Historische Kochbücher:Bitte nicht auf den Boden spucken!

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Hecht mit Trüffel, Schweinsohren mit Kapern - eine Kochfibel "für junge Ehen" aus den Zwanzigerjahren. (Foto: Staatliche Bibliothek Regensburg)
  • Die ungewöhnliche Ausstellung "Einbrenn, Gesottenes und Nockerln" in der Staatlichen Bibliothek Regensburg zeigt mehr als fünf Dutzend Kochbücher aus fünf Jahrhunderten.
  • Ungewöhnlich ist die historische Kochbücherschau wegen ihrer überschaubaren Größe und ihrer enormen Publikumsresonanz.

Von Rudolf Neumaier, Regensburg

Bei Austernragout, zubereitet aus vier Dutzend Austern, Weißwein und vier Eigelb, kann man sich den gewünschten Effekt gut vorstellen. Ein solches Gericht erzeugt beim Manne Seelenerquickung und Dankbarkeit.

Zudem sollen Austern die Libido stimulieren, welchselbes man dem Trüffel nachsagte. Jedenfalls klingt Gespickter Hecht mit Trüffeltunke nach einer Delikatesse, und unter den vielen hundert Rezepten in dem Kochbuch "Der Weg zum Herzen des Mannes" zählt es zu den raffinierteren.

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Doch schaffen es auch Schweinsohren in Kaperntunke ins Herz des Ehepartners? Und wie erst muss ein Mann beschaffen sein, dem bei Karpfen in schwarzer Tunke das Herz aufgeht, wo diese Tunke doch aus dem Blut des Karpfen selbst und aus Essig gemischt ist? Kochbücher lassen tief blicken.

Das Herzens-Buch mit dem Untertitel "Geschenk-Kochbuch für junge Ehen" aus den Zwanzigerjahren zählt zu den Perlen der ungewöhnlichen Ausstellung "Einbrenn, Gesottenes und Nockerln" in der Staatlichen Bibliothek Regensburg. Sie zeigt mehr als fünf Dutzend Kochbücher aus fünf Jahrhunderten. Ungewöhnlich ist die historische Kochbücherschau allein wegen ihrer sehr überschaubaren Größe und ihrer enormen Publikumsresonanz, die Bibliotheksleiter Bernhard Lübbers, zugleich Kurator der Ausstellung, als "noch nie dagewesenen Zustrom" beschreibt.

"Es ist schon seltsam", sagt Lübbers, "noch nie wurden so viele Kochbücher gedruckt wie heute. Und das, obwohl jedes Rezept im Internet verfügbar ist." Bücher, Kochschulen, Fernsehsendungen - alles was mit Kochen zu tun hat, erfreut sich seit Jahren breitesten Interesses. Nun also offensichtlich auch Kulturgeschichts-Ausstellungen. Schade, dass Lübbers keine Besucherzahlen erheben kann, weil seine Bibliothek freien Eintritt gewährt.

Der Karpfen ist noch immer ein beliebter Fisch - doch heute ist die Zubereitung bekömmlicher. (Foto: dpa)

Der bayerische Schriftsteller und Nietzsche-Forscher Josef Hofmiller (1872 bis 1933) hat Kochbücher einmal unter den "wertvollsten literarischen Besitz der Nationen" eingeordnet. Literaturwissenschaftler würden aufseufzen, müssten sie Bücher über Wildbret- und Fischgerichte interpretieren und die künstlerischen Motive ihrer Urheber erforschen.

Doch für Historiker und Ökotrophologen sind diese Quellen ein echter Schatz. In früheren Jahrhunderten waren Kochbücher mehr als Rezeptsammlungen: Sie verstanden sich als Anleitungen zu einem besseren Leben - und zu einem gesünderen. Lübbers' Ahnen im Amt des Bibliothekars reihten Kochbücher bis ins 19. Jahrhundert noch in die Regale der medizinischen Schriften ein.

