Freising:"Sie ist mir lieber als die ganze Welt"

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Die Sache mit der Lust beschäftigt derzeit eine Ausstellung im Diözesanmuseum Freising. Auf dem Bild von Sebastiano Ricci wird die schlafende Venus von einem Satyr überrascht. (Foto: Marco Einfeldt)

Ein wegen Vergewaltigung eingesperrter Pfarrer, ein ungültiges Eheversprechen und schwülstige Liebesbriefe: Historische Gerichtsakten gewähren Einblicke in das Lust- und Liebesleben der Menschen und den Umgang der Kirche damit.

Von Hans Kratzer

Ein ewig Rätsel ist der Mensch, und ganz besonders mysteriös wird dieses Phänomen, wenn die Fleischeslust ins Spiel kommt. Greifen wir exemplarisch die Schar der Rapper und Rockmusiker heraus. Sie ist seit jeher gesprenkelt mit allerlei traurigen Gestalten, die nicht imstande sind, ihre Triebhaftigkeit zu zügeln. Studiert man freilich einschlägige historische Quellen, so ist rasch zu erkennen, dass auf dem weiten Feld von Liebschaft und Sexualität auch früher schon jede Menge Unkraut gewuchert ist. Vor allem für Frauen und Kinder ging damit viel Not und Elend einher, nicht zuletzt im kirchlichen Milieu.

Das Diözesanmuseum in Freising präsentiert zurzeit eine Ausstellung, bei der schon der Titel ("Verdammte Lust") verrät, dass sie ein lange gehütetes Tabu berührt. Anhand von Objekten der Kunstgeschichte durchleuchtet die Schau ein Problem, das lange Zeit weggesperrt wurde. Zwar gehören Liebe und Sexualität zum Kernbereich der katholischen Morallehre, aber der reale Umgang mit diesen Themen wurde oft verschleiert. Wobei die Sachlage durchaus zwiespältig ist. So begegnet einem in der Ausstellung der Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau (1559-1617), ein geistlicher Herr, der den Moralkodex seines Standes sehr leger auslegte. Er erwarb sich Meriten, indem er Salzburg zur Barockstadt umbauen ließ, nebenher aber zeugte er mit seiner Geliebten stolze 15 Kinder.

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Beim Thema Körperlichkeit geht es nicht selten um seelische und leibliche Gewalt, also um Aspekte, die anhand von Kunstwerken kaum darstellbar sind, wie Roland Götz, stellvertretender Direktor von Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising, die Gemengelage beschreibt. Deshalb, so sagt er, habe man sich auf die Suche nach einschlägigen Archivalien gemacht und sei in erstaunlichem Ausmaß fündig geworden. Eine Auswahl dieser Quellen ist nun in einem eigenen Band zu finden. Die sechs dokumentierten Gerichtsfälle beleuchten als Ergänzung zur Freisinger Ausstellung nicht nur historische Konflikte in Sachen Sexualität, sondern sie gewähren darüber hinaus einzigartige Einblicke in die bayerische Lebenswelt vom Mittelalter bis herauf ins 19. Jahrhundert.

Der Peitinger Pfarrer Franz Xaver Kuile musste sich zum Beispiel anno 1783 vor Gericht wegen einer Vergewaltigung verantworten. Überhaupt zeichnete sich Kuile durch einen unsoliden Lebenswandel aus, er gab sich im Wirtshaus dem Trunk hin und wanzte sich an Frauen heran, die Wirtstochter Juliana Pröbstl wurde mehrmals von ihm schwanger. Beim Versuch, seine Vaterschaften zu verschleiern, schreckte er vor Erpressung, Drohungen und Fälschungen von Taufmatrikeln nicht zurück. Die Dörfler wiederum reagierten mit Kritzeleien an Gebäuden, die ihn als Hurenbock zeigten. Kuile wurde eingesperrt und versetzt - und blieb doch bis zum Tode als Pfarrer tätig.

Zu klären war, ob die Ehe gültig ist

So unterschiedlich sie inhaltlich auch sein mögen, die im Band dargelegten Fälle werfen einzigartige Schlaglichter auf die Lebensverhältnisse gewöhnlicher Menschen, die sonst nirgendwo in dieser Präzision überliefert sind. Höchst aufschlussreich sind die Ehegerichtsprotokolle. Auf dem Freisinger Domberg wurden vor dem geistlichen Richter pro Jahr gut 230 solcher Streitigkeiten verhandelt. Es ging dabei um Ehezuerkennungen, Entjungferungsklagen, Ehehindernisse und Trennungen.

