Interview mit Bischof Marx:"Wer nichts ändern will, hat aufgehört zu leben"

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Ungewohnt deutlich hat sich Reinhard Marx öffentlich für einen Rückzug des umstrittenen Bischofs Mixa starkgemacht. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erklärt der Erzbischof von München und Freising, warum.

Monika Maier-Albang, Matthias Drobinski und Annette Ramelsberger

Von Anfang an hat sich der Münchner Erzbischof Reinhard Marx dafür eingesetzt, die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche zu verfolgen. Am Mittwoch hatte er den Augsburger Bischof Walter Mixa gedrängt, eine Auszeit zu nehmen - Mixa reichte daraufhin seinen Rücktritt ein.

Erzbischof Reinhard Marx (Foto: Foto: ddp)

SZ: Wie bewerten Sie den Rücktritt?

Reinhard Marx: Der Bischof von Augsburg hat dem Heiligen Vater seinen Verzicht angeboten. Dieser Schritt verdient unseren Respekt. Jetzt geht es darum, in der Diözese einen guten, gemeinsamen Weg in die Zukunft zu finden.

SZ: War er unausweichlich?

Marx: Mehrere Bischöfe haben Bischof Mixa geraten, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen bis zu einer Klärung der Dinge. Er selbst hat nun eine Entscheidung gefällt.

SZ: Geklärt sind die Dinge trotz des Rücktritts aber noch nicht.

Marx: Bischof Mixa hat mir versichert, dass auch er wünscht, dass die Vorwürfe objektiv geklärt werden. Dies müssen Fachleute tun. Wir brauchen einen objektiven Bericht, nicht nur Vorwürfe, die von den Medien vermittelt werden.

SZ: Es stehen zehn Aussagen, dass Mixa brutal geschlagen hat, gegen seine, er habe höchstens ein paar Watsch'n ausgeteilt. Zudem kommen Belege, wonach Mixa Geld eines Waisenhauses zweckentfremdet hat.

Marx: Der Sonderermittler hat seine Arbeit noch nicht abgeschlossen. Es gab jetzt einen ersten Zwischenbericht, es gibt noch keinen Abschlussbericht. Mit einer Bewertung der Vorgänge sollten wir uns also Zeit lassen, bis endgültige Ergebnisse vorliegen.

SZ: Wie sehr ist die katholische Kirche durch Mixas Verhalten belastet?

Marx: Es ist immer belastend, wenn ein Mitbruder in der Diskussion steht und angegriffen wird, manchmal zu Recht, manchmal auch zu Unrecht. Da kann man ja nicht einfach sagen: Ach, das ist nicht meine Sache, das ist...

SZ: "...Geschwätz des Augenblicks", wie Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano gesagt hat?

Marx: Ich kommentiere keine aus dem Zusammenhang gerissenen Satzfetzen.

SZ: Leiden Sie unter der Kirchenkrise?

Marx: Die Situation belastet mich sehr. Die Kirche befindet sich in einer Leidens- und Bußzeit, und davon bin ich nicht ausgenommen. Aber es gibt auch eine große Bereitschaft zu sagen: Wir packen das gemeinsam an. Wir wollen alles tun, um aufzuklären, wir werden nicht wegschauen, verharmlosen oder auf andere zeigen. Und wir werden die Opfer in den Mittelpunkt stellen, was in früheren Generationen nicht so der Fall war.

SZ: Es wurde vertuscht, verschwiegen, die Täter wurden weggelobt.

Marx: Das ist mir zu pauschal. Aber ich gebe zu: Es wurde nicht primär von den Opfern aus gedacht. Und man hat insgesamt unterschätzt, was eine pädophile Neigung bedeutet. Man hat gedacht, Pädophilie sei durch eine Therapie heilbar und dann geht das. Wir haben das Problem unterschätzt. Aber nicht nur wir in der Kirche, auch die Gesellschaft insgesamt.

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Marx: Wir Bischöfe müssen diese Schuld tragen. Aber auch das Volk Gottes als Ganzes. Und natürlich hat erst einmal der Täter sich zu entschuldigen.

SZ: Was bieten Sie den Opfern an?

Marx: Wir müssen die unterschiedlichen Bedürfnisse sehen. Wird finanzielle Hilfe gewünscht? Therapie? Oder ein Täter-Opfer-Ausgleich? Ich will mich auf jeden Fall mit Opfern treffen. Das ist in Vorbereitung, es wird nicht öffentlich sein.

SZ: Gehen Sie in betroffene Gemeinden?

