Kommunalwahl in Ingolstadt:Die CSU-Regentschaft wackelt

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Ingolstadt war immer eine CSU-Hochburg - jetzt wackelt die schwarze Hochburg. (Foto: dpa)
  • Überraschung in Ingolstadt: Amtsinhaber Christian Lösel (CSU) muss in die Stichwahl.
  • Lösel kam auf 33,76 Prozent, sein Herausforderer Christian Scharpf (SPD) auf 33,63 Prozent.
  • Die CSU-Regentschaft in Ingolstadt wackelt damit zum ersten Mal seit Jahrzehnten.

Von Johann Osel, Ingolstadt

Gespanntes Warten im großen Sitzungssaal des Ingolstädter Rathauses, auf der Leinwand gehen kurz nach 18 Uhr erstmals die Balken hoch mit dem aktuellen Stand. Zwei Balken sind besonders relevant bei der Wahl des Oberbürgermeisters, der schwarze und der rote: Amtsinhaber Christian Lösel (CSU) und sein stärkster Herausforderer, Christian Scharpf von der SPD. Lediglich eine kleine Runde ist am Sonntag im Rathaus versammelt, Stadtverwaltung, Presse. Jeder der OB-Kandidaten darf nur drei Begleiter mitbringen. Die meisten Anwesenden tummeln sich im Corona-adäquaten Abstand.

Früh zeigt sich die Überraschung. Mehrmals wechselt im Lauf der Auszählung die Führung, Ergebnis am Ende: 33,76 Prozent für Lösel, 33,63 für Scharpf. Stichwahl also, die Stadtregentschaft der CSU wackelt zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Es ist nicht weniger als eine Sensation. 2014 hatte Lösel noch auf Anhieb eine satte Mehrheit geholt.

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Dass es spannend werden würde, hatte sich aber angedeutet. Es lag etwas in der Luft. In der letzten Umfrage des Donaukurier zeichnete sich ein Duell Lösel (39 Prozent) gegen Scharpf (28) ab. Der SPD-Mann war verglichen mit einer früheren Umfrage enorm in der Wählergunst gestiegen und an Lösel herangerückt. Scharpfs Wahlkampf schien bei den Ingolstädtern gut anzukommen, sein Ergebnis überragt wohl nun weit das seiner SPD im Stadtrat. Insgesamt hatten neun Parteien und Vereinigungen OB-Kandidaten nominiert, auf Platz drei und vier stehen am Sonntag Petra Kleine (Grüne) und Hans Stachel (Freie Wähler) mit 9,3 und 8,3 Prozent.

So viele OB-Kandidaten waren in Ingolstadt im Rennen, dass Lösel unlängst beim politischen Aschermittwoch der lokalen CSU zum Leidwesen vieler Parteifreunde keine Haudrauf-Rede halten wollte. "Auf acht Kandidaten hauen, da hätte ich viel zu tun", sagte er. Aber auch, dass das gar nicht sein Stil wäre. Er dagegen, betonte Lösel, sei massiv angegriffen worden. Immer wieder monierte er zuletzt Attacken auf seine Person, blieb aber auf Nachfragen Details schuldig. Stattdessen rühmte er beim Aschermittwoch die "sachliche Politik" in seiner Amtszeit, die CSU sei ein "Anker". Als Leitmotto seiner Politik hatte Lösel, zumal angesichts der Krise beim Autobauer Audi, ausgegeben: "Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze", und zwar die von morgen.

Tatsächlich gibt es kaum ein Zukunftsfeld - etwa Künstliche Intelligenz, autonomes Fahren oder Flugtaxis -, bei dem Ingolstadt nicht irgendwie involviert wäre. Man müsse sich breit aufstellen, damit man in der Ökonomie der Zukunft auf alle Fälle dabei sei, so Lösel. Von den Aufregerthemen des Wahlkampfs versuchte sich der OB nach Kräften zu distanzieren: dem Skandal um Vetternwirtschaft am Klinikum sowie den Immobiliendeals, für die sein Vorgänger und politischer Ziehvater Alfred Lehmann (CSU) wegen Korruption verurteilt wurde. Laut Wahlergebnis, so eine erste Interpretation, ist Lösel das nicht gelungen. Er sprach am Wahlabend von "Themen der Vorvergangenheit, die auf meinen Schultern lasten". Er selbst habe stets die Aufklärung forciert und das als "Dienst am Bürger" verstanden. SPD-Kandidat Scharpf hatte dagegen vor der Wahl "Wechselstimmung" ausgemacht.

