Masern-Impfung:Schutz oder Schaden?

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Impfungen haben dazu beigetragen, dass bestimmte Krankheiten selten werden oder sogar ausgerottet sind. Dennoch gibt es viele Skeptiker. Am Beispiel der Masern wird deutlich: Impfmüdigkeit kann gefährlich sein.

Von Caroline von Eichhorn

Rote Pusteln, erst hinter den Ohren, dann im ganzen Gesicht; dazu Husten und Schnupfen. Plötzlich waren sie wieder da: die Masern. In diesem Jahr haben sich in München 355 Menschen mit der sogenannten Kinderkrankheit infiziert, die fast schon als ausgerottet galt.

In keiner anderen deutschen Stadt waren es mehr. Zum Vergleich: Im Vorjahr infizierten sich 21 Menschen. Noch dazu musste jeder fünfte von ihnen sogar ins Krankenhaus, denn von den Masern sind nicht nur Kinder betroffen, sondern auch viele Jugendliche und junge Erwachsene, denen die Krankheit schwerer zu schaffen macht.

Die Masern-Epidemie hat besonders unter Ärzten und Politikern die Debatte ausgelöst, warum öffentliche Impfempfehlungen oft nicht eingehalten werden, und ob nicht eine Pflicht sinnvoll wäre. Denn die Weltgesundheitsorganisation WHO will die Masern bis 2015 ausrotten, aus gutem Grund. So harmlos der Name Kinderkrankheit klingt, an Masern sterben weltweit täglich immer noch 433 Menschen. Nach Angaben der Unicef zählen sie in Entwicklungsländern zu den häufigsten Todesursachen, zusätzlich erblinden deshalb jedes Jahr bis zu 60.000 Kinder.

Dieses Jahr ist das Bestreben der WHO besonders in Bayern ins Stocken geraten. Hier liegen die Impfraten weit unter dem Durchschnitt. Bei der Einschulung etwa sind nur 89,8 Prozent der bayerischen Kinder ein zweites Mal gegen Masern geimpft.

"Die Risiken der Masern werden unterschätzt", so hat es Jochen Peters beim SZ-Gesundheitsforum analysiert, der Leiter der Kinderklinik Dritter Orden. Viele Eltern sind impfmüde - einerseits zu Recht, denn Masern stellen in unserem Land keine große Gefahr mehr da, seit 2001 gab es in Bayern nur zwei Todesfälle. Doch Peters hat auch erlebt, wie sich bei einem Jungen mit Masern die Hirnhaut entzündete, was bleibende Schäden mit sich bringt. Tödlich endet die am meisten gefürchtete Masernkomplikation, die SSPE, die in der Regel vier bis acht Jahre nach der Maserninfektion einsetzt.

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"Der Vorteil am Impfen: Man schützt nicht nur sich selbst, sondern auch diejenigen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, etwa Kleinkinder oder ältere und kranke Menschen", sagt Otto Müller, ehemaliger Chefarzt im Rotkreuzklinikum. Windpocken zum Beispiel können gesunde Kinder gut wegstecken, für Leukämie-Kranke jedoch sind sie manchmal lebensgefährlich.

Rüdiger von Kries vom Institut für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) kennt den Riesenaufruhr, wenn ein an Windpocken erkranktes Kind in die Station kommt. Plötzlich brechen Eltern geschwächter Kinder in Angst aus, dass sich ihr Kind infiziert. "In der Klinik wäre es unglaublich praktisch, wenn es einfach gar keine Windpocken mehr gäbe", sagt von Kries.

95 Prozent der Deutschen müssten geimpft sein, um eine Krankheit zu eliminieren. Auf diese Weise gelang es in Deutschland schon, unter anderem die Pocken in den 1970ern auszurotten.

Eine bestimmte Form der eitrigen Hirnhautentzündung konnte in den 1980er-Jahren durch Einführung einer neuen Impfung fast vollständig eliminiert werden. Doch kann man Eltern dazu zwingen, ihre Kinder immunisieren zu lassen? Die gesetzliche Impfpflicht, so wie sie in den USA und Großbritannien existiert, hat auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr jüngst in die Diskussion gebracht. Bis 1975 war in Deutschland die Pockenimpfung Pflicht. Derzeit gibt es nur Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko).

