Internationale Jazzwoche Burghausen:Rückkehr der großen Gefühle

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Spannungsgeladen: Monika Roscher, Chefin ihrer eigenen Big-Band. (Foto: Oliver Hochkeppel)

Bei der 53. Auflage von Bayerns ältestem und wichtigsten Jazz-Festival gelingt die Trendwende vom Populistischen zum Authentischen. Zur Freude der 7000 Besucher.

Von Oliver Hochkeppel, Burghausen

Natürlich ist der Jazz auch eine Kopfsache. Am Ende aber geht es um Gefühle, wie man bei der 53. Internationalen Jazzwoche Burghausen wieder erleben konnte. Um die Freude des italienischen Pianisten Simone Locarni über seinen Sieg beim 14. Europäischen Burghauser Nachwuchs-Jazzpreis, dem schon traditionellen Festival-Teaser, bei dem erstmals Solisten und Solistinnen zugelassen waren - und bei dem mehr denn je auch eine der anderen Bands des Fünferfeldes hätte gewinnen können, insbesondere das norwegische Bliss Quintet.

Um die Rührung, die den fast 87-jährigen Grandseigneur des Jazz-Basses Ron Carter am Ende seines Eröffnungskonzertes übermannte, in dem Wissen, dass sein vierter Auftritt bei der Jazzwoche vermutlich sein letzter sein wird. Oder um das mit Erschöpfung gepaarte Glück der kubanischen Cellistin und Sängerin Ana Carla Maza darüber, dass sie mit ihrer für drei reichenden Energie das Publikum auf ihre Seite gezogen hatte.

Das nämlich war das Bemerkenswerteste an dieser Burghauser Jazzwoche: Dass sich die Ideen und musikalischen Programme, vor allem aber die Gefühle der Musiker fast immer aufs Publikum übertrugen. Schlicht, weil sie ehrlich und von der Offenheit des Jazz getragen waren. Dies war in den vergangenen Jahren nicht immer so gewesen. "Seelenlose" Gigs hatten sich ins Festival geschlichen, Cover- und Show-Bands, bei denen der Jazz-Spirit höchstens Mittel zum Zweck war. Die Kompetenz der veranstaltenden IG Jazz war infrage, die Bedeutung von Bayerns ältestem und wichtigstem Jazz-Festival auf dem Spiel gestanden.

Feinstoffliche Klänge steuerte das Kölner A-Cappella-Quartett "Of Cabbages And Kings" bei. (Foto: Oliver Hochkeppel)

Wie diese Ausgabe bewies, hat man die richtigen Schlüsse gezogen. Das Programm war bunt, aber nicht populistisch. Attraktiv, ohne es allen recht machen zu wollen. Und - Kernaufgabe eines seriösen Jazzfestivals - um die Vermittlung des aktuellen Stands der Szene bemüht. Auch auf der großen Bühne der Wackerhalle. Dort und nicht wie früher vermutlich eher im Stadtsaal präsentierte am zweiten Tag die britische Trompeterin Laura Jurd ihr elfköpfiges "large ensemble", in dem sich mit dem Pianisten (und ihrem Ehemann) Elliott Galvin (der 2013 hier den Nachwuchspreis gewann), dem Gitarristen Rob Luft und anderen einige Shooting Stars der pulsierenden Londoner Szene befinden, verstärkt durch das staunenswerte Ligeti-Streichquartett.

Ein die musikalische Aufmerksamkeit fordernder, aber auch fördernder Auftritt war das, ebenso wie anschließend jener von Christian Muthspiels Orjazztra Vienna. Von der Kraft der aktuellen britischen Szene, die zuletzt viele europäische Festivals belebte, zeugte auch der Freitagabend. Zwar war der Frontmann der ersten Band, der Schweizer Posaunist Samuel Blaser, doch für seine Verbeugung vor dem jamaikanischen Kollegen Don Drummond und für das dementsprechend Ska- und Reggae-induzierte Programm "Routes" holte er sich Größen von der Insel wie den Saxofonisten Soweto Kinch oder die Sängerin Caroll Thompson. Und anschließend demonstrierte der aus Nigeria stammende, aber in London groß gewordene Keziah Jones eher noch überzeugender, wie sich afrikanische Rhythmik und Elemente des europäischen Jazz in Gesang und eigenwilliges Gitarrenspiel ein binden lassen.

