Lehrermedientag:"Wenn Sie nicht in den nächsten Wochen in Rente gehen, müssen Sie das lernen"

Lesezeit: 3 min

Das menschliche Gehirn bekommt immer größere Konkurrenz durch Software. Das hat auch für die schulische Bildung Konsequenzen. (Foto: Gerd Altmann/Pixabay)

Der siebte Lehrermedientag der bayerischen Zeitungen diskutiert, welchen Einfluss künstliche Intelligenzen schon heute auf die Schulen nehmen - im Guten wie im Schlechten.

Von Maximilian Gerl

Wenn Schülerinnen und Schüler einen Aufsatz schreiben sollen, müssen sie nicht mehr selbst zum Stift greifen. Lehrer Florian Nuxoll demonstriert, wie das dann beispielhaft aussehen kann: Computer an, Browser auf, die Aufgabe bei der künstlichen Intelligenz Chat-GPT eingetippt, schon erscheint Stück für Stück der Text, ganz nach Wunsch. Und "man wird es nicht als Plagiat identifizieren können", sagt Nuxoll - denn die künstliche Intelligenz schreibe den Text jedes Mal neu.

Willkommen beim siebten Lehrermedientag, einer Initiative der bayerischen Zeitungen und der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. Das Ganze kann man sich als eine Art virtuelle Fortbildung vorstellen. In München wird dazu in einem Studio der Mediaschool Bayern diskutiert, während im Stream interessierte Lehrkräfte zuschauen und Fragen einreichen. Mehr als 1000 von ihnen haben sich an diesem Mittwoch angemeldet, so viele wie nie. Das Thema ist ja auch hochaktuell: der Einfluss künstlicher Intelligenz auf Medien und Schulen.

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Tatsächlich wird über KI schon lange geredet, als eine Art ferne Zukunftsmusik, die mal unser Arbeiten, Leben und Denken prägen wird. Doch seit dem 30. November 2022 klingt diese Musik sehr gegenwärtig. Damals wurde Chat-GPT für die Öffentlichkeit freigeschaltet und verblüffte mit so natürlich wie intelligent klingenden Antworten. So gut hatte noch kein bekanntes Programm auf menschliche Eingaben reagiert. Seitdem hat das Tool auch in den Schulalltag Einzug gehalten, wenngleich eher im Kleinen und bisweilen durch die Hintertür. Früher schrieb man die Hausaufgaben beim Nachbarn ab, später ließ sich die Lateinübersetzung im Netz ergoogeln. Heute hilft halt manchmal ein Chatbot nach.

Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, ihn als Unterschleifmaschine zu begreifen. Das macht am Mittwoch Lehrer Nuxoll deutlich. Er erzählt, wie er sich von Chat-GPT Inspiration für Arbeitsblätter und Elternbriefe geholt habe. Schüler könnten sich etwa beim Gliedern einer Erörterung anleiten lassen. Auch im Kultusministerium ist man überzeugt, dass KI eine Unterstützung beim Lernen und eine Zeitersparnis für Lehrkräfte sein kann. An ausgewählten Schulen laufen deshalb Pilotversuche, in denen beispielsweise im Englischunterricht Lernsoftware getestet wird.

In einem ersten Versuch fiel Chat-GPT durchs Abi, beim zweiten Mal bestand die KI

Damit KI in den Schulen zielgerichtet wirkt, sind Lehrkräfte "der Schlüssel", wie es Ministerin Anna Stolz in einer Videobotschaft formuliert. Aber selbst Fachleute tun sich schwer, allein die Entwicklung der vergangenen zwölf Monate im Blick zu behalten. Als der Bayerische Rundfunk im Januar Chat-GPT das bayerische Abi schreiben ließ, fiel der Bot durch. Im Mai schaffte die Nachfolgeversion GPT-4 die Fragen recht problemlos. Inzwischen gibt es mit Hey-Gen sogar eine KI, die in Fremdsprachen reden lässt. Dazu braucht es nur ein Video des Users mit den gewünschten Sätzen, den Rest übersetzt und imitiert die Maschine. Lippensynchron. Ob es da noch Fremdsprachenfächer brauche, fragt Nuxoll provokant. Seine These: "Künstliche Intelligenz wird das Bildungssystem nachhaltiger verändern als jede andere Innovation seit Einführung der allgemeinen Schulpflicht."

Künstliche Intelligenzen können aber auch anderweitig Einfluss auf den Schulalltag nehmen: in Form von Fake News und Bildfälschungen, als Vehikel von Propaganda und Hetze. Noch seien KI-generierte Manipulationen gegenüber menschlichen in der Minderheit, berichtet Journalist Stefan Voß. Aber das müsse nicht so bleiben. Voß leitet die Abteilung für Verifikation bei der Deutschen Presseagentur, hat also Erfahrung im Erkennen von Fakes. Davon spült es derzeit jede Menge durchs Netz - und durch die Smartphones von Kindern und Jugendlichen. Zu erkennen, was wahr ist und was falsch, fällt oft schwer. Voß rät, obwohl es unbefriedigend klingt: "Entspannt euch." Verifikation dauere. Mit ruhigem Blick fielen dann oft Details auf, die nicht zur Botschaft passten. Das Bild zeigt ein brennendes Hotel, doch die Leute sitzen daneben ganz ruhig am Strand? Niemand zückt das Handy, um das Ereignis festzuhalten? Ganz klar, eine Fälschung. "Logisches Denken", sagt Voß, "ist das A und O."

So gesehen kann man künstliche Intelligenzen für gefährlich halten, für hilfreich oder für beides zugleich. In jedem Fall werden sie wohl kaum wieder in der Abteilung für Zukunftsmusik verschwinden. Voß erinnert deshalb an eine Weisheit des Journalismus: "Du kannst nur darüber berichten, wenn du dich damit beschäftigst." Und Nuxoll richtet einen Appell an die Kolleginnen und Kollegen: "Wenn Sie nicht in den nächsten Wochen in Rente gehen, dann müssen Sie das lernen."

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