"Wir sind alle mitverantwortlich dafür, dass Infektionskrankheiten eliminiert werden", sagt Georg Marckmann vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der LMU. Statt einer Impfpflicht fordert er, dass mehr und offener über Chancen und Risiken von Impfungen diskutiert wird. "Ärzte und die Stiko müssen transparent machen, wieso welcher Impfstoff empfohlen wird. Ebenso müssen sich Eltern der gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein und nicht nur an ihr eigenes Kind denken." Die Ausrottung von Krankheiten sei kein utopisches Ziel, sagt Marckmann. In Skandinavien sind die Masern schon vollständig verschwunden, auch ohne Impfpflicht.

Die Taufkirchener Kinderärztin Brigitte Dietz kennt aber auch die Angst der Eltern und Kinder: Elf Stiche, zwei oder drei Schluckimpfungen und damit zwölf Antigene sollen einem Kind laut dem Impfplan in den ersten zwei Lebensjahren verabreicht werden. Die ein bis zwei Pikser pro Sitzung schmerzen, in einigen Fällen sind Nachwirkungen zu beobachten. Gerade bei der MMRV-Impfung (Masern, Mumps, Röteln, Windpocken), einer Lebend-Impfung, reagieren bis zu zehn Prozent der Patienten mit Fieber oder Gelenkschmerzen. "Doch die Vorteile für die gesamte Gesellschaft überwiegen definitiv", sagt Dietz. Sie fordert eine indirekte Impfpflicht. bei Kindern sollten, bevor sie in eine Krippe, einen Kindergarten oder in die Schule kommen, vorab Impfungen nachgewiesen werden müssen.

"Aus 22 Jahren Erfahrung weiß ich auch, dass es einige Impfgegner gibt, die man gar nicht überzeugen kann", sagt Dietz. Zu den Skeptikern zählen nicht nur Eltern, sondern auch viele Ärzte. Sie kritisieren: Impfungen lösen Allergien aus und seien ein wirtschaftliches Interesse der Pharmaindustrie. Viele halten die hohen Impfdosen auch für eine Belastung für Säuglinge.

Rüdiger von Kries versteht die Zweifel nicht. "Die Bedeutung der Krankheiten ist uns nicht mehr bewusst", sagt er. In den 1950er-Jahren habe Impfungen niemand in Frage gestellt, da es regelmäßig Todesfälle gab. Die Gefahr besteht heute nicht mehr, weshalb viele Eltern nicht einsehen, warum ihre Kinder geimpft werden sollten. "Es geht eben nicht mehr darum, wie wir überleben wollen, sondern wie wir leben wollen", sagt Kries.

Ob mit Impfpflicht oder ohne - ein wichtiger Grund für das Impfen ist das zunehmende Problem der Antibiotika-Resistenz. Der breite Einsatz von Antibiotika führt dazu, dass sie bei einigen Bakterien nicht mehr wirken. Johannes Hübner vom Haunerschen Kinderspital spricht vom postantibiotischen Zeitalter. "Die Firmen forschen kaum mehr an der Entwicklung neuer Antibiotika, Patente laufen aus. Dem Problem einer Zunahme von Resistenzen und keiner dagegen wirksamen Medikamente sehen wir weltweit entgegen." Umso wichtiger sei es, mit Impfungen gegen Infektionskrankheiten anzukämpfen.

Da kommen den Medizinern die Fortschritte der Gen-Forschung zur rechten Zeit. Forscher können inzwischen einzelne Bakterien-Genome entschlüsseln und damit Impfstoffe entwickeln, die gezielter wirken und verträglicher sind. Ein erstes Beispiel ist der neue Meningokokken-Impfstoff Bexsero, der im vergangenen Jahr in Europa zugelassen wurde. Von Meningokokken ausgelöste Erkrankungen fangen wie eine leichte Erkältung an und enden meist mit einer Hirnhautentzündung. Bexsero wirkt gegen 80 Prozent der Meningokokken-Erreger, die Abgeschlagenheit, Fieber, Erbrechen, Schüttelfrost, Gelenk- und Muskelschmerzen verursachen. Das sind weitaus mehr als der vorherige Impfstoff. Noch übernehmen die Krankenkassen die Kosten dafür nicht.

© SZ vom 14.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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