Einer der im Buch geschilderten Fälle ist besonders für die Kunstgeschichte interessant. Am 8. Juli 1471 erschien nämlich Michael Wolgemut, der spätere Lehrmeister von Albrecht Dürer, auf dem Freisinger Gericht. Er bat um den richterlichen Schiedsspruch in der Frage, ob zwischen ihm und der Tochter des Münchner Malers Gabriel eine gültige Ehe geschlossen worden war. Für den Abschluss einer Ehe waren damals allein die freiwilligen Willenserklärungen der Brautleute entscheidend. Das Problem bestand in der schwierigen Beweislast, da das Versprechen ja noch ohne Zeugen gegeben wurde, was sich häufig als Nachteil für die Frauen herausstellte.

In großer Mehrheit traten deshalb Frauen als Klägerinnen auf. Wurden sie um den Beischlaf gebeten, willigten sie in der Regel nur ein, wenn ihnen die Männer ein Eheversprechen gaben. Oft blieben sie dann mit einem unehelichen Kind sitzen. Im Fall Wolgemut hatte die Frau dessen Frage, ob sie ihn heiraten wolle, nicht entschlossen genug abgewehrt. Somit bestand die Gefahr, dass jemand zugehört hatte und dies als Abschluss einer gültigen Ehe deutete. In diesem Fall brauchten die beiden ein offizielles Dokument, dass sie mündlich keine gültige Ehe geschlossen hatten. Nur mit dem richterlichen Spruch war offiziell sicherzustellen, dass sie künftig andere Partner heiraten konnten.

Strahlt schon eine alte Fotografie eine magische Wirkung aus, weil sie einen Augenblick aus der Vergangenheit quasi eingefroren hat, so ist die Überlieferung in diesen Akten ähnlich ergreifend. Denn die Beteiligten kommen selbst zu Wort. Der große Wert des Bandes liegt darin, dass die Protokolle des gerichtlichen Verfahrens in vollem Umfang im Originaltext abgedruckt sind. Man kann damit nachvollziehen, wie die Untersuchung damals verlaufen ist. So werden - je nach Fall - das Kennenlernen, die Beziehung, die Übergabe von Geschenken, Art und Umstände von sexuellen Kontakten und des Eheversprechen sowie die Konflikte detailliert geschildert. Eine dichtere Annäherung an ferne Zeiten ist fast nicht möglich, wobei die Akten eindeutig belegen, dass die damaligen Gepflogenheiten unter moralischen Gesichtspunkten keineswegs reiner waren als die Umtriebe von heute, wie unter anderem Missbrauchsfälle in Münchner Frauenklöstern belegen, die sich 1769 zugetragen haben.

Er sollte sie heiraten oder Schadenersatz zahlen

Außerordentlich berührend sind diese Einblicke in den Liebesbriefen, die sich als Beweismittel ebenfalls erhalten haben.

Vor allem der Eheverspruchsprozess von Maria Margaretha Fischer gegen Michael Franz vor dem Archidiakonatsgericht Baumburg von 1664-1665 hat eine immense inhaltliche Qualität. "Gerade Liebesbriefe", so sagt Götz, "geben auch nach Jahrhunderten noch die Möglichkeit, in das Innere einer Beziehung zu schauen." Die ehewillige Frau war der jahrelangen Hinhaltetaktik ihres Freundes überdrüssig und ging vor Gericht, elf Liebesbriefe vorlegend, die seine Heiratsabsicht zum Ausdruck bringen sollten. Auch wenn die Beziehung nicht immer glücklich verlaufen ist, wie einem Brief des Mannes zu entnehmen ist: "Herzallerliebstes Herz, ich khan dir mein Mellancolley und Schmerzen nit schreiben, die ich hab in meinem Herzen, das ich dich laidter also erzihrent habe."

Das Gericht urteilte, Franz habe der Frau wirklich die Ehe versprochen, was sich mit dessen Schmachtbriefen relativ gut belegen ließ. "Wan man mir die ganze Welt wolt schenckhen, und solt mein liebs gultes Diendl davir hergeben, so nembe ichs nit an. Sie ist mir lieber als die ganze Welt. Ich khundt mir auch gar nit einbilten, das ich auch ein anders Diendl in der Welt findten khundt, das ich haben mechte, alß dich mein Herz."

Er hatte sie nun entweder zu heiraten oder ihr Schadenersatz zu zahlen. Tatsächlich zahlte er sehr rasch und schloss sogleich eine andere Ehe, warum, darüber schweigen die Akten.

Roland Götz (Hg.): Kirchliche Quellen zu Sexualität und Partnerschaft. Sechs Fälle im Originaltext. Schriften von Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising, Band 20. Schnell & Steiner Verlag. Die Ausstellung "Verdammte Lust! Kirche. Körper. Kunst." im Diözesanmuseum Freising läuft noch bis zum 2. Juli.

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