Auszeichnung:Späte Genugtuung für Horst Seehofer

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Horst Seehofer mit seinem Laudator Kurt Beck, dem früheren SPD-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz. (Foto: Bernd Wackerbauer/Türkische Gemeinde)

Der ehemalige CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer erhält von der türkischen Gemeinde eine Auszeichnung für seine Verdienste um die Integration. Bei der Feier setzt er feine Nadelstiche gegen seine alten Widersacher in der Partei.

Von Peter Fahrenholz, München

Nicht immer können Politiker die Früchte ihrer Arbeit ernten. Und auch die Anerkennung für eigene Anstrengungen lässt manchmal lange auf sich warten. Umso größer war die Genugtuung von Horst Seehofer über eine Auszeichnung, die wohl die wenigsten auf Anhieb mit ihm in Verbindung bringen würden: Der ehemalige CSU-Chef und Ministerpräsident erhielt die Verdienstplakette der Türkischen Gemeinde in Bayern, die seit 2019 für besondere Bemühungen um Integration verliehen wird.

Auf der letzten Etappe seiner politischen Karriere, als Bundesinnenminister, wurde Seehofer gerne als konservativer Hardliner dargestellt, wozu er mit einigen saloppen Äußerungen auch selber beigetragen hatte. Dabei gehörte Seehofer nie zum rechten Flügel der Union, sondern hat für viele in den eigenen Reihen eher immer als verkappter Sozialdemokrat gegolten. Seehofer wäre nach seinem erzwungenen Rücktritt als Ministerpräsident und CSU-Chef statt Innenminister auch viel lieber Arbeits- und Sozialminister in der letzten Regierung Merkel geworden.

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Seehofers letzte Jahre in Berlin verdecken ein wenig, in welchem Zustand er die CSU im Jahr 2008 übernommen hat. Die Partei hatte unter dem Duo Erwin Huber und Günther Beckstein bei der Landtagswahl die absolute Mehrheit verloren und Seehofer wurde als Retter in höchster Not sowohl CSU-Chef als auch Ministerpräsident. "Ich war da nicht hochwillkommen in der Landtagsfraktion, ich war der Notnagel", erinnert sich Seehofer in seiner Erwiderung auf die Lobreden bei der Preisverleihung im Pageou, einem bekannten Münchner Gourmetrestaurant.

"Wir waren einfach aus der Zeit gefallen"

Schon damals sei die Wahlniederlage nicht ausreichend analysiert worden, sagt Seehofer und macht keinen Hehl daraus, dass auch aus den herben Verlusten bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst keine ausreichenden Lehren gezogen worden seien. "Wir waren einfach aus der Zeit gefallen", sagt Seehofer. Dazu gehörte in seinen Augen auch die Integrationspolitik. Ziel sei damals noch gewesen, dass die Zuwanderer irgendwann nach Hause zurückgehen, das habe so auch im Gesetz gestanden. "Wenn das heute noch im Gesetz stünde, wären wir eine Splitterpartei", sagt er.

Seehofer hat das geändert, in seiner Amtszeit wurde der Integrationsbeauftragte in der Staatskanzlei angesiedelt. Als Ministerpräsident habe Seehofer eine "gewichtige Neujustierung" in der bayerischen Integrationspolitik vorgenommen, lobt Vural Ünlü, der Vorstandssprecher der Türkischen Gemeinde in Bayern bei der Preisverleihung, es sei ein "feststellbarer Kurswechsel" gewesen. Seehofer habe den in Bayern lebenden Türken "ein bisschen Nestwärme geschenkt".

Entscheidend dazu beigetragen hat dazu ein Besuch Seehofers beim Sommerempfang der Türkischen Gemeinde im Mai 2015. In der Staatskanzlei hat es damals heftige Bedenken gegen diesen Termin gegeben. Die Türkische Gemeinde in Bayern verfolgt einen liberalen Kurs, anders als der türkische Präsident Erdoğan, die beamteten Bedenkenträger fürchteten wohl diplomatische Verwicklungen. Und außerdem: Warum überhaupt ein Auftritt bei den Türken? In der CSU-Landtagsfraktion habe "Entsetzen" geherrscht, erinnert sich Seehofer.

"Bilderbuch-Bayern"

Aber Seehofer ging hin, als Kompromiss wurde ausgehandelt, dass er als CSU-Chef kommt, nicht als Ministerpräsident, eine kuriose Form politischen Etikettenschwindels. Seehofer sagte damals in seiner Rede, er würde viele türkische Zuwanderer "geradezu als Bilderbuch-Bayern" bezeichnen und auch sonst muss das mit der Nestwärme ganz auf Gegenseitigkeit beruht haben. "Herzlicher als auf jedem CSU-Parteitag" sei die Atmosphäre dort gewesen, stichelt Seehofer.

Dass Integration eine bleibende Aufgabe ist, daran erinnert ein anderer Altvorderer, der als Laudator extra aus Rheinland-Pfalz angereist ist. Der ehemalige SPD-Chef und Ministerpräsident Kurt Beck ("Schön, dass wir uns wiedersehen") erzählt, wie ein Besuch bei türkischen Rückkehrern, deren Kinder dort als "Deutschländer" gegolten hätten, seinen eigenen Blick auf die Integration völlig verändert hätte und lobt Seehofer für dessen Bemühungen. "Das öffnet den Blick für die Schwächeren in der Gesellschaft".

Weil das Essen im Pageou hervorragend, die Stimmung locker und Seehofer ein süffisanter Plauderer ist, erfährt man an dem Abend auch manch Interessantes aus dem Innenleben der CSU. Zum Beispiel, wie schwierig es im Jahr 2011 war, die Nachfolge für den zurückgetretenen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zu regeln. Die Vereinbarung war, dass die CSU in einem Tausch mit der CDU das Innenministerium übernehmen sollte.

Seehofer erinnert sich, wie er mit einer Reihe von möglichen Kandidaten verhandelt habe, allesamt prominente CSU-Namen, jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt. Aber jeder habe Bedenken vorgebracht. Einer der Aspiranten, den Seehofer ins Auge gefasst hatte, habe zum Gespräch vorsichtshalber gleich seine Ehefrau mitgebracht. Die sei dann weinend aus dem Zimmer gelaufen, als sie erfahren hat, welchen Job ihr Mann übernehmen soll. Es ist offenbar schon seit Jahren so, dass die CSU Probleme hat, für wichtige Aufgaben die richtigen Leute zu finden.

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