Regensburg:Der Dom, eine Dauerbaustelle

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Das sahen die Regensburger früher, wenn sie zum Dom blickten. (Foto: N/A)

Lange war das Regensburger Wahrzeichen unvollendet. Seine Turmspitzen sind gerade einmal 150 Jahre alt. Heute sind 15 Menschen damit beschäftigt, Schäden am Dom zu reparieren.

Von Andreas Glas

Als Bub, sagt Karl Stock, habe er sich "gewundert über die Größe des Doms". Damals trug er Chorgewand. Er hat im Dom gesungen, als Domspatz. Heute trägt Karl Stock Krawatte unterm Wollpullover. Und wundert sich immer noch über die Dimensionen. Er steht jetzt auf der Brücke zwischen den Domtürmen, rund 50 Meter in der Luft. Er schaut hinauf zur Spitze des Südturms und sagt: "Die Optik täuscht brutal. Man denkt, man ist schon auf zwei Dritteln der Höhe. Dabei kommt noch mal die Hälfte oben drauf."

Stock, 54, ist Leiter des Staatlichen Bauamts Regensburg. Er ist quasi Hausherr im Dom, dem Wahrzeichen der Stadt, das dem Freistaat gehört. Wer mit Stock auf den Dom steigt, kriegt ein Gefühl dafür, wie mickrig dieser Bau die längste Zeit seines Daseins gewesen ist. Na gut, mickrig ist übertrieben. Aber der Unterschied ist schon gewaltig zwischen dem Jetzt-Zustand und dem Zustand bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Bau begann im Jahr 1275. Doch dieses Überragende, das ihn wahrzeichentauglich macht, hat der Dom seit gerade mal 150 Jahren. Damals bekam er seine Turmspitzen. Binnen zehn Jahren wuchs der Dom um rund das Doppelte, auf 105 Meter Höhe.

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Man kann sich das ja überhaupt nicht mehr vorstellen: der Regensburger Himmel ohne Domtürme, nur Sonne, Wolken, sonst nichts. Der Himmel würde irgendwie leer aussehen. Es würde ein Gefühl fehlen, das jeder Regensburger kennt, der länger aus der Stadt weg war. Während des Nachhausewegs, wenn sich die Turmspitzen aus dem Horizont schälen. Ein Gefühl des Hingehörens.

Früher fühlten die Regensburger einen Mangel, wenn sie zum Himmel schauten, davon ist Karl Stock überzeugt. Er sagt: "Es war offensichtlich, dass der Dom eine unvollendete Baustelle war." Unvollendet deshalb, weil die früher so reiche Handelsstadt im Lauf der Jahrhunderte an Wohlstand einbüßte - und Bistum und Bürgerstiftungen, die den Dombau finanzierten, zwischendurch das Geld ausging. Statt gewaltiger Spitzen setzten die Bauherren im Jahr 1525 zwei ziemlich unspektakuläre Notdächer auf die damals noch relativ niedrigen Türme.

Erst drei Jahrhunderte später schob Ludwig I. den Weiterbau des Doms an, der seit der Säkularisation im Besitz des Königreichs Bayern war. Nach den Napoleonischen Kriegen sollte die als typisch "deutscher Baustil" (Goethe) wahrgenommene Gotik dazu beitragen, die nationale Einheit zu betonen. Also ließ Ludwig I. bis zum Jahr 1839 alles Barocke aus dem Dom räumen. Altäre, Chorgitter, Oratorien, Tribünen. Nur der barocke Hochaltar durfte bleiben. Im Zuge dieser "Regotisierung" ließ der König auch den Weiterbau der Domtürme prüfen - mit einem zunächst enttäuschenden Ergebnis.

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(Foto: Stadt Regenburg)

Die Basis des Regensburger Doms liegt im 13. Jahrhundert.

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(Foto: Stadt Regenburg)

Jedoch erst König Ludwig I. veranlasste die Vollendung der beiden Türme.

