Wirtschaft:Weltweit am Puls der Patienten

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Sind Sanitäter im Einsatz, haben sie in vielen Fällen auch medizintechnisches Gerät der Marke Corpuls dabei. (Foto: Reinhard Eisele/Mauritius Images)

Seit mehr als 40 Jahren rettet Medizintechnik der Marke Corpuls Leben. Entwickelt werden die Geräte im oberbayerischen Kaufering. Ein Firmenbesuch.

Von Felix Hamann, Kaufering

Ein bisschen Ähnlichkeit mit einem alten Baustellenradio hat er schon, der knallig orange Kasten mit den Knöpfen und den zwei Bildschirmen. Wären da nicht die geringelten Kabel für die beiden Schockpaddel, nur wenige würden annehmen, dass es sich um einen alten Defibrillator handelt - ausgestellt auf einem glänzenden Tisch in einer bayerischen Firmenzentrale.

Auf Modelle dieser Serie setzte Ende der 1980er-Jahre so mancher Rettungsdienst. Und auch heute noch über 40 Jahre später sind der Corpuls 300 und dessen Vorgänger nicht ganz verschwunden. "Erst vor wenigen Wochen hat einer unserer Mitarbeiter einen Corpuls 200 auf der Rettungswache in Pfronten entdeckt", erzählt Christian Klimmer.

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Seit 2006 ist Klimmer kaufmännischer Geschäftsführer von GS Elektromedizinische Geräte G. Stemple, bekannt unter der Marke Corpuls, die auch das gleichnamige Modell fertigte. Das Unternehmen wurde 1982 in Kaufering im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech gegründet und produziert seit über 40 Jahren Medizintechnik für die Notfall- und Intensivmedizin. Mit ihrem technologischen Know-how gilt die Firma in den Industrieländern als Marktführer im Bereich Präklinik, also dem gesamten Behandlungsverlauf, der bis zur Übergabe des Patienten im Krankenhaus erfolgt.

Entwickelt werden Defibrillatoren, Patientenüberwachungssysteme oder auch maschinelle Thoraxkompressionsgeräte für die elektromechanische Herzdruckmassage sowie Telemedizin- und Softwarelösungen. "In vielen Industrieländern und auch Schwellenländern gehört ein guter Rettungsdienst zum Standard", sagt Klimmer. Kein Wunder also, dass die Produkte aus Bayern etwa in Hongkong, Abu Dhabi oder Singapur zum Einsatz kommen.

Der am Firmensitz in Kaufering ausgestellte Corpuls 300 aus dem Jahr 1976 zeigt die technologische Entwicklung bis zum Erfolgsmodell Corpuls 08/16 im Jahr 1992 deutlich. Und das nicht nur optisch. "Schon die Markteinführung des Corpuls 08/16 war eine Revolution", erzählt Christian Klimmer. Das Gerät wog weniger als damals vergleichbare Geräte auf dem Markt und besaß neben einer zuverlässigen Batterietechnik ebenso ein 12-Kanal-EKG. Eine Besonderheit, nachdem nicht nur eine Rhythmusanalyse vorgenommen, sondern gar ein Herzinfarkt diagnostiziert werden konnte. "Hier ist besonders wichtig, dass der Patient sofort in Behandlung kommt", sagt Klimmer. Wenige Jahre später werden die Produkte von Corpuls nicht nur im bodengebunden Einsatz, etwa in Rettungswagen, sondern ebenso in der Luftrettung von DRF und ADAC eingesetzt.

Mittlerweile hat das Unternehmen Kunden in 75 Ländern. Darunter, neben vielen Rettungsdiensten wie dem Bayerischen Roten Kreuz, die Bundeswehr, das Uniklinikum Schleswig-Holstein oder auch die Luftstreitkräfte des Vereinigten Königreichs und Nordirlands, die Royal Air Force. Und das Geschäft mit der Medizintechnik boomt. Allein im Jahr 2022 setzte die Firma etwa 127 Millionen Euro um. Zum Vergleich: Im Jahr 2003 waren es noch 6,4 Millionen.

Der kaufmännische Geschäftsführer von GS Elektromedizinische Geräte G. Stemple, Christian Klimmer, in der Fertigung mit einer Monitoreinheit des Corpuls3. (Foto: Felix Hamann)

Maßgeblich den Grundstein für diesen Erfolg legte der damals 34-jährige Firmengründer Günter Stemple im Jahr 1976 mit seinem ersten Defibrillator mit EKG-Monitoring und Notfallschrittmacher, den er in einem Hobbykeller zusammenbastelte. "Er hat schon damals viel Wert auf die Bedürfnisse von Rettungsdiensten gelegt", erzählt Klimmer. Deshalb war auch dieses Gerät nicht nur sehr robust inklusive Spritzwasserschutz, sondern ließ sich als erstes Medizingerät vollständig über eine Folientastatur bedienen. Eine Innovation, die bis heute beibehalten wurde.

