Bevor Horst Seehofer im Fraktionssaal der CSU im Bayerischen Landtag verschwindet, macht er ein großes Versprechen - den Journalisten, den Abgeordneten, allen, die zuhören. Seehofer sagt: "Heute Abend wird alles klar sein." Seine persönliche Zukunft, vielleicht sogar die ganze personelle Neuaufstellung der CSU. Anders kann man die Ansage zumindest kaum verstehen.
Doch die Pointe dieses angeblichen Entscheidungstages wird sein: Am Abend ist so gut wie nichts klar. Schon am frühen Donnerstagnachmittag bricht - noch vorübergehend - Chaos aus im Bayerischen Landtag. Diesmal ist die CSU ausnahmsweise nicht die Verursacherin, sondern Leidtragende. Der Bayerische Rundfunk verschickt eine Eilmeldung, wonach Seehofer bereit sei, das Amt des Ministerpräsidenten zugunsten von Finanzminister Markus Söder abzugeben. Seehofer werde aber CSU-Chef bleiben. Die Nachricht schwappt mitten in die Sitzung hinein, in der Seehofer der kritischen Landtagsfraktion über die Sondierungsgespräche in Berlin berichtet - und einen Ausblick gibt, wie es in der Partei weitergehen könnte. Nicht wenige Abgeordnete finden ja: am besten ohne Seehofer.
Machtkampf in der CSU:Warum Söder und Seehofer sich nicht ausstehen können
Auf der Weihnachtsfeier 2012 lästerte Seehofer öffentlich über Söder. Seit 2007 hat der CSU-Chef einen Verdacht.
Seehofer gegen Söder: Dieser Kampf elektrisiert die CSU seit Jahren. Am Donnerstag, so hoffen Söders Leute, könnte eine Entscheidung fallen. Die BR-Meldung schließt zunächst jedoch die Reihen. Egal ob Söders oder Seehofers Leute: Alle dementieren die Falschmeldung sofort mit Handynachrichten aus der Sitzung: "Totaler Quatsch", schreibt jemand. "Unsinn", ein anderer. Generalsekretär Andreas Scheuer geht nachher auf BR-Journalisten los, doziert über Verantwortung.
Soll er Parteichef bleiben? Ministerpräsident? Beide Ämter abgeben?
Aber auch Söders Vertraute sind echauffiert. Sie ahnen, dass die Meldung ihrem Chef mehr schadet als nützt. Eine halbe Stunde später zieht der BR seine Nachricht zurück. Seehofer steht im Hof des Landtags und lächelt. "Alles wird gut", sagt er. Dass alles anders kommt, vielleicht auch anders als von ihm gedacht, weiß da noch niemand.
Seine Freunde in der CSU sagen, Seehofer laufe immer dann zur Hochform auf, wenn es turbulent wird, wenn der Druck am größten ist. Gut acht Wochen sind seit dem historischen Debakel der CSU bei der Bundestagswahl vergangen. Der Donnerstag hat früh begonnen für ihn. Um 8 Uhr trifft er sich in Ingolstadt mit Freunden, hört sich ihren Rat an. Um 10 Uhr setzt er die Gespräche in der Parteizentrale fort: Er redet mit dem Generalsekretär, mit dem Hauptgeschäftsführer, mit dem Chefredakteur des Bayernkurier und mit seinem Sprecher. Auch von ihnen will er wissen, wie es mit ihm weitergehen soll: Parteichef bleiben? Ministerpräsident? Beide Ämter abgeben? Oder nur eines?
Hand in der Hosentasche, Grinsen im Gesicht
Im Landtag hat man da angeblich bereits eine klare Vorstellung, wie es weitergehen soll. Um 10 Uhr treffen sich die Sprecher der CSU-Bezirke, auch Söder sitzt in dieser Runde, ebenso Innenminister Joachim Herrmann und Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, die in der Nachfolgefrage auch eine Rolle spielen könnten. Teilnehmer berichten, die Tendenz gehe dahin, dass Seehofer Parteichef bleiben und Söder Ministerpräsident werden solle. Doch ausgemacht sei rein gar nichts. Andere sagen noch vorsichtiger, dies könnte eine Variante sein. Wieder andere, über Namen sei gar nicht richtig gesprochen worden. Man muss in diesen Tagen der Ungewissheit genau hinhören, um die jeweiligen Interessen zu ergründen. Vor allem, wenn sich Gesprächspartner so eindeutig und doch missverständlich äußern wie Seehofer.
Um 11.44 Uhr trifft der Ministerpräsident im Landtag ein, Hand in der Hosentasche, Grinsen im Gesicht. Ein Wald von Mikros und Kameras empfängt den CSU-Chef, mehr als hundert Journalisten. Nicht mal beim Stoiber-Sturz ging es so zu. Ein paar Meter weiter wartet die Fraktion, die selbsternannte Herzkammer der CSU, deren Rhythmus mehr und mehr von Söder bestimmt wird. Zwei Monate lang haben seine Unterstützer einen zermürbenden Kampf gegen Seehofer geführt. Nun erwarten sie zwar nicht ein Signal des Aufgebens, aber wenigstens des Abgebens. Er werde persönlich alles dazu beitragen, "dass wir zu einer Harmonie und einer Kameradschaft und Kollegialität in der CSU wieder zurückkehren", sagt Seehofer vor der Sitzung. Deshalb werde er mit allen Hauptbeteiligten reden, auch mit Söder. Und dann der Satz: Abends gebe es dann Klarheit. Mancher versteht das so, als werde der Parteichef in der CSU-Vorstandssitzung um 18 Uhr einen kompletten Personalvorschlag vorlegen. Das hatte er aber wohl nie vor.