Afro-Funk der rhythmischen Sonderklasse: Keziah Jones. (Foto: Oliver Hochkeppel)

Nie geht beim Programmieren eines Festivals alles auf wie gedacht. Dass man aber wenigstens interessant und schön scheitern sollte, bewies das Wackerhallen-Finale am Samstag. Nach der bereits erwähnten Ana Carla Maza, die mit ihrer Wucht als über die Bühne wirbelnder lebender Blumenstrauß etwas überdeckte, dass man gerne mehr von ihrem sicher kompetenten Cellospiel und etwas komplexere Kompositionen als abgespeckte Salsa-Nummern hören würde, erwies sich das Kollektiv Black Lives - From Generation to Generation als Festival-Enttäuschung, wenn man denn eine finden wollte.

Trotz (vielleicht auch wegen) seiner Starbesetzung fand das Ensemble im Strom der von so vielen eingebrachten, vom Blatt gespielten Stücke nie zu einer Einheit zusammen. Gerade angesichts des ernsten, wichtigen Anliegens (man gründete sich anlässlich des Todes von George Floyd) war das Ergebnis viel zu harmlos, nett und altbacken. Wie es anders geht, demonstrierte parallel dazu im Stadtsaal die auf eine stilistische Aussage fokussierte, immer spannungsgeladene Monika Roscher Bigband. Umso wirkungsvoller, weil sie auf das sozusagen am anderen Ende der dynamischen Skala feinstofflich klingenden Kölner A-Cappella-Quartett Of Cabbages And Kings folgte.

Mindestens ebenso spannend und interessant ging es auf derselben Bühne beim Dreiergespann des "Next in Jazz"-Festivalnachschlags am Stadtsaal zu: Die 21-jährige, aber in der Technik wie in ihren Kompositionen unfassbar reife Saxofonistin Emma Rawicz (auch aus London), das allerlei Rock von Progressive bis Metal in einen Jazz-Kontext überführende, obendrein witzige Quartett Phalanx (mit dem einzigartigen Malstrom-Gitarristen Axel Zajac) und die Münchner Indie-Jazz-Performance-Damen-Truppe SiEA machten dem in die Zukunft weisenden Titel Ehre.

Aus der Schweiz angereist: Justina Lee Brown. (Foto: Oliver Hochkeppel)

Wo wir schon beim Loben sind: Auch der Blues-Nachmittag war herausragend, weil die Grenzen des Genres erweiternd. Insbesondere bei Justina Lee Brown mit ihrer grandiosen, Blues, Soul und Afro verbindenden Megastimme, bei der dann - speziell bei Stücken über ihre düstere Kindheit in Nigeria - wieder die großen Gefühle da waren. Gut und wichtig war schließlich die Idee der IG Jazz, das Festival um ein"junges" Doppelkonzert im JUZ Jugendzentrum mit der heimischen Band Feh und den finnischen Rosettes zu ergänzen. Dies soll eine ständige Einrichtung werden, wie am liebsten auch Joe Webb, die Festival-Entdeckung als Pianist und idealer Jam-Session-Leader.

Der freilich - und dies ist der vielleicht einzige Fleck auf der fast makellosen, mit über 7000 Festival-Besuchern auch fast wieder das Vor-Corona-Niveau erreichenden Bilanz - viel zu wenige prominente Einsteiger bei seiner Jam-Session hatte. Fast alle Musiker waren in Altötting untergebracht. Das muss sich wieder ändern, zugunsten des für jedes Festival entscheidenden engen Kontakts zu Kollegen, Journalisten und Publikum. Und zugunsten der großen Gefühle, auf die man sich jetzt schon freut. Zur Überbrückung helfen die Video-Mitschnitte aller Konzerte, die BR Klassik ab sofort auf seiner Homepage eingestellt hat. Einen Monat lang in der originalen, danach einen weiteren in einer optimierten, bearbeiteten Fassung.

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