Marx: Das tun die Weihbischöfe. Außedem entsenden wir Krisenseelsorger und Gemeindeberater. Wir haben Ombudsleute eingesetzt. Unsere Bischöflichen Beauftragten ermutigen Opfer, ihr Schweigen zu brechen und sich zu melden.

SZ: Soll es einen bundesweiten Entschädigungsfonds geben?

Marx: Damit beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz. Wir als Kirche sind gefordert, hier vorbildhaft zu handeln. Zuerst einmal muss aber der Täter mögliche finanzielle Konsequenzen tragen.

SZ: Die Bischöfe sind sich auch nicht einig, ob sie alle Vorfälle anzeigen sollen.

Marx: Opferschutzgruppen raten von einer generellen Anzeigepflicht ab. Ich könnte mir aber vorstellen, dass wir einen Weg finden, die Staatsanwaltschaft immer einzubeziehen, ohne dass die Opfer dadurch belastet werden.

SZ: Wie reagieren Sie auf Missbrauchsfälle, die Ihnen jetzt bekannt werden?

Marx: Die bayerischen Bistümer legen selbst verjährte Fälle bei den zuständigen Staatsanwaltschaften vor.

SZ: In guter Absicht, doch für die Opfer kann es traumatisch sein, wenn ihr Fall wegen Verjährung eingestellt wird.

Marx: Das ist die Kehrseite. Der Weg ist dennoch richtig, auch wenn er nicht alle Probleme löst. Wir können ja innerkirchlich einen Täter disziplinarisch verfolgen, auch wenn ein Fall verjährt ist.

SZ: Sorgt sich die Kirche auch um die Täter?

Marx: Für uns stehen die Opfer im Mittelpunkt. Aber selbstverständlich haben wir auch für die Täter Fürsorgepflicht.

SZ: In welcher Form kümmern Sie sich um den Tölzer Pfarrer H., der in der Amtszeit von Joseph Ratzinger als Münchner Erzbischof in der Seelsorge eingesetzt wurde, obwohl er Kinder missbraucht hatte.

Marx: Das möchte ich nicht in der Zeitung ausbreiten.

SZ: Das Erzbistum durchforstet die Personalakten bis zurück zum Kriegsende auf der Suche nach Tätern. Werden Sie das Ergebnis veröffentlichen?

Marx: Wir müssen sehen, wie wir das mitteilen. Denken Sie nur an Aspekte wie Persönlichkeitsrechte, die gelten auch für Täter. Uns ist wichtig, dass wir aus der Aufarbeitung der Vergangenheit lernen. Es geht nicht zuletzt darum, künftigen Missbrauch zu verhindern.

SZ: Wenn ein Fall aus der Ära des heutigen Papstes auftaucht, ist das kirchenpolitisch nicht einfach. Wie offen können Sie mit den Daten umgehen?

Marx: Wir sind es den Opfern schuldig, den Tätern nachzuspüren. Im Fall des Priesters H. haben wir Rom zeitgleich mit der Presse informiert. Rom hat uns keine Vorschriften gemacht.

SZ: Das Misstrauen in die Kirche bleibt. Viele Katholiken sind enttäuscht.

Marx: Ich will nicht verharmlosen, was in der Vergangenheit geschehen ist. Aber ich will versuchen, es zu erklären. Tatsächlich wurden früher Priester nach einer Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs eingesetzt, wenn es keine Auflagen des Gerichtes gab. Die Vorgeschichte hat die Bistumsleitung meist nur dem Pfarrer anvertraut, in dessen Gemeinde der Betreffende kam. Hätte man es der ganzen Gemeinde gesagt, hätte man die Person nie wieder einsetzen können. Wir müssen uns jetzt überlegen: Wie verfahren wir in Zukunft mit solchen Tätern?

SZ: Die Leitlinien sind hier doch klar: Ein Priester, der verurteilt wurde, darf in der Gemeinde nicht wieder arbeiten.

Marx: Ich bin der Meinung, dass man solch einen Mitarbeiter überhaupt nicht in der Seelsorge einsetzen sollte.

SZ: Nicht einmal im Altenheim?

Marx: Faktisch ist das nicht möglich, weil die Leute einen solchen Priester ablehnen. Aber ist das gerecht?

SZ: Der Jesuitenpater Klaus Mertes, der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, spricht vom "katholischen Geschmack" des Missbrauchs. Das berührt die Frage nach der verdrängten Homosexualität, der verdrängten Sexualität, der Insiderkultur...

Marx: Wir müssen uns den speziellen katholischen Aspekten dieser Thematik stellen - auch wenn Missbrauch ein Problem der gesamten Gesellschaft ist. Aus meiner Sicht spielen Macht und Abhängigkeit eine Rolle. Kommt, wie in der Kirche, eine emotionale Bindung hinzu, die mit geistlicher Vollmacht kombiniert ist, kann es besonders perfide werden.

