Es war ein Aufregerthema und allgegenwärtiges Stadtgespräch in Ingolstadt, schließlich sogar Spaltpilz in der Kommunalpolitik: der Skandal um Vetternwirtschaft am Klinikum, der 2016 ins Rollen kam. Strafrechtlich ist die Affäre abgeschlossen. Der Hauptbeschuldigte, Klinikgeschäftsführer F., hatte sich Ende 2017 in Untersuchungshaft das Leben genommen. Knapp 20 weitere Personen im Klüngelgeflecht haben Strafbefehle zu Bewährungs- oder Geldstrafen akzeptiert oder ihre Verfahren wurden eingestellt, in der Regel gegen Auflagen. Und Ingolstadts früherer Oberbürgermeister Alfred Lehmann (CSU) wurde 2019 am Landgericht zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Bei dessen Immobiliendeals ging es auch um das Areal des einstigen städtischen Krankenhauses, wo er unter fragwürdigen Bedingungen eine Wohnung erwarb und bezog. Dennoch: Juristisch ganz zu Ende ist die Causa noch nicht - und sie könnte jetzt erneut aufs Tapet kommen.
Hinter den Kulissen laufen Gespräche im Aufsichtsrat des Klinikums sowie beim Krankenhauszweckverband, den die Träger (Stadt und der Bezirk Oberbayern) bestücken. Auch gab es kürzlich einen Gütetermin am Landgericht. Es geht dabei um Schadenersatzansprüche der Klinik gegen die Erben des verstorbenen Geschäftsführers F., womöglich auch gegen Lehmann und andere. Alles Teil interner Verhandlungen, es dringt nichts nach außen. Was aber feststeht und als heikel gilt: Man muss in dieser Causa rekonstruieren, was fahrlässig geschehen ist und was bewusst. Gegen F. gab es 2017 lediglich eine Anklage - wegen des Verdachts der Untreue in 99 Fällen, der Vorteilsannahme in drei Fällen und der Bestechlichkeit. Aber keinen Prozess, kein Urteil. Ein Zivilprozess müsste jetzt wohl alles aufdröseln, mit einer umfassenden Beweisaufnahme.
Der Ombudsmann des Klinikums war 2016 auf erste Unregelmäßigkeiten gestoßen. Entstanden ist daraus ein riesiger Ermittlungskomplex mit zahlreichen Razzien und F. als Schlüsselfigur. Er war mehr als 30 Jahre am Klinikum tätig, davon fast anderthalb Jahrzehnte als Chef.
Die Vorwürfe umfassten unter anderem die Vergabe von Aufträgen zu wirtschaftlich unvertretbaren Konditionen, etwa im Werbebereich oder bei Anschaffungen, zudem habe er Verwandte über Fremdfirmen angestellt oder soll private Dinge auf Klinikkosten abgerechnet haben. Zum Beispiel war, wie später in einer Stadtratssitzung publik wurde, für die Neuerstellung und Wartung der Internetseite ein Preis von 434 000 Euro berechnet worden, offenbar ohne reguläre Ausschreibung. Im Stadttratsch machte vor allem ein ominöses Lager mit Präsenten im Klinikkeller die Runde, angeblich im Wert von Hunderttausenden Euro, mit teurem Cognac und Champagner. Die Sorge, als Stadt der Spezlwirtschaft dazustehen, trieb viele Bürger um. Laut Anklage, zu der es wegen des Suizids nicht kam, wurde von einem Gesamtschaden der Vetternwirtschaft im niedrigen einstelligen Millionenbereich ausgegangen.
Immer wieder tauchte in den Ermittlungen der Name Alfred Lehmann auf; juristisch Bestand hatte letztlich der Immobiliendeal. Der OB als Aufsichtsratschef des Klinikums hatte sich beim Verkauf des Areals für einen Bauträger stark gemacht und (mutmaßlich in Absprache mit F.) die Konditionen verbessert - und danach dort eine Wohnung für sich gekauft und vom Bauträger vergünstigt ausbauen lassen. Anderes war strafrechtlich nicht von Belang: zum Beispiel, dass Lehmann nach seinem Abschied aus dem OB-Amt 2014 bei einem Headhunter als Berater anheuerte und dem Klinikum in dieser Rolle mehrere Spitzenkräfte vermittelte.
Der Skandal rund ums Klinikum war damals in Ingolstadt auch zum lokalen Politikum geworden. Über Monate stellte ein oppositionelles Bündnis aus SPD, Grünen, Bürgergemeinschaft Ingolstadt und zumeist ÖDP üppige Fragenkataloge an die Stadtverwaltung - im Grunde an die CSU. Es gab hitzige Stadtratsdebatten, Fraktionen wähnten eine "Filzokratie". Die Affäre galt vielen als Anlass, mal grundsätzlich zu opponieren. Allerdings war Geschäftsführer F. Sozialdemokrat. Lehmanns OB-Nachfolger Christian Lösel, ebenfalls CSU, stellte sich an die Spitze der Aufklärung und war selbst in keiner Weise verstrickt; womöglich ist seine Wahlniederlage im März 2020 gegen Christian Scharpf (SPD) aber über den Makel dieser Affäre zu erklären.
In Ingolstadt herrscht nun großes Rätselraten über die Verhandlungen am Gericht und in den Gremien. Solche Gütetermine sind grundsätzlich nicht-öffentlich, ebenso besagte Sitzungen. Mit Verweis auf das laufende Verfahren äußern sich weder Klinikum noch Stadt - "zum jetzigen Zeitpunkt keine Informationen". Gremienmitglieder halten sich bedeckt. Zumindest ein Zeithorizont zeichnet sich ab: ein Ergebnis noch in diesem Jahr. Und klar ist auch, welche Möglichkeiten es grundsätzlich gibt, wie die SZ in involvierten Kreisen erfuhr: einen Vergleich oder eben die Zivilklage auf Schadenersatz. Zunächst hatte der Donaukurier über die Optionen berichtet. Die örtliche Zeitung sieht eine Tendenz zum Vergleich, zur gütlichen Einigung also.
Einig sind sich alle: Ein langer, kleinteiliger Prozess dürfte dem Image Ingolstadts nicht gut tun. Die Affäre war zuletzt in Vergessenheit geraten, sie würde erneut in allen Einzelheiten aufbereitet werden. Auch ist es dem neuen OB Scharpf gelungen, die erbitterten Lagerkämpfe und das ehemals giftige Klima im Stadtrat zu beseitigen. Als Neueinsteiger in der Lokalpolitik - er war zuvor in München tätig - kannte er die alten Schlachten und die Affäre wohl nur aus der Zeitung. Gleichwohl ist er jetzt als OB qua Amt der Vorsitzende des Zweckverbandes und Chef im Aufsichtsrat der Klinik.