Ingolstadt:Runte? Wer?

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Der erste Nachkriegs-Bürgermeister blieb nicht lange - und ist aus der Stadtgeschichte so gut wie verschwunden. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Der erste Oberbürgermeister nach dem Krieg ist beinahe vergessen - offenbar zu Recht. Die US-Militärregierung hatte ihn eingesetzt und seine Vergangenheit wohl nur unzureichend geprüft.

Von Johann Osel, Ingolstadt

Wer in diesen Wochen als Reporter im bayerischen Kommunalwahlkampf unterwegs war, der konnte auch durchaus etwas über Stadtgeschichte lernen. Gut, die historischen Pfeiler großer Städte im Freistaat (vor allem auf Gründung, Mittelalter und Traditionen bezogen) sind allgemein bekannt. Erstaunliches findet der Ortsfremde vielmehr in kleineren Details der Zeitgeschichte. Wie zum Beispiel in Ingolstadt bei der Liste der Oberbürgermeister - im Laufe des Jahres 1945 hatte in der Stadt ein gewisser Heinrich Runte das Sagen übernommen, sofern man dieses Wort in den wirren Nachkriegsjahren und unter Besatzung verwendet kann. Runte? Nie gehört - keine Straße ist nach ihm benannt, eine Übersicht des Stadtmuseums bietet nur spärliche biografische Daten: geboren 1909 in Leverkusen-Schlebusch, gestorben 1978 in Frankfurt am Main, OB 1945 und 1946; beziehungsweise das Wort "Oberbürgermeister" in Anführungszeichen.

Es steckt eine kuriose Geschichte dahinter. Heinrich Runte war nicht ordentlich gewählt, sondern wurde von der US-Militärregierung ernannt. Die hatte zuerst einen Kommunisten als kommissarisches Stadtoberhaupt zu installieren versucht, doch es keimten schnell Konflikte auf. Danach hatte man Runte - just aus dem Wehrmachtsgefängnis befreit und mutmaßlich politisch Verfolgter - ins Amt gehievt. Allerdings: Politisch verfolgt war Runte, der seit 1933 NSDAP-Mitglied war, keineswegs. Er war mehr oder weniger ein Kleinkrimineller. Eine politische Karriere aus Versehen sozusagen.

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Inhaftiert hatten die Nazis den Journalisten und Oberzahlmeister einer Flak-Einheit unter anderem wegen Veruntreuung von Geld. Das freilich wurde erst später publik, und bei den Amerikanern inszenierte sich Runte offenbar mit einigem Erfolg als Antifaschist. Andere Quellen berichten zumindest von einem "Verschweigen wesentlicher Tatsachen bezüglich seiner Person". Eine "Fehlbesetzung" - so bilanziert die Lokalposse der frühere Stadtsprecher Gerd Treffer, Jurist und Historiker, in seinem 2004 erschienenen Buch "Kleine Ingolstädter Stadtgeschichte".

Nach der Ära Runte folgte dann im Mai 1946 die erste ordentliche Kommunalwahl, aus der Mitte des Stadtrats wurde der katholische Lehrer Georg Weber OB, er blieb bis 1952 im Amt und gehörte danach dem bayerischen Senat an. Von Runte bleibt nicht viel - außer eben ein kurioses Kurzkapitel der Stadtgeschichte. Und eine literarische Verarbeitung: Im Nachlass von Marieluise Fleißer, der großen Tochter der Stadt, fanden sich Fragmente und Skizzen, die von dem dreisten Stadtoberhaupt berichten. Die Schriftstellerin (bekannt durch das Stück "Pioniere in Ingolstadt", durch das sie sich schon Ende der Zwanzigerjahre Volkszorn und Konflikte mit der Stadtspitze einhandelte) hegte auch persönlichen Groll gegen Runte. Ihm schrieb sie Repressionen gegen sich zu - nachdem sie im Tabakladen ihres Gatten Schmu mit Zigaretten betrieben haben soll. Eine Skizze Fleißers bettet einen Bürgermeister, dem Runte als Vorbild gedient haben soll, sogar in eine fiktive Kriminalerzählung ein. Mit dem Fazit: "Die Welt wird vom Satan regiert."

© SZ vom 17.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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