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(Foto: Stadt Regenburg)

Sie wurden im gotischen Stil fertiggestellt.

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(Foto: Wilfried Bahnmüller/ARTOTHEK)

Nach zwei Gutachten kam man zum Ergebnis: Die Statik passt, die Domspitzen können gebaut werden.

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(Foto: N/A)

Das sahen die Regensburger, wenn sie zum Dom blickten.

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(Foto: N/A)

Eine unvollendete Baustelle mit zwei Notdächern.

In einem Gutachten kam Hofarchitekt Friedrich von Gärtner 1835 zum Schluss, dass die Statik der Turmunterbauen nicht reiche, um die geplanten Domspitzen zu tragen. Einige Jahre später "hat der Bischof gesagt: Das kann doch nicht sein", erzählt Karl Stock. Bischof Valentin Riedel (1842-1857) gab ein eigenes Gutachten in Auftrag, das zu einem anderen Ergebnis kam. Plötzlich hieß es: Die Statik passt, die Domspitzen können gebaut werden. Sehr zur Freude von König Maximilian II. und seines Vaters Ludwig I., der inzwischen abgedankt hatte. Endlich konnten Staat und Kirche anfangen, die Leere am Regensburger Himmel zu füllen.

In Stadt und Umland dürfte diese Nachricht trotzdem nicht überall Freude ausgelöst haben. Was am Sankt-Peters-Pfennig lag, den jeder Katholik im Bistumsgebiet für den Weiterbau des Doms beisteuern musste; benannt nach Petrus, dem Schutzheiligen des Doms und der Stadt. Außerdem gründete das Bistum den Dombauverein, der Geld über Mitgliedsbeiträge und Spenden sammelte. Zum Dombaumeister ernannte Bischof Ignatius von Senestrey (1858-1906) den Architekten Franz Josef von Denzinger - mit ausdrücklicher Zustimmung von Ludwig I., dem abgetretenen König.

Denzingers Entwurf für die Domspitzen hängt auch im Büro von Helmut Stuhlfelder, mit Reißnägeln an einer Pinnwand befestigt. Stuhlfelder, 62, ist ein freundlicher Mann mit Rauschebart, mit in den Nacken gekämmtem Resthaar. Ein Regensburger Original, wie man so sagt. Seit bald einem halben Jahrhundert arbeitet Stuhlfelder für die Dombauhütte, die 1923 gegründet wurde, um den Dom in Schuss zu halten. In den Siebzigerjahren hat er hier Steinmetz gelernt, heute ist er Chef der Hütte, seit 32 Jahren schon.

"Da war im Mittelalter Schluss", sagt Stuhlfelder und zieht mit dem Finger eine Linie auf den Denzinger-Entwurf an der Pinnwand, etwa auf Höhe des sogenannten Eicheltürmchens zwischen Nord- und Südturm. Alles oberhalb der Linie ist in den zehn Jahren zwischen 1859 und 1869 entstanden: die Domspitzen, die in der Fachsprache Turmhelme heißen; das vierte Geschoss, das sogenannte Oktogon, das die Helme trägt. "Alles richtig gemacht", sagt Bauamtsleiter Stock über Architekt Denzinger und dessen Unterstützer. "Nur die Materialwahl war nicht gut."

Der Grünsandstein, für den sich Denzinger entschieden hatte, begann schon bald zu bröckeln. Der Stein war nicht wetterbeständig. Immer wieder brachen Elemente aus den Turmspitzen und stürzten in die Tiefe. Die Spaziergänger hatten Sorge um ihre Sicherheit. Helmut Stuhlfelder sagt, dass es zwischen den Weltkriegen gar die Überlegung gab, die Domspitzen wieder abzubrechen. Was letztlich nicht geschah, weil der damalige Domhüttenmeister eine Lösung parat hatte: Beton.

