Erste Reaktionen:Zwischen Taumel und Tränen

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Angesichts der Prognose nach der Wahl feiern die einen und die anderen können es kaum fassen

Von A. Günther, M. Köpf, J.Osel, L. Schnell und C. Sebald, München

Jubel bei Grünen, Freien Wählern und der AfD, Schock bei CSU und SPD. Nach den ersten Prognosen um 18 Uhr am Sonntag sieht es so aus, als ob mindestens sechs Parteien im neuen Parlament vertreten sein werden. Die CSU verliert ihre absolute Mehrheit und muss sich einen Koalitionspartner suchen. Die SPD stürzt auf ein historisches Tief und die AfD zieht zum ersten Mal in den Landtag ein. Die FDP muss noch zittern, ob sie wieder im Landtag vertreten ist. Die fünf Prozent sind noch fragil, doch um 18 Uhr herrscht zunächst Erleichterung. "Es wird sehr spannend heute Abend, so ist das bei der FPD", sagt Spitzenkandidat Martin Hagen.

Die Freien Wähler jubeln, als die Hochrechnungen bekannt werden, bei 11,5 Prozent stehen sie. Und sehen sich schon als Koalitionspartner der CSU. "Das ist ein starkes Ergebnis. Ich bin sehr zufrieden", sagt Hubert Aiwanger. "Wir haben uns gegen die Konkurrenz im bürgerlichen Lager sehr gut behauptet." Er geht davon aus, "dass wir in eine Koalition gerufen werden". Und wenn das Angebot passe, "dann machen wir das". Das starke Abschneiden der AfD beurteilt Aiwanger als Aufforderung an die bürgerlichen Parteien, "sich endlich den echten Sorgen und Nöten der Normalbevölkerung anzunehmen".

Bei der AfD allerdings bleibt der Jubel verhalten. Die Gesichter, die eben noch so erwartungsfroh waren, blicken gleich grummelig und ratlos, der Lärmpegel steigt. Aber nicht durch Jubelschreie - man diskutiert. Dass die AfD ihre bayernweite Wahlparty in Mamming abhält, in einem Landgasthof in der Nähe von Dingolfing, soll auch ein Signal sein. Die Rechtspopulisten erreichten bei der Bundestagswahl vergangenes Jahr in Bayern 12,4 Prozent - bestes Ergebnis aller westdeutschen Länder. Im Bezirk Niederbayern waren es fast 17 und im Kreis Deggendorf an die 20 Prozent. Da kandidiert Katrin Ebner-Steiner, die niederbayerische Spitzenkandidatin und Vize-Parteichefin in Bayern. Im holzgetäfelten Saal mit weißen Lüstern, wo sonst oft Hochzeiten stattfinden, tritt sie ans Mikro und ruft: "Die AfD ist endlich im bayerischen Landtag vertreten. Das Ergebnis ist auch ein Signal an Merkel: Merkel muss endlich weg." Kurz davor sind die Balken der Prognose auf einer Leinwand in die Höhe gegangen: Jubelschreie bei den Verlusten von CSU und SPD. Dann die AfD: elf Prozent. Nur elf. Verhaltener Applaus, ein Raunen auch. Ebner-Steiner bleibt kämpferisch: Die Niederbayern werden "die 20 Prozent rocken", die "blutleeren Figuren der Altparteien" sollten sich im Landtag auf etwas gefasst machen.

Dort, im Saal 3, ist die Laune schlecht. "Super-super-mega-deprimierend", beschreibt der SPD-Landtagskandidat Michael Ott aus München seine Stimmung kurz vor der Prognose. Ihren Absturz konnten die Genossen jede Woche in den Umfragen verfolgen. Ein Schlag aber tut nicht weniger weh, nur weil man ihn erwartet. 18 Uhr: ein kollektives Luftanhalten, dann das vorläufige Ergebnis: zehn Prozent. Ausatmen und Stille. Die Landtagsabgeordnete Isabell Zacharias hat den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen, die Arme vor der Brust gekreuzt. Ein Moment Ruhe, bevor sie in die erste Kamera sprechen muss: "Ich bin fassungslos", sagt sie, in den Augen schimmern Tränen. "Es tut weh." Die Schockstarre ist von den Gesichtern noch nicht gewichen, da fordert schon der erste den Rücktritt von Natascha Kohnen. "Alle und alles muss auf den Prüfstand!", sagt der Bundestagsabgeordnete Florian Post. Das katastrophale Ergebnis könne nicht nur mit dem schlechten Bundestrend erklärt werden. Er fordert möglichst bald einen Sonderparteitag, auf dem der Vorstand neu gewählt werden soll.

Natascha Kohnen kündigt kurz danach an, dass alles auf den Prüfstand komme. "Damit meine ich wirklich alles." Das aber müsse im Landesvorstand passieren, dort, wo es hingehöre.

Bei den Grünen ist unterdessen kein Platz für Selbstzweifel, 18,5 Prozent in der ersten Prognose, das erste zweistellige Ergebnis überhaupt in Bayern. Im Landtag werden die jungen Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann begeistert gefeiert. Bundeschef Robert Habeck ist auch da. "Das ist ein Veränderungsauftrag", sagt er.

© SZ vom 15.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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