Scharpf schmiedete ein breites Bündnis, lud viele kleinere Parteien zum Gespräch ein

Da gehe noch mehr, viel mehr - diese Losung hatte die SPD nach der letzten Umfrage ausgegeben. Scharpf schmiedete an einem breiten Bündnis und lud viele kleinere Parteien zum Gespräch ein, damit sie ihn in der Stichwahl unterstützen. Die CSU stellt in der Heimatstadt von Horst Seehofer seit 1972 den OB. Scharpf will überparteilich arbeiten, nicht in einer Blockbildung, wie er sie bisher im Rathaus sieht: CSU und Freie Wähler gegen den Rest. Auch macht er einen "Filz" in der Stadtpolitik aus und Seilschaften. Der Jurist, der in Ingolstadt geboren, aber seit Jahren im Münchner Rathaus als Stadtdirektor tätig ist, hatte Mitte der Woche mit einer siegessicheren Geste überrascht: Er stellte da sein 100-Tage-Programm vor, das er als neuer OB umzusetzen gedenke.

Pressekonferenz vor wenigen Tagen im SPD-Haus in der Innenstadt, Wahlzeitungen mit der Schlagzeile "Zeit für den Wandel" liegen auf, bei Kaffee und Marmorkuchen erklärt Scharpf seine Pläne. Seine Wahlkampftruppe, allen voran Achim Werner, Fraktionschef im Stadtrat, wirkt euphorisiert. Eine so gute Stimmung bei der SPD, Flyer, die begehrt sind beim Bürger, und Schlangen am Infostand - das habe man ja noch nie erlebt, hört man, und dass Wahlkämpfen plötzlich Spaß mache, erst recht mit diesem Zugpferd als OB-Kandidat. Es hätten sogar Leute angerufen und sich beschwert, dass bei ihnen in der Straße kein Scharpf-Plakat hänge.

Als überheblich sieht der so Gelobte sein 100-Tage-Programm keineswegs. Die Chance sei greifbar, er wolle "nicht nur den Schreibtisch beziehen, sondern gleich etwas umsetzen": Verbesserungen im ÖPNV anstoßen, für Familien, Senioren und Vereine einen "roter Faden" für die Zukunft erstellen. Viele seiner 14 Punkte handeln von Umgang und Stil: Bürgersprechstunden, Transparenz und breite Zusammenarbeit im Stadtrat. Gegen die "Steckenpferde" des Amtsinhabers - Lösels Wirtschafts- und Innovationsprogramme - kann er freilich kaum etwas einwenden. Er sagt aber: "Eine Stadt ist mehr als seine Unternehmen."

Er wolle ein "soziales Ingolstadt". Scharpf sieht sich am Abend bestätigt in seinen Themen und in der "Aufbruchsstimmung", die er mitbringe. Die Stichwahl finde nun "klar auf Augenhöhe" statt. Erst an diesem Montag wird die Stadtratswahl ausgezählt sein - wie einzelne Listen abschneiden, wird nicht nur mögliche Mehrheiten ergeben, sondern auch beeinflussen, wie sich welche kleinere Partei zur Einladung von Scharpf verhält. Inwiefern virusbedingt überhaupt Wahlkampf stattfinden kann in den nächsten beiden Wochen, ist offen. Scharpf wollte eigentlich einen Promi einladen, auf dem nicht der Malus der SPD-Gesamtpartei lastet - den Münchner Alt-OB Christian Ude, unter dessen Ägide er seine Karriere in der Verwaltung des Münchner Rathauses begonnen hatte.

© SZ vom 16.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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