Echt jetzt? Fragt man sich, als man neben Karl Stock und Helmut Stuhlfelder im Helm des Südturms steht, auf etwa 70 Metern Höhe. Echt ist hier oben nämlich nur noch wenig. "Ich würde sagen, 80 Prozent ist nicht mehr da", sagt Stuhlfelder über die Originalsubstanz der beiden Turmhelme. Die Maßwerkfelder, die sogenannten Krabben - alles, was bröckelte, wurde Mitte der Fünfzigerjahre in Spezialbeton nachgegossen, um Stück für Stück den Grünsandstein zu ersetzen. "Das haben die gut gemacht", sagt Stuhlfelder, "das hält immer noch."

Nach oben, zu den Domspitzen, geht es in mehreren Etappen. Zuerst steigt man den Eselsturm hoch, 34 Meter. Der Eselsturm, ist der Nordturm des romanischen Vorgängerbaus. Mehrere Feuer haben den alten Dom im 13. Jahrhundert zerstört. Wer den Eselsturm hochmarschiert, läuft nicht über Treppenstufen, sondern über eine staubige Rampe, die sich nach oben windet. Vielleicht hat sich auch deshalb so lange die Legende gehalten, dass der Eselsturm so heißt, weil Esel hier die Steine für die Domspitzen nach oben schleppten. Tatsächlich wäre im Turm wohl gar nicht genug Platz, um einen Esel nach oben zu jagen. Der Aufgang ist sehr eng, die Decken sind niedrig. In Wirklichkeit hievten die Arbeiter die Steine per Seilzug in die Höhe. "Die Seile mussten Lasten bis zu zwei Tonnen ziehen", sagt Helmut Stuhlfelder. Ein Kraftakt, "weil das Seil fast schwerer war als der Stein".

Vom Dachboden aus klettern Stock und Stuhlfelder über eine schmale Wendeltreppe weiter nach oben. Nach einem Zwischenstopp auf der Brücke zwischen den Domtürmen geht es auf derselben Treppe hinauf in den Helm des Südturms. Ohne Pause und in Normaltempo dauert der Aufstieg bis hierher ungefähr zehn Minuten. Früher, als er "noch fit" gewesen sei, habe seine Rekordzeit bei etwa einer Minute gelegen, sagt Helmut Stuhlfelder. Er schnauft, als er im Innern des Turmhelms angekommen ist.

Wer hier innehält und seinen Kopf in den Nacken legt, kann etwa 30 Meter nach oben schauen. Bis zu dem Punkt, an dem die Streben des Maßwerks derart spitz zulaufen, dass es aussieht, als verschwänden die Streben in einem kleinen, schwarzen Loch. Wer länger hinschaut, den überfällt das Gefühl, als wolle einen dieses Loch in die Höhe saugen und verschlingen. Ziemlich irre ist das.

Man kann auch durch die Maßwerkfelder schauen. Runter auf den Domplatz, rüber zur Steinernen Brücke, auch ein Wahrzeichen der Stadt. Man kann auch in die Ferne schauen, hinaus zur Walhalla, oder man lässt den Blick einfach streifen über das Dächergebirge der Regensburger Altstadt. Dann geht es wieder nach unten, Helmut Stuhlfelder muss zurück an die Arbeit. Zurück in die Dombauhütte, die sich etwas versteckt hinter dem Dom befindet. Zurzeit sind hier 15 Menschen damit beschäftigt, Schäden zu identifizieren und zu reparieren. So ein Dom ist eine Dauerbaustelle. Seit er hier arbeitet, habe es nie einen Tag gegeben, an dem der Dom nicht irgendwo eingerüstet gewesen sei, sagt Stuhlfelder. Schade, oder? Nein, "ein Gerüst ist ja positiv", findet der Dombauhüttenmeister. "Solange ein Gerüst da ist, kann man sicher sein, dass sich jemand um den Dom kümmert."

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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