Dissertation:Bayerns Anteil am modernen Europa

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Wie der Freistaat den europäischen Einigungsprozess mit seiner Politik zwischen 1945 und 1979 mitgetragen und geprägt hat.

Von Hans Kratzer, München

Europa steckt in einer fundamentalen Krise. Rechtsruck, Migration und Brexit zerren an der alten Grundidee einer "immer engeren Union der Völker Europas", die mehr als 60 Jahre lang als unumkehrbar galt. Der europäische Aufbruch und der damit verbundene Optimismus, von dem die Nachkriegsjahrzehnte erfüllt waren, haben sich mittlerweile abgeschwächt. Umso interessanter ist der Blick aufs Regionale, etwa auf die Ausbildung des Europagedankens in Bayern, eines kleinen Staatsgebildes, das zu den frühesten, schon im Mittelalter dokumentierten Elementen Europas gehört.

Welchen Anteil dieses Bayern an der Ausgestaltung des modernen Europas hatte, war in der Geschichtsforschung lange Zeit ein Randthema. Unbestreitbar ist, dass Bayern das Projekt Europa nach dem Krieg kräftig angeschoben hat. Bereits in ihrem ersten Grundsatzprogramm von 1946 hatte die CSU eine europäische Konföderation und eine europäische Wirtschafts- und Währungsunion gefordert. In der Folge legten die Bayern gute Vorschläge auf den Tisch. "Die Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips als Strukturprinzip der Europäischen Union geht maßgeblich auf bayerisches Engagement zurück", sagt Ferdinand Kramer, Leiter des Instituts für Bayerische Geschichte der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

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In einer von Kramer betreuten und soeben veröffentlichten Dissertation hat der Historiker Alexander Wegmaier die bayerische Europapolitik von 1945 bis 1979 untersucht. Seine Arbeit liefert für die Bewertung europäischer Entwicklungen eine Fülle von erhellenden Analysen. Die Idee eines geeinten Europas wurde ja erst 1998 in die Bayerische Verfassung eingefügt, aber trotzdem war es von Anfang an ein "quasi-Staatsziel des Freistaats". Auch wenn das neue Europa für die Länder der Bundesrepublik zunächst eine große Herausforderung und Konkurrenz bedeutete. Trotzdem haben sie den Einigungsprozess bejaht und von Anfang an versucht, ihn kräftig mitzugestalten.

Wie Wegmaier resümiert, hat der bayerische Landtag in den ersten Nachkriegsjahren zwar oft um den politischen Weg gestritten. Trotzdem forderte er vor 70 Jahren, am 23. September 1948, die Staatsregierung auf, "nichts unversucht zu lassen, um den Gedanken der Vereinigten Staaten von Europa zu fördern und seine praktische Verwirklichung zu unterstützen".

Bayern hat das moderne Europa geprägt

Allerdings verbargen sich hinter dem Antrag recht unterschiedliche Vorstellungen. Föderalistische Kräfte wie CSU und Bayernpartei sahen in einer europäischen Föderation die Möglichkeit, den Nationalstaat, den man für die Weltkriege verantwortlich machte, zu schwächen. SPD und FDP blieben zunächst am Nationalstaat und am Ziel der schnellen Wiedervereinigung orientiert. Überdies vermuteten Gewerkschaften und große Teile der SPD hinter europäischen Projekten wie der Montanunion eher kapitalistische Projekte. Die europäische Idee wurde in Bayern deshalb vor allem von katholisch-konservativen Kreisen unterstützt.

Insgesamt kommt Wegmaier zu dem Schluss, dass Bayern bei der Verteidigung der föderalen Staatsordnung im Zuge der europäischen Integration eine Führungsrolle unter den deutschen Ländern einnahm. Vor allem Ministerpräsident Alfons Goppel (1962-1978) setzte auf eine Verbindung von bayerischer Eigenstaatlichkeit und der deutschen sowie europäischen Ausrichtung des Freistaats. Eine Auflösung der überschaubaren Lebens- und Freiheitsräume zugunsten einer zentralisierten Steuerung durch einen europäischen Einheitsstaat lehnte Goppel ab. Als Föderalist war er überzeugt, dass Macht und Entscheidung auf mehreren Ebenen verteilt werden müssen.

Nachdem europäische Institutionen und Regelungen die Länderkompetenzen mehr und mehr einschränkten, schuf die bayerische Politik - bisweilen gegen den Widerstand des Bundes - verschiedene Instrumente, mit denen sie Einfluss auf die europäischen Institutionen und den Integrationsprozess auszuüben versucht. Heute wird das immer schwieriger. Seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge (1957) wirkt Europa stärker auf Bayern ein. Andererseits hat der Freistaat auf seine störrisch-umtriebige Art das moderne Europa weitaus mehr geprägt, als viele es wahrhaben wollen.

Alexander Wegmaier, Europäer sein und Bayern bleiben, Die Idee Europa und die bayerische Europapolitik 1945-1979. Verlag C.H.Beck, 2018.

© SZ vom 26.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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