SZ: Der Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller beklagt, dass wegen der Verpflichtung zur Ehelosigkeit zu wenig geeignete Anwärter für das Priesteramt zur Verfügung stehen.

Marx: Da ist faktisch etwas dran. Wichtig aber ist doch, wie wir auswählen. Die Ehelosigkeit ist wie die Ehe, die ein Leben lang halten soll, eine herausfordernde Lebensform. Beide Lebensformen erfordern eine besondere Hingabe. Die Priester folgen mit der Ehelosigkeit dem Lebensbeispiel Jesu.

SZ: Jesus wurde auch nur 33 Jahre alt.

Marx: Das ist kein Argument.

SZ: Pädophile können die Kirche als Schutzraum betrachten. Wäre es deshalb nicht vernünftig, den Zwangszölibat abzuschaffen und so mehr Auswahl bei den Bewerbern zu haben?

Marx: Das ist eine Unterstellung! Wir holen uns doch nicht Männer, die von vornherein nichts anderes im Sinne haben, als Kinder zu missbrauchen. Wir Bischöfe sind verpflichtet, bei der Auswahl der angehenden Priester darauf zu achten, dass man nur Persönlichkeiten akzeptiert, die menschlich gereift sind.

SZ: Und doch gibt es Priesterseminare, die Bewerber aufnehmen, die andernorts abgelehnt wurden.

Marx: Das ist nicht gut. Rom lehnt so etwas ausdrücklich ab.

SZ: Aber wer überprüft, ob die Standards erfüllt werden? In Augsburg musste der Leiter des Priesterseminars zurücktreten, weil er nicht die Kandidaten aufnehmen wollte, die sein Bischof haben wollte.

Marx: Ich kann nur sagen: Die römischen Regeln sind sehr streng.

SZ: Warum nimmt die Kirche nicht "viri probati" auf (rechtschaffene verheiratete Männer), wie Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, es vorgeschlagen hat?

Marx: Ich würde diese Frage ungern mit der Missbrauchsthematik verknüpfen. Die Kirche hat die Erfahrung gemacht, dass der Zölibat ein großer Schatz ist. Und nicht das große Problem der Kirche. Es braucht Menschen, die sich mit ihrem ganzen Leben in den Dienst des Evangeliums und in den Dienst am Nächsten stellen. Wir sollten lieber darüber reden, wie wir den Priestern helfen, dass sie in einer guten Gemeinschaft mit ihren Brüdern leben. Dass sie ein spirituelles Leben führen. Sie sollen keine isolierten Einzelkämpfer sein.

SZ: Sie wollen also nichts ändern. Werden sich dann die Menschen nicht noch mehr von der Kirche abwenden?

Marx: Wer nichts mehr ändern will, hat aufgehört zu leben. Wir sind gerufen, immer wieder neu aufzubrechen. Es geht darum, den Kern der Boschaft Jesu in den Mittelpunkt zu stellen. Das Evangelium zu verküdigen und zu leben in einer Zeit, die reich ist an Krisen, Armut und Elend auf der ganzen Welt. Wer diese Debatte auf den Zölibat verkürzt, kapiert nicht wirklich, worum es geht.

SZ: Die Gläubigen fordern glaubhafte Reformen...

Marx: Reform heißt aber nicht: Wir nehmen es nicht so genau. Reform bedeutet für uns: Wir nehmen den Lebensstil Jesu ernst.

SZ: Der Mainzer Kardinal Lehmann sagt: Die hohen Ansprüche, die wir stellen, kommen jetzt als Bumerang auf uns zurück.

Marx: Deswegen müssen wir den Mund auch nicht zu voll nehmen. Wir brauchen mehr Demut. Und mehr Gebet. Ich warne auch vor Pauschalisierungen. Die einen Gläubigen wollen es konservativer, die anderen fordern bereits das nächste Vatikanische Konzil. Es geht darum, dass wir gemeinsam den Kern des Evangeliums bezeugen und leben!

SZ: Wie sähe Ihre Wunschkirche in 20 Jahren aus?

Marx: Ich hoffe, dass das, was wir jetzt erleben, ein heilsamer Schock ist. Dass das Volk Gottes seine Sendung mit größerer Ernsthaftigkeit annimmt. Ich wünsche mir eine größere Nachdenklichkeit in der Kirche.

SZ: Und wie sieht Ihr Albtraum aus? Marx: Als Christ lebe ich in der Hoffnung, dass alles im Leben von Sinn erfüllt ist - und sich zum Guten, auf Christus hin, entwickelt.

© SZ vom 23.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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