Korruptionsprozess:Ingolstädter Ex-OB Lehmann sieht Kampagne gegen sich

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  • Der CSU-Politiker und ehemalige Ingolstädter Oberbürgermeister Alfred Lehmann steht wegen Bestechlichkeit und Untreue vor Gericht.
  • Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, vergünstigt Studentenwohnungen gekauft und bei einer Ausschreibung ein Bauunternehmen bevorteilt zu haben.
  • Lehmann beteuert, er habe "nie Entscheidungen getroffen, die sich negativ für die Stadt" auswirkten.

Aus dem Gericht von Johann Osel, Ingolstadt

Er will heute reden, will sich rechtfertigen; das merkt man schon vor Eröffnung der Verhandlung. Alfred Lehmann schaut mit offenem Blick in den Saal des Landgerichts, nickt ab und zu - als wäre er noch im Amt und hielte gleich eine Festrede. Es ist der Prozessauftakt am Donnerstag gegen den früheren Ingolstädter Oberbürgermeister. Dem CSU-Politiker, Rathauschef von 2002 bis 2014, wird Bestechlichkeit in zwei Fällen vorgeworfen, in einem Fall in Tateinheit mit Untreue.

Laut Staatsanwaltschaft hat der 69-Jährige zahlreiche Wohnungen vergünstigt erhalten und sich so finanzielle Vorteile von mehr als einer halben Million Euro verschafft. Dabei soll er seine Pflichten als Funktionär der städtischen Wirtschaftsförderungs- sowie der kommunalen Krankenhausgesellschaft verletzt und Gegenleistungen für Bauunternehmen veranlasst haben. Mitangeklagt sind der Vertreter eines lokalen Bauträgers und die Witwe eines Unternehmers aus der Region. Nach Verlesung der Anklage ist Lehmann dran. Er bestreitet alle Vorwürfe, er habe nie auch nur versucht, sich zu bereichern. Er habe stets "im Interesse der Stadt" agiert - mit "Herzblut".

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Auf dem Areal einer einstigen Kaserne soll Lehmann 2010 und 2011 zwölf Wohneinheiten für sich und vier für seinen Vater günstig von einem mittlerweile gestorbenen Bauunternehmer im Kreis Eichstätt erworben haben. Die 16 späteren Studentenbuden sollen 240 000 Euro gekostet haben, die Baufirma habe den Ausbau preiswert übernommen. Lehmann und Vater soll insgesamt ein Vorteil von 460 000 Euro entstanden sein. Dafür soll er sich für den Bauunternehmer beim Kauf des Areals eingesetzt und veranlasst haben, dass nicht die Firma, sondern das Ehepaar privat dieses Geschäft vornehmen darf. Laut Staatsanwaltschaft habe er die "Kompetenz zu dieser eigenmächtigen Änderung" nicht gehabt.

Im zweiten Fall, einem millionenschweren Objekt in bester Lage, soll er einer Firma von 2012 an Vorteile verschafft haben: Demnach habe er verschwiegen, dass ein Mitbewerber 600 000 Euro mehr geboten habe; zudem habe er entschieden, dass bei der Vergabe ein Losentscheid ins Protokoll aufgenommen wurde, den es gar nicht gab. Nicht zuletzt soll er mehr Geschossfläche erlauben haben lassen, ohne dass der Kaufpreis für die Firma stieg. Im Gegenzug soll er in dem Objekt eine Penthousewohnung mit 160 Quadratmetern "zum Schein als Rohbau" erworben haben, dann habe er den Innenausbau gratis erhalten. Ersparnis insgesamt: 280 000 Euro. Der Stadt sei durch das geringere Angebot und den Flächen-Deal ein Schaden von mehr als einer Million Euro entstanden.

Lehmann hat sich offenbar akkurat vorbereitet, er verliest eine Erklärung mit einigen persönlichen Noten, rhetorisch geschliffen. "Es gab keine Bestechung und es gab keine Untreue." Im Fall der Studentenappartements sei es angesichts der Rezession damals schwer gewesen, Interessenten zu finden. Dass die Eheleute privat als Käufer auftraten, sei deren Entschluss gewesen, ohne seine Einmischung. Unabhängig davon habe er Wohnungen "zu einem angemessenen Preis erworben" und "pünktlich und korrekt bezahlt". Beim Innenstadt-Objekt sei ihm das höhere Konkurrenzangebot nie bekannt gewesen.

Zur "Sprachregelung", der Zuschlag sei ausgelost worden, hätten sich mehrere Beteiligte entschlossen - "da habe ich einen Fehler gemacht, den ich bereue". Die Vergabe an sich sei "korrekt erfolgt". Zum Rohbau-Vertrag sei es gekommen, da er auf Rat seiner in Rumänien geborenen Gattin den Ausbau mit einem rumänischen Handwerker in der Region kostengünstig planen wollte; später habe er doch entschieden, ein Angebot der Baufirma anzunehmen. Bereits bei der ersten Hausdurchsuchung bei ihm 2016 habe er einen beträchtlichen Teil der Kosten bezahlt gehabt. Der angeklagte Vertreter der Baufirma macht am Donnerstag Chaos nach einem Todesfall im Unternehmen und wegen eines weiteren Großprojekts dafür verantwortlich, dass Rechnungen nicht oder verzögert gestellt wurden.

Die Causa Lehmann war im Zuge der Ermittlungen um Vetternwirtschaft am Ingolstädter Klinikum aufgekommen. Das Areal mit dem von ihm selbst genutzten Penthouse ist das Gelände des früheren Stadtkrankenhauses. Der Hauptbeschuldigte in der eigentlichen Klinik-Affäre, der Ex-Geschäftsführer, nahm sich Ende 2017 in Untersuchungshaft das Leben. Er soll über Jahre eine Art Spezl-System ermöglicht haben. Der Rest dieser Ermittlungen ist abgeschlossen. Fünf von 16 Beschuldigten haben Strafbefehle über Bewährungs- oder Geldstrafen akzeptiert. Elf Fälle wurden eingestellt, meist gegen Auflagen. Ermittlungen gegen Lehmann wegen eines Beratervertrags bei einem Personaldienstleister des Klinikums erhärteten sich nicht.

Die Klinik-Affäre hatte in Ingolstadt Debatten über Transparenz und Kontrolle städtischer Töchter ausgelöst. Im Stadtrat gab es harsche Wortgefechte; Vertreter eines Oppositionsbündnisses sahen eine "Filzokratie" in der fünftgrößten Stadt Bayerns. Das Klima in der Lokalpolitik wirkte oft giftig. Lehmann beklagt im Prozess eine "Kampagne" gegen seine Person und seine Familie, unter anderem durch anonyme Briefe. Nur deswegen habe er 2016 als Alt-OB sein Stadtratsmandat aufgegeben.

Mit Lehmann steht ein kommunalpolitischer Überflieger vor Gericht. Er galt wegen der Wirtschaftsdaten der Auto-Stadt als "Ranking-König"; unter seiner Ägide florierte und wuchs Ingolstadt. Beim Abschied aus dem OB-Amt 2014 nannte ihn Ministerpräsident Horst Seehofer "einen der besten Oberbürgermeister, die Bayern aufzubieten hat". Bis Mai sind 16 Verhandlungstage mit 50 Zeugen angesetzt. Die Strafkammer hat ein Gutachten für Immobilienbewertungen in Auftrag gegeben.

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