Silvester:Letzter Erbe der königlich-bayerischen Hof-Kunstfeuerwerker

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Mehr als 130 Millionen Euro setzt die deutsche Feuerwerksbranche jedes Jahr zu Silvester um. (Foto: Toni Heigl)

Im 1863 gegründeten "Pyrotechnischen Laboratorium" in Gersthofen lässt Peter Sauer noch heute Raketen, Bomben und andere Knaller fertigen. Gefahr ist Teil der Familiengeschichte.

Von Maximilian Gerl

Ein Funke würde reichen für den großen Knall. Peter Sauer sitzt entspannt im Sessel, während er davon erzählt. "Feuerwerk ist ein gefährlicher Beruf", sagt er, es könnten Unfälle passieren, durch Unachtsamkeit oder weil etwas herunterfalle. Die Tante Mari zum Beispiel habe es mal erwischt. Als bei ihrer Arbeit Feuerwerkskörper explodierten, habe sie sich Arme und Rücken verbrannt. "Nicht arg schlimm, die Haut ist abgegangen." Sauer schaut nicht so, als wäre das besonders spektakulär. Vielleicht verliert Gefahr an Gefährlichkeit, wenn man sie von klein auf kennt und die Familiengeschichte, die sich um sie herum entfaltet.

Die Kunstfeuerwerk-Fabrik Fritz Sauer macht etwas, das sich hierzulande eigentlich nicht mehr rentieren dürfte: Raketen, Bomben und andere Knaller. Wer heute Feuerwerkskörper herstellen will, geht ins Ausland, etwa nach Asien, wo die Kosten niedriger sind. Auch der Steuerberater habe geraten, mit der Produktion aufzuhören, sagt Sauer. Doch in Gersthofen bei Augsburg arbeiten sie weiter.

Im Arbeitszimmer verwahrt Peter Sauer Pläne, die sein Uropa als königlich-bayerischer Hof-Feuerwerker für besondere Feiern anfertigte. (Foto: Max Gerl)

Peter Sauer führt den Betrieb in fünfter Generation. Besucher empfängt er in einem kleinen Salon mit Biedermeiersofa und Kronleuchter. Wer einen adrenalinsüchtigen Pyromanen erwartet, wird von dem 56-Jährigen enttäuscht sein: zurückhaltendes Auftreten, Betriebswirtdiplom, im Schrank "Brockhaus"-Bände aus verschiedenen Jahrzehnten. Der Blick aus dem Fenster verliert sich in Bäumen und Flachbauten, in denen Feuerwerk entsteht. Sauers Haus ist groß. Im Erdgeschoss arbeitet er, im ersten Stock wohnt er. Hier ist er aufgewachsen. "Wenn alle in der Familie mit Feuerwerk rumtun", sagt er, "dann wohnst du noch da - das prägt."

Die Firma Sauer ist nach eigenen Angaben die älteste, durchgehend aktive Feuerwerksfabrik in Deutschland, gegründet 1863 als "Pyrotechnisches Laboratorium". Der Begriff passt, wird doch nach Rezept Explosives gemixt. Vereinfacht werden dazu Feststoffe staubfein gemahlen, zu pyrotechnischen Sätzen vermengt und in Papier- oder Papphülsen gefüllt. Die Kunst besteht darin, für einen gewünschten Effekt den richtigen Sprengstoff, die richtige Form, die richtige Zünd- und Brenndauer zu finden. Passt ein Detail nicht, gibt es kein Feuerwerk. "Dann fallen drei Viertel der Leuchtkugeln runter und machen eine Dulle ins Auto", sagt Sauer.