"Wie dreist", sagt ein Teilnehmer der Vorstandssitzung
Bis Anfang Dezember sollen Partei und Fraktion einen Personalvorschlag erarbeiten, über den in einer weiteren Vorstandssitzung entschieden werden soll. Anschließend darf Mitte Dezember der Parteitag über die Neuaufstellung abstimmen. Aber wie neu wird die wohl sein? Zu seiner eigenen Zukunft sagt Seehofer am Donnerstagabend in seinem Bericht an den Vorstand: gar nichts. Er gibt nur bekannt, dass er einen Beraterkreis mit den Ex-Parteichefs Stoiber und Waigel sowie Landtagspräsidentin Barbara Stamm gründen will. Sie sollen ihn in Personalfragen beraten. Bis dahin bleibt alles offen - oder: alles beim Alten.
"Wie dreist", sagt ein Teilnehmer der Vorstandssitzung. Alles nur Verzögerungstaktik? In der Pressekonferenz am Ende eines langen Tages beteuert ein aufreizend entspannter Seehofer, das stimme nicht. Ihm gehe es nur um die Zukunft der CSU. In der Fraktion hatte er mittags betont, die CSU müsse "wieder zu guter, alter Geschlossenheit" zurückfinden. "Das kann heute gelingen." Söders Fans applaudieren lange, als Seehofer sagt: Er tue alles für eine Lösung, "die eint, zusammenführt und befriedet". Söder sagt wieder mal, er reiche die Hand. Er dankt Seehofer für seine guten Verhandlungen in Berlin, spricht von Anstand und Respekt. Auch Ilse Aigner und Joachim Herrmann sprechen von Geschlossenheit.
Doch meinen alle dasselbe? Schon die Aussage von Fraktionschef Kreuzer, man wolle "keine 60-zu-40-Entscheidung", wird unterschiedlich interpretiert: Heißt das, Seehofer dürfe Söder nicht verhindern? Oder dass Söder nichts werden dürfe, weil er gerade in der Parteiführung auf Widerstände stößt? Seit Tagen macht in der CSU ein Gerücht die Runde, es sei auch eine Lösung ohne Söder denkbar.
Demnach soll der Europapolitiker und Parteivize Manfred Weber CSU-Chef werden, Joachim Herrmann Ministerpräsident - zwei Personen, die sich vertragen und die Gräben zwischen dem Seehofer- und Söder-Lager zuschütten könnten. Haben sich die Söder-Leute zu früh gefreut? "Manche, die jetzt schon jubeln, werden sich noch wundern", sagt ein CSU-Mann. Immerhin: Selten wurde so begeistert über eine Verständigung zwischen Seehofer und Söder gesprochen - echte Zusagen konnte freilich niemand entdecken. Nach der Abendsitzung sucht Söder die Fernsehkameras, er drängt hinein in Seehofers Schauspiel. Jeder müsse einen Beitrag leisten, hat er schon in der Fraktion gesagt, "ich auch". Und auch jetzt gibt er sich demonstrativ friedlich und formuliert dennoch einen klaren Anspruch: Bei der Suche nach der "besten Formation" müsse man "die Erwartungen der Fraktion und der Öffentlichkeit" berücksichtigen. Im Grunde sagt er: An mir führt kein Weg vorbei. Am Nachmittag war Söder einer Einladung Seehofers in die Staatskanzlei gefolgt. Weitere Gespräche führte Seehofer dann in der Parteizentrale: mit seinen fünf Vizes, den beiden Generalsekretären, Landesgruppenchef Dobrindt, Fraktionschef Kreuzer und Schatzmeister Thomas Bauer. Sie sollen Seehofer vom Rückzug abgehalten haben. In der CSU heißt es aber auch: Die Gespräche liefen stets nach demselben Muster ab, nach "Methode Merkel": Seehofer lasse sich die jeweiligen Erwartungen erklären, er selbst schweigt. Am Ende kennt nur er sämtliche Meinungen - und kann sein Handeln danach ausrichten.
Sie würde ja lachen, sagt eine CSU-Frau, wenn Seehofer in der Vorstandssitzung am Abend zu dem Schluss komme: So wie sich die CSU aufgeführt habe mit ihren selbstzerstörerischen Grabenkämpfen, sehe er niemanden, dem er Land und Partei anvertrauen könne. Daher werde er, Seehofer, nun doch selbst in beiden Ämtern weitermachen. Am Nachmittag geht das als Witz durch - abends lachen manche darüber nicht mehr so leicht. Seehofer, damit hatte die CSU fest gerechnet, würde im Vorstand ankündigen, dass er 2018 nicht mehr als Ministerpräsident antreten werde. Doch klar war am Ende überhaupt nichts mehr.