Audi in der Krise:Großbaustelle Ingolstadt

Lesezeit: 4 min

Audi setzte lange Jahre Maßstäbe - jetzt droht der Konzern den Anschluss zu verlieren. (Foto: bernhardhuber)

Die fetten Jahre sind vorbei für Audi. Der neue Chef muss sparen, das aufgeblähte Produktportfolio umkrempeln - und endlich Tesla Paroli bieten.

Von Georg Kacher

Der Ruf, der Markus Duesmann voraneilt, lässt vermuten, der Ex-BMW-Manager könne über Wasser gehen. Schließlich soll der 52-Jährige nicht nur Audi flugs auf die Erfolgsspur zurückführen, sondern auch für den Konzern die technische Vorarbeit leisten - so will es zumindest sein Mentor und Vorgesetzter Herbert Diess. Nicht nur die Audianer hoffen dagegen, dass der Neue dem Konzernchef auch mal Kontra gibt, diverse heilige Kühe schlachtet und deutlich mehr Risiko nimmt. Doch die Corona-Krise potenziert zunächst einmal die Kernprobleme. Audi hat in der technischen Entwicklung und im mittleren Management etwa ein Drittel zu viel Leute an Bord, die Entscheidungsprozesse dauern gähnend lange, die veralteten Strukturen bremsen den Schwung und belasten das Budget. Die Marke kann zwar mit der deutschen Konkurrenz einigermaßen mithalten, aber in der E-Welt ist Tesla längst enteilt.

Die E-Tron-Flotte nimmt nur langsam Fahrt auf. Getreu dem Markenmotto ist die erste Stromer-Generation hoch komplex, viel zu schwer und betriebswirtschaftlich auf Kante genäht. Während Tesla ein drahtloses Update (Leistung, Reichweite, Zusatzfunktionen) nach dem anderen aus dem Ärmel schüttelt, kämpfen E-Tron-Kunden mangels Netzwerkdichte und aufgrund von Abrechnungsproblemen mit Reichweiten- und Ladeangst. Der Vertrieb hofft zwar, mit günstigeren Modellen auf Basis des VW ID (MEB-Plattform) bald Boden gutzumachen, doch im Premiumsegment warten Händler und Kunden sehnlichst auf die gemeinsam mit Porsche konzipierte PPE-Architektur, die in sechs oder sieben unterschiedlichen Formaten erst zwischen 2022 und 2025 Früchte trägt. O-Ton aus der technischen Entwicklung: "2023 kommen kurz nacheinander unser A6 e-tron und die bereits zweite Generation des Tesla Model S auf den Markt. Die künftigen Topversionen - der geräumig-luxuriöse A8-Nachfolger (interner Deckname Landjet) und ein möglicher Q9 e-tron - lassen sogar noch länger auf sich warten. Bei den Sportwagen ist nach dem Produktionsende von TT und R8 ohnehin Schicht im Schacht."

Audi A3 im Test
:Nur noch einer von vielen

Der Audi A3 Sportback teilt sich die technische Basis mit VW Golf, Seat Leon und Skoda Octavia. Die sind mittlerweile genauso gut - aber deutlich günstiger.

Von Georg Kacher

Ob der neue Mann an der Spitze das genauso sieht? Wie man hört, will Duesmann auch Benziner und Diesel weiter pflegen, ist nicht ganz so radikal auf Elektro gepolt wie sein Chef. Sogar TT und R8 sind in den Planungsrunden plötzlich wieder ein Thema. Als Basis für den TT e-tron ist der elektrifizierte Porsche Cayman im Gespräch, für den R8 bietet sich eine mit Verbrenner und E-Antrieb kompatible Abwandlung jener Multitraktions-Plattform an, die ursprünglich als neue Heimat für die inzwischen gestoppte Brennstoffzelle gedacht war. Großbaustellen betreffen Batterietechnik und Zellchemie (Audi wechselt von LG Chem zu Samsung und zu Rundzellen wie bei Tesla), die Spätgeburt der markenübergreifenden Software-Welt, die verfahrene Situation bei Audi Sport, die kontrovers diskutierten Markenwerte sowie der für 2022 avisierte A4-Nachfolger als Hopp-oder-Top-Projekt, das sich momentan nur für China rechnet. Stein des Anstoßes ist die Wahl der Plattform. Während das VW-Patriarchat lieber auf Quermotor und Passat-Basis umgestellt und pro Auto bis zu 1050 Euro gespart hätte, beharrt Ingolstadt auf dem Längseinbau, denn nur so lassen sich A4, A5, A6 und A7 in der Auslaufphase der alten Auto-Welt miteinander verblocken.

