winterstürme übers Land fegen und Erinnerungen an jene alten Zeiten freilegen, in denen das Weltbild der Menschen noch stark von jenen Mythen und vom Aberglauben geprägt war. In nebelfinsteren Nächten blühte die Fantasie draußen auf den einsamen Höfen und Dörfern ohne Grenzen. Die Menschen waren überzeugt davon, dass in der umtosten Natur Myriaden Unholde und Dämonen herumgeisterten und es ratsam war, sich hinterm Ofen zu verkriechen.

Viele Geisterorte sind im Bayerischen Wald zu finden

Gertrud Scherf unterteilt die Lebensräume der Geister in die Segmente Wald, Wasser, Moor, Berge, Unterwelt und Haus. In die Kategorie Vegetation zählt etwa der Bilmesschneider, der oft als hässliches männliches Wesen beschrieben wird, das auf einem schwarzen Bock und mit Sicheln an den Füßen durch die Felder reitet und die Ähren abschneidet. Hausgeister zeigen dagegen häufig Wesensähnlichkeiten mit Zwergen. Sie bleiben unsichtbar und nehmen vielerlei Gestalt an. Ein spezieller Fall ist der Kobold, ein Schutzgeist für Haus und Hof, Gertrud Scherf nennt ihn einen Hausverwalter, der aber auch allerlei Schabernack treibt. Die von Ellis Kaut erdachte Figur des Kobolds Pumuckl ist als Fernsehfigur berühmt geworden.

Viele Geisterorte sind im Bayerischen Wald zu finden, einer lange Zeit unwirtlichen Gegend, rau, abweisend, karg. Die dunklen Wälder und das neblige Buckelland erwiesen sich geradezu als Biotope für Spuk und Übersinnliches.

Zu den Klassikern im Naturgeisterkosmos zählen die drei Frauen, auch wilde Frauen genannt, die nach altem Glauben in Höhlen und Kellern hausten. Am Fuß des Staufen in Bad Reichenhall gibt es ein sogenanntes Frauenloch, in dem man sie wähnte. Später münzte man die drei Frauen in Wohltäterinnen um, und im Christentum wurden den drei heiligen Frauen dann sogar zahlreiche Kultstätten gewidmet. Ob so oder so: "Als bildhafte Symbole für die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur, der sozialen Umwelt und mit sich selbst erfüllten die Naturgeister einst wichtige Funktionen", schreibt Gertrud Scherf. Sie haben Spuren hinterlassen, leben in veränderter Gestalt weiter und wirken über ihre kulturgeschichtliche Bedeutung hinaus bis in die Gegenwart herein. Umso verdienstvoller, dass die Autorin die wundersamen Gestalten ihren bayerischen Lebensräumen zuordnet und ihr Aussehen, ihre Vorlieben und ihre Besonderheiten schildert. Als Grundlage für ihre Untersuchungen dienten der Autorin Sprache, Alltagskultur und Brauchtum, dazu Kunstwerke, tradierte Gelehrtenäußerungen, Märchen und vor allem Volksglaube und Volkssagen.

Gertrud Scherf: Nixen, Wichtlein, wilde Frauen. Eine Kulturgeschichte der Naturgeister in Bayern, Allitera Verlag, 225 Seiten.

© SZ vom 19.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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