Hubert Aiwanger, 52, hat noch immer alle überrascht. Als er im März 2006 zur Wahl des Landesvorsitzenden der Freien Wähler antritt, kennt ihn kaum jemand. Keine Viertelstunde dauert seine Bewerbungsrede. Am Ende des Tages ist der bis dato unbekannte Landwirt der neue Chef. Schon damals fürchten Mitglieder, dass ihre Freien Wähler unter Aiwanger nach rechts driften könnten. Auch der damalige CSU-Generalsekretär sagt: "Der Mann ist meiner Meinung nach radikal." Der Name des CSU-Generals: Markus Söder. Zwölf Jahre später wird Söder eine Koalition mit den FW schließen - und Aiwanger zum Wirtschaftsminister und zu seinem Stellvertreter als Ministerpräsident machen.
Hubert Aiwanger, geboren 1971, stammt aus Rahstorf in Niederbayern. Seine Familie hat dort einen Bauernhof, er ist auch Waldbesitzer. Aiwanger sieht sich trotzdem im Milieu der "kleinen Leute", deren Stimme er seit Beginn seiner politischen Laufbahn sein möchte. Nach Abitur und Wehrdienst studiert er zunächst Landwirtschaft in Weihenstephan, macht ein Diplom als Agraringenieur. Sein politischer Aufstieg verläuft zunächst nicht reibungslos. Bei der Kommunalwahl 2002 möchte er für die Freien Wähler in den Rottenburger Stadtrat - und scheitert. In den Jahren danach steigt er zum FW-Bezirksvorsitzenden auf, und schließlich zum Landeschef.
Aiwanger macht aus einem Zusammenschluss von Kommunalpolitikern eine Partei und führt die Freien Wähler 2008 in den Landtag. Streichung der Studiengebühren, Rückkehr zum neunstufigen Gymnasium, Abschaffung der Anwohnerbeiträge beim Straßenbau - trotz Oppositionsrolle gelingt es den FW immer wieder, die CSU zu treiben und ihre Themen im Landtag durchzusetzen. Neben den Erfolgen ist da aber auch immer der Ruf des Rechtsauslegers, der Aiwanger begleitet.
Der Höhe- oder Tiefpunkt, je nach Sichtweise, ist seine Rede im vergangenen Juni bei der Erdinger Demo gegen das im Bund geplante Heizungsgesetz. Die "schweigende große Mehrheit" müsse sich "die Demokratie wieder zurückholen", ruft Aiwanger den Menschen von der Bühne aus zu. Der Vizeministerpräsident, demokratisch gewählt, die Empörung ist groß. Und sie wird größer, als SZ-Recherchen enthüllen, dass Aiwanger als Elftklässler ein antisemitisches Flugblatt im Schulranzen hatte. Ob er es verteilt hat, daran will sich Aiwanger nicht erinnern. Geschrieben haben will es sein Bruder. Für ein paar Tage steht Aiwangers Entlassung als Minister im Raum, vor allem wegen seines uneinsichtigen Umgangs mit der Flugblatt-Affäre. Am Ende belässt ihn Ministerpräsident Söder im Amt.
Die Empörung ist groß, aber nicht bei allen. Die Umfragen deuten darauf hin, dass ihm weder die Erding-Rede noch die Flugblatt-Affäre geschadet haben. Im Gegenteil. Bei Bierzeltauftritten wird Aiwanger euphorisch gefeiert. Er selbst macht kein Geheiminis mehr daraus, dass er um die Wählerschaft der AfD wirbt, indem er auch deren Themen nicht ausspart. Ob sein Plan aufgeht? In den Umfragen haben sowohl Freie Wähler als auch die AfD in Bayern zugelegt.
Als Wahlziel hat Aiwanger im Dezember 2022 ausgegeben, die Freien Wähler zur zweitstärksten Kraft im Landtag zu machen. Manche fanden das ziemlich übergeschnappt, immerhin lag die Partei damals bei zehn Umfrageprozent, die zweitplatzierten Grünen bei 18. Inzwischen ist Aiwanger nicht mehr so weit entfernt von seinem Ziel. D er BR24-Bayerntrend sah die Freien Wähler Mitte September bei 17 Prozent, Platz zwei, vor den Grünen. Womöglich kann Hubert Aiwanger wieder einmal alle überraschen.