Kulturgut:Bayerns Telefonzellen sterben aus

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Die Letzte ihrer Art: Die gelbe Telefonzelle in Lenggries wird wohl nicht mehr lange stehen. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Telekom will ihre Telefonhäuschen abbauen. Doch einige Orte und Gemeinden möchten ihre öffentlichen Fernsprecher unbedingt behalten.

Von Johann Osel

Es geht auch kurz und schmerzlos, ohne Wehmut. Vollversorgung bei Festnetzanschlüssen, Handys in jeder Hosentasche, nur ein paar Münzen Umsatz in der Telefonzelle - "die Telekom hat aus diesem Grund den Antrag gestellt, das öffentliche Telefon in der Bahnhofstraße abzubauen", teilte die Stadt Altdorf bei Nürnberg jüngst mit. "In Anbetracht der dargelegten Fakten" habe der Stadtrat zugestimmt, das Telefon werde nun ersatzlos abgebaut.

Vielleicht hat die Stadt damit ihren Bürgern in Erinnerung gerufen, dass es die Zelle, neue Generation in Magenta und Weiß, überhaupt noch gibt. Anders in Lenggries. Dort will die Telekom die letzten vier Zellen abmontieren, im Bauausschuss der Gemeinde im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen herrscht nun Grummeln. Gäste und Sportler kämen mit dem Zug und wollten telefonieren; und man habe "junge Leute, die tatsächlich Handy-Verweigerer sind". Im ganzen Freistaat gibt es derlei Debatten - und Verhandlungen.

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Die Telefonzelle im Ort ist heute längst nicht mehr selbstverständlich, der Rückbau der Häuschen läuft auch in Bayern seit Jahren. Doch anscheinend drückt die Telekom dabei seit Jahresbeginn stark aufs Tempo. In den vergangenen Monaten bekamen Dutzende Kommunen im Freistaat Briefe, stets mit Hinweis auf die fehlende Rentabilität der Anlagen und mit Bitte um Abbau. Bundesweit ist der Bestand an öffentlichen Telefonzellen binnen zehn Jahren rapide geschrumpft.

Zählte man 2006 - da begann gerade das Mobiltelefon zum Massenprodukt zu werden - 110 000 Exemplare, so waren es zuletzt weniger als 30 000. Aktuelle Zahlen separat für Bayern teilt die Telekom nicht mit; verrechnet man ältere regionale Daten mit dem bundesweiten Minus-Trend, dürften es noch gut 2000 sein, gelegentlich sogar gelbe, wenn auch häufig moosgrün und schimmelschwarz durchsetzt.

In einer Erklärung rechtfertigt die Telekom: "Sind die Häuschen noch so nostalgisch besetzt, es gibt eine Grenze der Wirtschaftlichkeit bei deren Betrieb. Wenn diese erreicht ist, gehen wir auf die Gemeinde zu." Man darf das, wenn der Umsatz unter 50 Euro im Monat liegt. Dann bringe die Anlage Verluste, Betrieb und Reinigung müssten bezahlt werden.

Mancher Bürgermeister hat im Brief erfahren, dass "seine" Telefonzelle seit Monaten keinen einzigen Kunden hatte. Andernorts landen erwähnenswerte Beträge im Fernsprecher, aber keine 50 Euro. Ausnahmen sind oft Bahnhöfe, Flughäfen und sehr belebte Orte. Manche Gemeinde halte zwar "trotzdem an ihren Telefonhäuschen fest, doch in den meisten Fällen werden sie einvernehmlich entfernt", so die Telekom.

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Doch so unumstritten ist das nicht, wie ein Blick auf jüngste Stadt- und Gemeinderatssitzungen zeigt. Nur einige Beispiele: In Gräfenberg bei Forchheim gab es Zustimmung, auch wenn ein Stadtrat empfahl, "es der Telekom nicht so leicht zu machen".

