Parteiinterne Differenzen:Abspaltung bei den Freien Wählern

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Bei einer Befragung hat sich eine klare Mehrheit der Nürnberger Mitglieder für einen Austritt ausgesprochen. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Nürnbergs Stadtverband tritt aus dem Landesverband aus. Der Grund ist der Kurs von Parteichef Hubert Aiwanger. Das könnte kein Einzelfall bleiben.

Von Andreas Glas, Nürnberg

Es ist Donnerstag, der Morgen nach dem kleinen Beben in der Partei. Die Freien Wähler haben zum Dreikönigstreffen geladen, gleich spricht Parteichef Hubert Aiwanger. Das Treffen findet digital statt, ohne Saalpublikum, aber man könnte sich ausmalen, wie gespannt einige FW-Mitglieder daheim an den Bildschirmen sitzen. Wie wird Aiwanger auf die Geschehnisse reagieren? Um kurz nach zehn blendet ihn die Regie ein. "Zunächst mal noch ein schönes, gesundes, glückliches neues Jahr", sagt Aiwanger. Dabei hätte dieses Jahr für ihn nicht unschöner beginnen können.

In Nürnberg, der zweitgrößten Stadt Bayerns, kehrt der komplette FW-Stadtverband der Partei den Rücken. "Wir sind jetzt nicht mehr Mitglied", diese Botschaft schickte Stadtverbandschef Jürgen Dörfler am Mittwoch ins Land hinaus. Ein entsprechendes Schreiben sei bereits in München eingegangen, sagte Dörfler, ein Sprecher des Landesverbandes bestätigt das. Die kommunalpolitische Arbeit wolle man in Nürnberg als "Freie Wählervereinigung" weiterführen, sagte Dörfler. Als Hauptgrund für den Austritt nannte er Unzufriedenheit mit der FW-Politik auf Landesebene, vor allem mit den Positionen eines Mannes: Hubert Aiwanger.

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Von der Landtagsfraktion, aber insbesondere von Aiwanger würden die Großstädte vernachlässigt, findet Dörfler. "Bayern besteht nicht nur aus ländlichem Raum." Auch Aiwangers anfängliche Impfskepsis habe "viele Mitglieder irritiert". Bei einer Befragung habe sich eine klare Mehrheit der Nürnberger Mitglieder für einen Austritt ausgesprochen, Ende Dezember habe sich der Vorstand des Stadtverbands ebenfalls mehrheitlich dafür entschieden.

Und was sagt Aiwanger? Er spricht beim Dreikönigstreffen fast eine Dreiviertelstunde. Er fordert mehr Geld für die Pflege, die über Jahre hinweg "politisch ruiniert" worden sei. Er warnt wegen der Preiskrise in der Schweinezucht davor, dass die Menschen bald "an der Kühltheke über das letzte Schnitzel oder über die letzte Bratwurst streiten" könnten, dann "würde es politisch rundgehen in diesem Land". Darüber, wie rund es gerade in seiner Partei geht, verliert Aiwanger dagegen kein Wort.

Schon im Sommer, als sich der inzwischen geimpfte Aiwanger skeptisch zur Corona-Impfung geäußert hatte, gab es Berichte über Parteiaustritte. Ist die Abkehr des Nürnberger Stadtverbands das nächste Indiz, dass Aiwangers Autorität bröckelt? Fabian Mehring, parlamentarischer Geschäftsführer der FW-Landtagsfraktion, bestreitet das. Er sehe "keine Stimmung gegen Aiwanger". In einer Partei mit mehreren Tausend Mitgliedern "werden Sie immer jemanden finden, der heute gerade mit jemandem unzufrieden ist", sagt Mehring und fügt schnippisch hinzu: "Herr Dörfler ist früher ja auch schon mal aus der CSU ausgetreten." Zudem betonen mehrere FW-Mitglieder, dass der Nürnberger Stadtverband eher klein und unbedeutend sei.

Dem Vernehmen nach gibt es tatsächlich Gründe für den Nürnberger Kollektivaustritt, die tiefer liegen und länger schwelen. Parteiintern soll es etwa Unmut gegeben haben, als Dörfler im Frühjahr 2021 öffentlich darüber spekuliert hatte, dass sich integrationsunwillige Zuwanderer weniger an die Corona-Regeln halten könnten. Vielleicht auch deshalb betonte nun der Bezirksvorsitzende in Mittelfranken, Steffen Schmidt, er sei froh und "eher dankbar", dass jetzt ein Neuanfang für die FW Nürnberg möglich sei. "Wir waren ohnehin dran, da etwas zu ändern." Der bisherige Stadtverbandschef Dörfler habe die Aufnahme vieler Neumitglieder abgeblockt und damit ein Wachstum verhindert. "Für die Freien Wähler ist der Erfolg in den Städten wichtig", betonte Schmidt. Das habe auch Wirtschaftsminister Aiwanger gezeigt, zum Beispiel indem er mitgeholfen habe, das Zentrum Wasserstoff Bayern nach Nürnberg zu holen, wie mehrere FW-Mitglieder in Mittelfranken betonen. Nun wolle man sich mit Unterstützung einiger langjähriger Mitglieder in Nürnberg neu aufstellen, sagte Schmidt.

Nicht nur in Aiwangers Rede, auch beim virtuellen Stammtisch, zu dem der FW-Chef die Parteimitglieder nach dem Dreikönigstreffen lud, war die Nürnberger Revolte kein Thema, wie Teilnehmer berichten. Also doch kein Beben, eher ein Sturm im Wasserglas? Zumindest bei den Freien Wählern im benachbarten Fürth wird ebenfalls über einen Austritt aus dem Landesverband diskutiert. Die Vorsitzende des dortigen Stadtverbands, Heidi Lau, sagte am Mittwoch, es gebe diese Überlegungen. Wegen der Pandemie seien eine Mitgliederversammlung und ein Beschluss bisher aber nicht erfolgt. Gründe für die Austrittsüberlegungen in Fürth nannte Lau zunächst nicht.

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