Fußball-Historie:Club, du kannst so grausam sein

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Der Journalist Hans Pühn erzählt die Geschichte des 1. FC Nürnberg, der seinen Fans extreme Gefühle zumutet - und wieder mal vom Abstieg bedroht ist.

Von Hans Kratzer, Nürnberg

Wie zurzeit ständig zu lesen ist, leiden die Fußballer des ruhmreichen FC Bayern an heftigem Seelenschmerz, weil sie "nur" auf Platz 7 der Bundesligatabelle rangieren. Sicherlich ist es bitter, wenn man sportlich ständig im Glanz der Sonne steht und plötzlich erfährt, dass das irdische Dasein manchmal auch Schattenseiten hat, sogar im luxuriösen Fußballbusiness.

Davon können vor allem die Anhänger des 1. FC Nürnberg, genannt Club, ein Lied singen, die alle Höhen und Tiefen des Sports in einer Art Dauerschleife erleben. Zurzeit ist es wieder ganz schlimm. "Dieser Club macht allen Angst ... nur nicht den Gegnern", titelte die Bildzeitung vor wenigen Tagen. In den vergangenen 44 Spielen haben die Nürnberger tatsächlich nur viermal gesiegt. Es droht abermals ein Abstieg, diesmal aber in die 3. Liga. Sogar die treuesten Anhänger skandieren, dass sie "die Schnauze voll haben".

1. FC Nürnberg
:4 aus 44

Für den Club sollte es eine Aufbausaison für den angestrebten Bundesliga-Aufstieg werden. Doch der Blick geht nun in Richtung dritte Liga.

Von Markus Schäflein

Es ist wieder einmal höchste Zeit, die großen Zeiten des vor 119 Jahren gegründeten und 24 000 Mitglieder zählenden Traditionsvereins ins Gedächtnis zu rufen, vor allem die Sechzigerjahre, in denen der Verein zu den ganz großen Namen des deutschen Fußballs zählte. Umso schmerzhafter waren danach die vielen Abstiege und Skandale, die den Club beutelten, der immerhin neunmal Deutscher Meister wurde, aber eben auch der Rekordabsteiger aus der Bundesliga ist. Als der Journalist Hans Pühn den Plan fasste, die Geschichte dieses Vereins zu erzählen, beschloss er, dies aus der Warte eines seiner großen Spieler zu tun. Er suchte sich für die Zeitreise durch die Historie des Clubs Heini Müller aus, einen neben Max Morlock prägenden Spieler der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Müller kann seine Karriere heute noch in lebhaftesten Erzählungen und Episoden schildern (Hans Pühn, Das Spiel seines Lebens. Heini Müller und die goldene Ära des Clubs, Verlag Nürnberger Presse).

Pühn schuf mit seinem Buch ein Zeitdokument, das weit über den Fußball hinausreicht. Müllers Geschichte beginnt beispielsweise in Peru, wo der Vater arbeitete und wo der Bub deshalb seine frühe Kindheit verbrachte. Daheim wuchs er in Roth bei Nürnberg auf, wo er wie viele seiner Mitspieler auch blieb. Heute ist es kaum noch vorstellbar, dass fast alle Akteure aus den glorreichen Zeiten des Clubs ihrer fränkischen Heimat treu geblieben sind. Das ist quasi ein Gegenentwurf zum Söldnertum, das ein Markenzeichen des modernen Fußballs ist. Überhaupt werden sich Nostalgiker über Müllers Erinnerungen schon deshalb freuen, weil der damalige Sport noch kaum vom Geld und vom Doping verseucht war.

Seinen wichtigsten Treffer für den Club erzielte Müller 1961 im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen Dortmund. Reichtümer brachten ihm solche Treffer trotzdem nicht ein. Als der Club im Europapokal 1961/62 Titelverteidiger Benfica Lissabon mit 3:1 besiegte und dabei nach Ansicht vieler eines seiner besten Spiele überhaupt lieferte, betrug die Siegprämie pro Spieler 50 Mark. Bei der Bundesliga-Premiere 1963 lag das Grundgehalt bei 350 Mark. Sein letztes Spiel auf der Bühne des Profi-Fußballs bestritt Müller 1967 im Müngersdorfer Stadion gegen den 1. FC Köln. Wegen einer Erkrankung musste er seine Laufbahn vorzeitig beenden. Darüber hinaus hat Pühn von Müller Geschichten erfahren, die noch nie erzählt worden sind und die erahnen lassen, warum der Fußball und der Club eine solche Leidenschaft entfachen können.

So ergibt sich ein Panoptikum der deutschen Nachkriegsgeschichte, in dem auch Weltstars wie Pelé ihren Platz finden. Allein die Tatsache, dass Müller zeitweise als Assistent des Trainers Max Merkel fungierte, liefert Stoff für Kuriositäten, die nicht verhindert haben, dass auch Müllers Sohn Bernd und sein Enkel Jim-Patrick später Fußballprofis wurden.

© SZ vom 12.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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