Der Benediktiner Odilo Schreger versprach seinen Lesern im Vorwort seinem in den 1760ern erschienenen Essensberater mit dem Titel "Speiß-Meister, Oder Nutzlicher Unterricht Von Essen und Trincken": Wer wenig esse und trinke, könne mit einem langen Leben rechnen. Schreger wirkte im oberpfälzischen Kloster Ensdorf südöstlich von Amberg.

Seine Instruktionen lassen gewisse Rückschlüsse auf die herrschenden Tischsitten der Bevölkerung zu, wenn er zum Beispiel schrieb: "Spei die halbgekauten Speisen, wenn sie dir nicht schmecken, nicht auf die Erde." Das Mark aus den Knochen sei nicht "mit starken Zügen und lautem Geschlürf" herauszusaugen und allzu heiße Speisen seien "nicht mit aufgeblasenen Backen, oder mit solcher Gewalt, als ob ein heftiger Nordwind blasete", zu kühlen.

Der Meister beherrscht das Chaos: So sahen Küchen in der Frühen Neuzeit aus. Der Holzschnitt mit dem Prototyp des Koches musste für mehrere Publikationen herhalten. (Foto: Staatliche Bibliothek Regensburg)

Auch für andere Lebenslagen gab der Pater Ratschläge: Es sei nicht erlaubt zu lügen, "doch kannst du bisweilen die Wahrheit mit Stillschweigen umgehen, denn es ist nicht allezeit ratsam, einem die Wahrheit zu sagen". Für die niveauvolle Konversation am Essenstisch präsentiert der Autor eine zehn Seiten lange Liste an Sprichwörtern, welche "dem Gespräch gar zierlich können eingemischet" werden. Wenn Schreger-Rezipienten ihre Mahlzeiten fortan mit Weisheiten wie "Wer sich erniedriget, wird erhöhet" und "Alles vergeht, Tugend besteht" auflockerten, war Stimmung in der Bude.

Wie es in frühneuzeitlichen Küchen aussah, lässt der Holzschnitt erahnen, mit dem Bartholomaeus Platinas "Von allen Speysen und Gerichten" im Jahr 1537 und zahlreiche andere Kochbücher dieser Jahre bebildert wurden. Der Prototyp des Koches war beleibt und beherrschte das Chaos. Kochlöffel liegen auf dem Boden, die Brühen brodeln über offener Flamme. Die ersten Kochbücher stammen von Männern, womit aber nicht gesagt ist, dass Kochen Männersache war.

Das erste Kochbuch einer Frau kam im Jahr 1598 heraus: Die Arztgattin Anna Wecker sammelte Rezepte, die ihre Kinder 1597 veröffentlichten. Das Buch war stark nachgefragt, es erschien bis 1679 in sieben Auflagen. Hier kochen auf dem Titelbild Frauen - die Küche wirkt auch hier chaotisch. Anna Wecker beschäftigt sich ausführlich mit den Vorzügen von Obst und Gemüse. Allerdings geben frühe Küchenfibeln bei den Rezepten keine Maße und Mengen an. Das sagt dem Historiker Lübbers, dass sie für Profis geschrieben waren.

Mit der Kochbuchautorin Marie Schandri präsentiert der Bibliothekar eine Regensburger Lokalmatadorin. Die Frau bekochte im "Goldenen Kreuz" auf dem Haidplatz, wo bis in ihre Zeit nur Großkopferte verkehrten. Sie starb im November 1868, doch ihr "Regensburger Kochbuch" wurde berühmt. Es enthielt seinerzeit Gerichte wie "Karpfen in brauner Soße" - mit Blut und Essig. Vor vier Jahren erschien das Buch in der 99. Auflage, mit dem Karpfenblutrezept. Geschmackssache.

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Einbrenn, Gesottenes und Nockerln. Kochbücher von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Staatliche Bibliothek Regensburg. Bis 30. Juni.

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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