Parallelentwicklungen und teure Alleingänge

In der neuen Audi-Welt steht unter anderem die in der Vergangenheit immer wieder belastete Zusammenarbeit mit Porsche im Fokus. Während der Audi-Apparat im Lauf der Jahre viel Fett angesetzt hat und nur langsam Fahrt aufnimmt, treiben die Schwaben den gemeinsamen Vorsprung durch Technik zügig voran. Um Schlüsseltechnologien für Premium-Fahrzeuge rasch und nachhaltig serienreif zu machen, wird hinter verschlossenen Türen sogar darüber diskutiert, aus Audi und Porsche eine gemeinsame Hightech-Speerspitze zu formen - mit Lamborghini und Bentley im Schlepptau. Zu den wichtigen Impulsen der Weissacher Ideenschmiede gehören die neuen Benziner mit sechs und acht Zylindern, eine aggressivere Batterie-Strategie auf Graphen-Basis und eine voll elektrifizierbare Sportwagen-Architektur (SPE). Audi ist seinerseits die treibende Kraft hinter einem hochinteressanten Standardisierungsansatz, der einerseits durch breit gefächerte Differenzierung und andererseits durch maximale Vereinheitlichung bei Karosserie und Innenraum beeindruckt - die späte Evolution von Piechs Plattformkonzept.

Zu schaffen machen Audi auch die Altlasten in den Köpfen des Managements, in der Unternehmensbilanz und im Verhältnis zu Big Brother aus Wolfsburg. Der A1 war schon in der Kalkulation ein finanzieller Misserfolg, den der Markt jetzt als solchen bestätigt hat. Dem neuen A3 könnte ein ähnliches Schicksal drohen. Statt markenübergreifende Synergien zu schaffen, gibt es Parallelentwicklungen und teure Alleingänge. Die vom Konzern verordnete vereinheitlichte Software steht erst 2023 zur Verfügung. Bis dahin müssen sich Audi und VW mit zwei verschiedenen Backends, zwei Infotainmentbaukästen, zwei unterschiedlichen Rechnertypen und dem verschleppten Wechsel von der veralteten Linus-Computersprache zu Android Embedded herumschlagen, das eine profitable Anbindung von Fremd-Apps erst möglich macht. Auszug aus einem Mailverkehr der Qualitätssicherung: "Betrifft Grenzbetriebsbedingungen im Bereich Fahrwerk, Lenkung und Bremse. Sollte dieser praxisferne Maßnahmenkatalog Bestand haben, muss demnächst wohl jeder Neuanlauf 25-mal mit Vollgas im Rückwärtsgang das Stilser Joch runterbrettern."

Eine neue Sitzverstellung für 100 Millionen Euro

Statt die hohe Wertigkeit im Interieur als Kernbotschaft mit allen Mitteln zu verteidigen, hat die Führung den Rotstift genau dort angesetzt, wo es wehtut: bei Oberflächen, Werkstoffen, Passung, Fügung, Haptik. Die Qualität im Blech lebt noch, doch bei Anmutung und Technik reißt die Marke immer neue Hürden. Das merkt man nicht nur bei A1, A3, Q2 und dem A4-Facelift, sondern auch bei künftigen Nachfolgemodellen, deren Module in Wahrheit oft keine standardisierten Premium-Bauteile sind, sondern teure Einzelanfertigungen ohne Kundenmehrwert. Wie man es nicht machen sollte, zeigt der für fast 100 Millionen Euro neu konstruierte Sitzverstell- und Klappmechanismus des Q7, den Audi bedenkenlos von einem Schwestermodell übernehmen hätte können. Ein weiteres Fass ohne Boden ist das Produktportfolio mit zu vielen Derivaten, die auf zu geringe Stückzahlen kommen. Audi offeriert in jedem Segment (abgesehen vom schmerzlich vermissten Q1) einen SUV und ein CUV als Verbrenner und Diesel, als S- und RS-Variante, als Plug-in-Hybrid (PHEV) und/oder als reines E-Auto (BEV) - wie soll sich das rechnen? Bleibt nur zu hoffen, dass mit der Berufung von Frank Welsch als Entwicklungskoordinator für alle Konzernmarken die Territorialkämpfe der lokalen Spartenfürsten bald ein Ende haben.

Sollte es der neu zusammengestellten Führungsmannschaft gelingen, Tesla zeitnah Paroli zu bieten, wäre das ein Riesenschritt weg von der phlegmatischen Mittelmäßigkeit. Doch leider entscheiden nicht nur tradierte Produkteigenschaften dieses Duell, sondern auch Softwarekompetenz, verfügbare Datenmenge, Ladegarantie und die Kompetenz beim autonomen Fahren, wo Audi soeben das Level-3-Versprechen für den aktuellen A8 kassiert hat. Wie kann die Marke gegensteuern? Zum einen mithilfe des Konzernverbunds, zum anderen durch alte und neue Stärken wie hochwertig gestaltete Innenräume, breit gefächerte Fahrdynamik-Qualitäten, erweiterte Individualisierung und eine auf den Kunden maßgeschneiderte Wohlfühl-Erlebniswelt als Kontrast zu Teslas kühl-distanzierter virtueller Kundenpflege. Das kann aber nur funktionieren, wenn sie in Ingolstadt die alten Zöpfe abschneiden.

© SZ vom 02.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Britische Supersportwagen
:Ferrari im Visier

Aston Martin will mit frischem Geld des kanadischen Investors Lawrence Stroll wieder konkurrenzfähig werden. Doch das wird nicht leicht.

Von Georg Kacher

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: