Ingolstadt:Problemzone Fußgängerzone

Lesezeit: 3 min

Zu wenig Kunden, maues Ambiente: In Ingolstadt soll ein neues Gremium die Identität der Innenstadt definieren - für mehr Attraktivität. Sorgen um die City gibt es allerdings auch in vielen anderen Städten.

Von Johann Osel, Ingolstadt

Es war nur ein Halbsatz, der den Verantwortlichen im Ingolstädter Rathaus aber sauer aufstieß: In der zweitgrößten Stadt Oberbayerns, schrieb die Bayerische Staatszeitung neulich, "verödet die Altstadt zusehends". Fehlende Attraktivität in der Fußgängerzone, ein Mangel an Bummlern, unschöne Leerstände - ja, diese Probleme gebe es, hieß es aus der Stadtpolitik. Aber Verödung, was nach menschenleerer Wüste klinge? Etwas zu harsch. Man dürfe die Innenstadt "nicht schlechtreden", sagte auch Ingolstadts neuer Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD). Die Häuser seien zudem "wirklich herausgeputzt". Dass sich aber etwas tun müsse - unbestreitbar.

Vor ein paar Wochen hat sich auf Einladung des OB ein "Runder Tisch Innenstadt" mit 40 Teilnehmern getroffen. Als Auftakt für einen "nachhaltigen Veränderungsprozess", die nächste Sitzung steht im Herbst an. Außer Politik und Verwaltung sind Vertreter von Wirtschaft, Gastronomie und Immobilienbesitzern im Gremium, auch will man Bürger und auswärtige Gäste einbinden. "Man hat richtig gemerkt, wie viele Menschen für die Innenstadt brennen. Sie lamentieren nicht, sondern wollen anpacken", so Scharpf. Ziel ist ein Gesamtkonzept "Zukunft der Innenstadt". Bis Sommer 2021 soll es fertig sein. Gesucht seien Ideen, "mit denen sich die Innenstadt in ihrer Einzigartigkeit profilieren kann". Der OB ist zuversichtlich: "Die Innenstadt ist das Herz unserer Stadt, ich glaube an sie und sie hat großes Potenzial."

Die aktuelle Lage lässt viele Ingolstädter freilich nicht so optimistisch sein. Eine Ursache für die Malaise ist die Konkurrenz an den Ortsrändern: das beliebte Einkaufszentrum Westpark sowie das Outlet-Center "Ingolstadt Village". Leerstände im traditionellen Fachhandel sind eine Folge, zuletzt hatte das Ende eines Lego-Ladens in einer Seitengasse Aufsehen erregt: Die Inhaberin musste das Geschäft, das Lebenswerk ihres Vaters, schließen - wegen fehlender Laufkundschaft und vor allem der Konkurrenz im Netz. Und die Schließung von Galeria Kaufhof in der Fußgängerzone steht an. Eine Rettung, wie sie andernorts vereinzelt möglich wurde, zeichnet sich nicht ab. Ein SPD-Vorschlag, im Gebäude einen innerstädtischen Ableger des Ingolstadt Village zu planen, wurde vom dortigen Management abgelehnt; es war aber zumindest mal eine kühne Idee. Auch Wirte für Lokale selbst in besten Lagen waren zuletzt nicht immer rasch zu finden. Durchaus Aufwind hatte der Fußgängerzone vor gut zwei Jahren die Eröffnung eines Billigmodeladens gebracht, er zieht seitdem sichtbar Schüler in die Ludwigstraße. Das löste aber Angst vor einer drohenden Billigheimer-Szenerie in der Autostadt aus. Immer wieder keimen derlei Sorgen über ein gesichtsloses "Ramsch-Image" auf.

Hier sind sich die Bürger ebenso uneins wie etwa in der Parkplatzfrage: Manche rügen, dass es zu wenig und nur teure Stellflächen gebe, andere träumen von Verkehrsberuhigung. Ohnehin wird debattiert. Ein Mann erzählte in Medienberichten: Als er Gästen aus Japan Ingolstadt zeigen wollte, sei vieles unvorzeigbar gewesen. "Da habe ich mich richtig geschämt." Scharpf wird mit seinem runden Tisch viele Interessen unter einen Hut bringen müssen. Man wolle eine "Vision" definieren, "eine gesellschaftliche Übereinkunft, wofür Ingolstadt steht". Es geht etwa um Standortmarketing, Kulturangebot und Ambiente.

Mit dem Problem steht die Stadt gleichwohl nicht alleine da - sozusagen mit der Problemzone Fußgängerzone. Experten sehen einen Dreiklang, der vielerorts Innenstädte darben lässt: die Mitbewerber auf der grünen Wiese, der florierende Online-Handel sowie zusätzlich die Corona-Krise. "Nur zu sagen: Kommt und kauft bei uns Strumpfbänder und nehmt noch ein paar Stifte mit - das wird es nicht mehr sein", sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, der dpa. Er fordert kreative Lösungen für "neue Innenstädte", bei denen Gastronomie und Veranstaltungen eine viel größere Rolle spielten. Nötig seien "Kleinkunstflächen, Auftrittsmöglichkeiten, vielleicht Räumlichkeiten, wo sich Vereine und andere treffen können - wo es von Modeschauen bis hin zu Messen alles geben kann". Zumindest hat in Ingolstadt die Arbeit begonnen. Und das Interesse der Bürger ist enorm. "Sie ahnen, dass hier eine ganz entscheidende Weichenstellung ansteht", notierte unlängst der Donaukurier, als beim Podium der Zeitung zum Thema viel Andrang herrschte. Es fand übrigens am Paradeplatz statt, der da zu einem urbanen Strand umgestaltet war - womöglich ein Ansatz, wohin die Zukunft gehen könnte.

© SZ vom 31.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: