Start-up Mymuesli:Müsli aus der vermeintlichen Provinz

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Vor ein paar Jahren wagten die Müsli-Gründer mit 50 eigenen Filialen - wie dieser in Nürnberg - den Sprung in die Offline-Welt. Fast die Hälfte davon mussten sie wieder schließen. Doch an der Idee, auch in Städten präsent zu sein, halten die drei trotzdem fest. (Foto: mymuesli)
  • Das Start-up Mymuesli verkauft seit 2007 Müsliprodukte über das Internet.
  • Mehr als 700 Mitarbeiter arbeiten für die Firma, zwischenzeitlich betrieb sie neben dem Online-Shop 50 Filialen.
  • Fast die Hälfte der Läden musste das Unternehmen wieder schließen.

Von Maximilian Gerl, Passau

Alles begann mit einem heißen Tag und einer Fahrt zum See. Max Wittrock sagt: "In der Außenwirkung war es natürlich eine verrückte Idee." Mit seinen beiden Freunden hatte er damals sogar eine Umfrage gestartet, wie verrückt diese Idee auf andere wirkte. "Würden Sie Müsli online kaufen?", schrieben sie auf den Fragebogen. Hunderte Menschen antworteten. Niemand wollte. Ihre Marktforschung traten die Freunde daraufhin in die Tonne. Die Idee behielten sie. "Der größte Fehler, den wir nicht gemacht haben", sagt Wittrock.

Als Mymuesli 2007 in Passau startete, steckte der Onlinehandel in den Kinderschuhen. Entsprechend groß war das Medienecho. Und die Skepsis. Kunden stellen sich übers Internet ein Müsli aus verschiedenen Zutaten nach ihren Wünschen zusammen - kann das funktionieren? Zwölf Jahre später läuft das einstige Drei-Mann-Experiment immer noch. Mehr als 700 Mitarbeiter arbeiten für die Firma, zwischenzeitlich betrieb sie neben dem Online-Shop 50 Filialen. Von denen wurden in den vergangenen Monaten 20 wieder geschlossen. Auch deshalb ist auf den ersten Blick schwer zu sagen, welchen Zustand das Experiment inzwischen angenommen hat. Ist das noch ein Start-up, das sich alles erlauben darf? Oder schon etablierter Mittelstand, der auf seine Zahlen schauen muss?

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Wittrock, 36 Jahre alt und mit einnehmendem Lächeln ausgestattet, moderiert solche Fragen charmant weg. Er empfinde beide Bezeichnungen als Auszeichnungen, sagt er. Der gebürtige Münchner hat als Journalist gearbeitet und Jura studiert; heute ist er ein Geschäftsführer, der auf Konferenzen die Geschichte seiner Firma erzählt. Als Tech-Start-up der ersten Generation ist Mymuesli eines der wenigen Vorbilder aus Bayern. Viele Gründer verschlägt es nach Berlin oder in die USA, eher selten in die vermeintliche Provinz Niederbayern.

Wittrock, Hubertus Bessau und Philipp Kraiss lernen sich kennen, als sie aus verschiedenen Ecken Deutschlands zum Studieren nach Passau kommen. Schnell sind sie sich einig, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen. Nur was. Die Idee eines "Heuschnupfen-Survival-Kits", bestehend aus einer Brille und Nasenstöpseln, verwerfen sie ebenso wie die eines "Geld-Supermarkts", der statt Tomaten Aktien feilbietet. Dann hören sie an jenem heißen Tag auf dem Weg zum See im Autoradio eine Müsliwerbung. Die gerät zur Initialzündung: Lasst uns was mit Müsli machen.

Heute gibt es Gründerzentren, Mentorenprogramme, Förderungen. 2007 helfen sich die Gründer vor allem selber. Ihre Internetseite programmieren sie alleine, mischen von Hand Bestellungen. Was sich seitdem verändert hat, zeigt vielleicht am besten ein Schild, das vor dem Firmensitz in Passau-Haidenhof steht. Fünf Gebäude sind auf dem Lageplan zu sehen. Vom Parkplatz blitzen Autodächer in der Sonne herüber. Dahinter erhebt sich die Werkshalle mit dem Lager, das anfangs so groß wirkte und doch schon wieder zu klein ist. Unternehmerreich statt Studentenbude.

Die Gründer Philipp Kraiss, Max Wittrock und Hubertus Bessau (von links) lassen sich von Verlusten nicht beirren, sondern entwickeln ständig neue Ideen. (Foto: Viktor Strasse)

Mit dem Wachstum kamen die Mitarbeiter und ein typisches Start-up-Problem: Die Frage, wie man eigentlich arbeiten will. Bei Mymuesli hielten zunächst klassische Hierarchieebenen Einzug. Das funktionierte bedingt. Nun ist die Firma in Kreisen organisiert. "Wir haben zum Beispiel keine Marketingabteilung, sondern einen Kreis Costumer Happyness, der die Aufgabe hat, den Kunden glücklich zu machen", sagt Wittrock. Unter einem Kreis gruppieren sich weitere Kreise; jeder entscheidet selbständig für seinen Bereich. Mitarbeiter nehmen je nach Kreis andere Rollen ein. Das soll Hierarchien nicht zum Selbstzweck verkommen lassen und Eigenverantwortung fördern - sowie helfen, den Start-Up-Spirit der Anfangszeit zu konservieren. Starr in Stein gemeißelt ist die Struktur aber nicht. "Was uns sehr liegt, ist dieses Ausprobieren", sagt Wittrock. "Wir stellen uns nicht hin und sagen, das ist das perfekte System."

In der Werkshalle - Manufaktur genannt - laufen leere Verpackungen auf einer Fließbandstraße vorbei, über ihnen Behälter neben Behälter mit Chiasamen, Apfelstücken oder Kakaosplittern. Ein Barcode auf dem Etikett verrät den Maschinen die vom Kunden georderte Mischung. Steht die Pappdose unter dem richtigen Behälter, fällt die Zutat hinein. 566 Billiarden Kombinationen sind nach Firmenangaben möglich. Das Ergebnis kann schon mal an die zehn Euro kosten, deutlich mehr als manch Konkurrenzprodukt aus dem Supermarkt. Die Zielgruppe der ökologisch bewussten Städter scheint das wenig zu stören. Der Umsatz stieg zuletzt auf rund 58 Millionen Euro. Neben dem Kerngeschäft Müsli sind inzwischen Riegel und Tees im Angebot.

Vor ein paar Jahren wagte Mymuesli mit eigenen Filialen den Sprung in die Offline-Welt. Dass davon fast die Hälfte wieder verschwunden ist, wollen sie in Passau nicht als Scheitern verstanden wissen. Tatsächlich steht der Einzelhandel unter Druck, das richtige Gleichgewicht zu finden. Einerseits kaufen immer mehr Menschen online. Andererseits gehen sie gerade für Lebensmittel weiter gern in den Laden um die Ecke. Entsprechend weit gehen in der Branche die Meinungen auseinander, wie der Shop der Zukunft aussehen und wie groß der Markt für Neulinge wie Mymuesli sein könnte. Zuletzt verbuchte die Firma einen Jahresfehlbetrag; das lag aber auch daran, dass sie sich von einem Ableger in Schweden trennen musste. Die Filiale am Münchner Viktualienmarkt ist dafür jetzt Testfeld, inwiefern sich so ein Müsli-Geschäft mit einem Café verbinden lässt. Vergleichbare Versuche laufen derzeit auch anderswo im Einzelhandel.

Bei Mymuesli wollen sie sich weiter als Mittelständler versuchen, ohne dabei die Start-up-Wurzeln zu verlieren. Für Wittrock geht es wie einst um die Leidenschaft an der Idee, da dürfe man nicht nur auf Zahlen schauen. "Wir haben ja Mymuesli nicht gegründet mit der Frage: Was ist der größte Markt", sagt er. Sonst hätten sie vielleicht an jenem heißen Tag besser beschlossen, etwas mit Immobilien zu machen.

© SZ vom 18.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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