Im Laufe der Zeit hat Günter Stemple die Entwicklung seiner Firma mit neuen Produkten weiter vorangetrieben, bis er sich schließlich mit 79 Jahren in den Ruhestand verabschiedete. Geführt wird das heute etwa 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählende Unternehmen von seinem Sohn, Klaus Stemple, seiner Tochter Iris Klimmer und Ehemann Christian Klimmer sowie von zwei weiteren langjährigen Mitarbeitern. Im Frühjahr 2023 wurde schließlich der schwedische Finanzinvestor Nordic Capital Mehrheitseigentümer von Corpuls.

Während in Augsburg die Software und in Innsbruck die App für die Geräte entwickelt wird, handelt es sich bei Kuala Lumpur und Lima lediglich um Vertriebsstandorte. Produziert wird bislang nur in Kaufering, allerdings ist ein Umzug in das etwa fünf Kilometer entfernte Igling in Planung, nachdem das Grundstück in der Hauswiesenstraße bald zu klein wird. Dabei bleiben zunächst Verwaltungsgebäude und Entwicklung am alten Standort. Der komplette Umzug ist für 2025 angesetzt.

"80 Prozent der eingekauften Einzelteile kommen aus einem Umkreis von 200 Kilometern. Außer Displays und Halbleitern, die kommen aus Asien", erzählt Bereichsleiter für Operations, Johannes Beck. Er ist ebenso verantwortlich für die Fertigung des Corpuls3, einem Nachfolger des 08/16.

Das Modell wurde schon im Jahr 2007 eingeführt und mittlerweile mehr als 40 000 Mal verkauft. Dabei ging das 40 000. Gerät an einen Kunden aus Bayern. Und auch heute noch werden täglich etwa 40 Stück gefertigt. Das Gerät besteht, wie auch der Corpuls3T - die nächste Generation des Corpuls3 - aus drei Einheiten. Dem Monitor, der Patientenbox sowie dem Defibrillator.

Die Funktionen der Monitoreinheit des Corpuls3 werden am Schluss in der Qualitätssicherung getestet. (Foto: Felix Hamann)

Dabei bildet die Patientenbox das Herz des Corpuls3. Über diese werden Vitalparameter wie Herz- und Atemfrequenz, Blutdruck oder auch Körpertemperatur sowie die Sauerstoffsättigung erfasst, gesammelt und gespeichert. Diese Werte können anschließend drahtlos und in Echtzeit an die knapp 2,7 Kilogramm schwere Monitoreinheit gesendet werden. Sie ist die Schaltzentrale, in der die übermittelten Daten angezeigt oder weitergeleitet werden können, etwa an Ärzte in Krankenhäusern. Die können dann direkt mit der Diagnose beginnen. Ebenso kann über den Monitor der Befehl gesendet werden, dass über den automatisierten externen Defibrillator (AED) eine Schockabgabe erfolgen soll. Und auch die elektromechanische Herzdruckmassage kann über das Thoraxkompressionsgerät gesteuert werden, da die Einheiten miteinander kompatibel sind.

Des Weiteren können alle drei Einheiten abgekoppelt werden. Das heißt, die Anwender können das komplette Gerät, das etwa sechs Kilogramm wiegt, je nach Bedarf ab- und ankoppeln, um entweder Gewicht zu sparen oder um in beengte Räumlichkeiten vorzudringen. Die Einheiten bleiben dabei weiterhin über Funk verbunden. "Das ist praktisch, wenn die Rettungskräfte beispielsweise durch ein enges Treppenhaus müssen", erklärt Klimmer.

Die Geräte müssen die Herausforderungen im Rettungsdienst und in der Klinik bestehen

Solche Entwicklungen entstehen häufig aus einem Kundenwunsch heraus. "Man muss sehen, wo das Problem ist, um es zu lösen", sagt Klimmer. Dabei gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den Kunden, um sich die Prozesse anzuschauen und, um zu verstehen, wie sie arbeiten. Eine bedeutende Rolle spielt deshalb die Bedienfreundlichkeit. Schließlich stünden die Anwender im Ernstfall unter massivem Stress. Ein Vorteil somit, dass viele der Mitarbeitenden in der Entwicklung und im Produktmanagement selbst Anwender sind. Das heißt, sie kennen die Herausforderungen im Rettungsdienst und in der Klinik.

"Unsere Innovation spielt eine herausragende Rolle für uns", sagt Klimmer. Eine, die durch die neue europäische Richtlinie "Medical Device Regulation" (MDR) für Medizingeräte zunehmend in Bedrängnis gerät. Nachdem nämlich der eigene automatisierte externe Defibrillator (AED) von der Europäischen Union in eine höhere Sicherheitsklasse gestuft wurde, sind die Hürden für weitere Entwicklungen hoch. Gestiegen von Faktor 3 auf Faktor 10, wie Klimmer sagt. Hintergrund für die Hochstufung ist, dass der AED automatisiert über einen Algorithmus feststellen kann, ob er Schocks ausgeben soll oder nicht.

Zwar geht Klimmer davon aus, dass Corpuls in den nächsten Monaten die neue Norm erfüllen kann, dennoch würde die Richtlinie dafür sorgen, dass es zukünftig schwerer werde, neue Technologien auf den Markt zu bringen. "Die Unternehmen müssen einen gewissen Umsatz machen, um da mithalten zu können", sagt er.

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