Im oberbayerischen Benediktbeuren kam ein Veto heraus: "Was machen wir denn, wenn das Mobilfunknetz mal zusammenbricht?" In Roth in Mittelfranken ist man skeptisch, obwohl ein Stadtrat von einem "Schandfleck" sprach, der nur noch bei Vandalen beliebt sei, nicht bei Telefonierenden. Abgebaut wird die letzte Zelle in Schwarzenfeld in der Oberpfalz.

Nicht verfangen konnte das Argument: "Irgendwann braucht die doch jemand." Auch in Bad Aibling gab es den Beschluss, die letzten beiden Anlagen aufzugeben - sofern die Telekom Basistelefone errichtet. Dieser Ersatz ist eine Sprechsäule ohne Dach und Hülle, für Notrufe und Telefonate mit Kreditkarte. Was der Telekom offenbar wichtig ist: "Das Basistelefon verzichtet auf alle Teile, die für Vandalismus anfällig sind." Im Schnitt wird jede fünfte abmontierte Zelle dadurch ersetzt. Meist bleibt widerspenstigen Gemeinden kaum eine andere Wahl.

Sind die Telefonzellen wirklich nötig? Beispiel Lenggries. Reporter des Bayerischen Rundfunks haben sich vor einer bedrohten Zelle über Stunden auf die Lauer gelegt. Ergebnis der verdienstvollen Observation: keine Kunden, selbst die "jungen Leute, die tatsächlich Handy-Verweigerer sind", waren nicht zu erspähen. Womöglich standen alle Schlange bei einer der anderen Zellen im Ort. Aber auch bei einer Umfrage outete sich vor der Kamera keiner als Nutzer, aufgeben wollen viele Bürger die Zellen dennoch nicht.

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Senioren bräuchten sie, meinte einer, worauf eine ältere Dame anmerkte: "Ewig und drei Tage" habe sie da nicht telefoniert. Die Gemeinde verweist auf Nachfrage auf "zweistellige Euro-Beträge pro Monat". Aber man sei machtlos, es werden wohl letztlich Basistelefone kommen, heißt es. Der Abbau der Zellen, darunter ein gelber Oldtimer, ist nur eine Frage der Zeit.

Die Schrumpfstrategie, so ein Sprecher der Telekom in München auf SZ-Anfrage, widerspreche nicht der Pflicht, Zugang zu öffentlich zugänglichen Telefondiensten zu bieten. "Der Umsatz ist ein klares Indiz dafür, dass der Wunsch nach einer Grundversorgung durch die Bevölkerung an dieser Stelle offensichtlich nicht mehr besteht. Der Kunde ist der Architekt des Telefonzellen-Netzes." Fest steht also: Das Zellensterben geht weiter.

Vielleicht ist auch eine mentale Komponente der Grund dafür, wieso Lokalpolitiker murren und Bürger für den Erhalt plädieren: Das Gefühl, dass die Häuschen einfach dazugehören zu einem Ort; Erinnerungen an heimliche Gespräche mit der oder dem Liebsten; der beruhigende Gedanke, dass an der Telefonzelle jeder Mensch gleich ist, sofern er Münzen dabei hat und sich dem Schweißmief im Inneren aussetzen mag, dass jeder warten muss, wenn sich der Nutzer zuvor nicht kurz fasst.

Ein Mahnmal in Zeiten, in denen das neueste Smartphone Statussymbol ist, in denen sich keiner kurz fassen will. Kein Wunder, dass Häuschen - ohne Anschluss - oft erhalten bleiben. Alte Zellen verkauft die Telekom, 600 Euro aufwärts, gelbe sind ausverkauft. Freiluftduschen und Gartenschuppen wurden daraus, Milchautomaten, öffentliche Bücherschränke.

Oder eine Mini-Disco, für Privatbeschallung samt Nebelmaschine. Im Februar stand diese "Tele-Disco" zwei Wochen in der Nürnberger Innenstadt, ein Berliner Unternehmer vermietet sie. Grundprinzip: der Münzeinwurf. 50 Euro dürften da locker zusammenkommen.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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