Im Dezember herrscht Hochbetrieb. Mehr als 130 Millionen Euro setzt die deutsche Feuerwerksbranche jedes Jahr zu Silvester um. Sogar Sauer richtet dann einen Straßenverkauf mit Silvesterknallern ein, obwohl er sich auf andere Nischen spezialisiert hat. Bei ihm ordert die Polizei Signalfackeln. Oder er feuert auf Bestellung bei Veranstaltungen, rund 150-mal im Jahr. Silvester wird er zum Beispiel am Tegernsee verbringen, ein Hotel will seinen Gästen ein Musikfeuerwerk bieten. Sauer stellt die Musik zusammen und die Raketen, besorgt die Genehmigung durch die Behörden. Am Silvesterabend wird vor dem Hotel ein Bereich abgesperrt, die Abschussrohre aufgebaut und verkabelt. Sauer muss nur noch auf einen Knopf drücken. Musik ab, bumm. Wie komponieren ist das. Sauer erzählt, summt und schwingt die Hände mit, bu-bumm-bumm. Musikalische Akzente muss er durch passende Knall- und Lichteffekte untermalen. Vor diesen Aufführungen habe er immer richtig Lampenfieber, sagt er.

Der Job ist im schlimmsten Fall tödlich

Sieben Menschen arbeiten für Sauer, man muss sie nur finden. Etwa 25 Gebäude verteilen sich über das sechs Hektar große Firmengelände, mit Sicherheitsabstand. In einem machen zwei Mitarbeiter Signalfackeln versandfertig. In einem anderen erhalten Feuerwerkskörper ihre Füllung, die Masse wird von Hand in Pappröhren gestopft. Die Mischungen variieren. Calcium und Lithium sorgen für rote, Kupfersalze für blaue Lichteffekte. In einem anderen Flachbau bindet ein Kollege derweil Schwarzpulver-Päckchen an Raketen; entzündet sich das Pulver, treibt es den Böller in die Höhe. Man braucht eine ruhige Hand für die Arbeit. Gezahlt wird in Stunden- statt in Stücklöhnen, damit die Leute langsam und sicher arbeiten.

In der Kunstfeuerwerks-Fabrik Fritz Sauer wird das meiste noch von Hand gefertigt. (Foto: Max Gerl)

Noch etwa 20 pyrotechnische Unternehmen listet der Branchenverband für Deutschland auf. Früher machten sich in Friedenszeiten Artilleriesoldaten regelmäßig als Lustfeuerwerker selbständig. Firmengründer Fritz Sauers "Laboratorium" entstand dagegen durch die Übernahme eines Konkurrenten. Sein Sohn Johann Baptist stieg zum "königlich-bayerischen Hof-Kunstfeuerwerker" auf, richtete royale Hochzeiten aus und 1901 den 80. Geburtstag von Prinzregent Luitpold von Bayern. Die Firma wuchs, in den Dreißigerjahren gab es zeitweise drei Sauer-Feuerwerkereien, in Augsburg, München und Wiesbaden. 1938 folgte der Umzug nach Gersthofen. Im Zuge des Wirtschaftswunders erlebte die Fabrik einen zweiten Aufschwung.

Peter Sauer stieg nach dem Studium ins Geschäft ein. Seit dem Tod des Vaters 2008 führt er sie allein. Es scheint, als wüsste er schon selber, dass sein Geschäftsmodell auf Kante genäht ist. Er wirkt bescheiden, vielleicht zu bescheiden. Was er habe, sei geerbt, sagt er. Die Tatkraft des Großvaters lobt er in höchsten Tönen; der Vater sei vielleicht nicht ganz so kreativ gewesen und "ich selbst bin noch mal eine Nummer langweiliger". Eine interessante Feststellung für jemandem, der fast täglich mit Stoffen hantiert, die im besten Fall Verbrennungen verursachen und im schlimmsten töten. Wie 2011, als auf dem Fabrikgelände ein Mann beim Zerlegen alter Sprengkörper starb. Laut Zeitungsberichten klirrten in halb Gersthofen die Scheiben, die Rauchwolke soll kilometerweit zu sehen gewesen sein.

Sauer hat keine Kinder, denen er den Betrieb vermachen könnte. Bekannte hätten ihm geraten, alles zu verkaufen, er solle sich ein schönes Leben machen, in den Urlaub fahren. Diesmal blickt Sauer fast entsetzt. "Reisen?!" Sauer bleibt. "Ich mache hier weiter, solange ich laufen kann. Was täte ich denn sonst."

© SZ vom 24.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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