Kratzers Wortschatz:Berufseinsteiger, die noch Schafzipfeln sind

Das Schimpfwort Schafzipfel benennt laut Lexikon einen Dummkopf oder einen Trottel. Aber der Begriff hat in speziellen Fällen auch eine heiter-ironische Note.

Von Hans Kratzer

Schafzipfel

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(Foto: dpa-tmn)

Eine junge Frau aus dem Bekanntenkreis hat neulich erzählt, sie habe nun nach ihrem Studium ihre erste Stelle angetreten. In ihrer Firma seien außer ihr noch mehrere andere Jungakademiker ins Berufsleben gestartet. "Und wie sind die alle so drauf?", fragte eine Freundin. "Mei", sagte das Mädchen, "alles gut, sie san halt no a bissi Schofzipfen!" Schafzipfel ist ein legerer Begriff aus dem Großreich der Schimpfwörter und benennt laut Lexikon einen Dummkopf oder einen Trottel. Aber in diesem Fall darf man dieses Wort nicht ganz so streng auslegen. Das Mädchen definiert den Schafzipfel (Schofzipfe) eher als einen schüchternen, unerfahrenen jungen Menschen, der vom wechselvollen Leben jenseits von Schule und Uni noch wenig Ahnung hat. Der in dem Wort enthaltene Zipfel ist auch als eigenständiges Schimpf- und Neckwort gebräuchlich. Der Skispringer Markus Eisenbichler nennt seine Sportkameraden, wenn sie ihn gerade nerven, gerne Zipfel. Wesentlich gröber klingen die Wörter Zipfebritschn (bösartige Frau) und Zipfeklatscher (Hanswurst).

Spezi

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(Foto: Catherina Hess)

Aufsehen erregte zuletzt ein vor Gericht ausgetragener Streit der Brauereien Riegele aus Augsburg und Paulaner aus München. Es ging um die Namensrechte an dem Kultgetränk Spezi. In diesem Zusammenhang ploppte auch das in dieser Kolumne schon einmal abgehandelte Benennungsproblem wieder auf. Heißt es, wie im Norden üblich, die Spezi, oder (wie bei Riegele) das Spezi oder gar (wie bei Paulaner) der Spezi. Legionsweise meldeten sich Spezialisten zu Wort. Um in der Namensdebatte emotionale Aufwallungen zu dämpfen, ließe sich ein Ersatzwort beiziehen. Es stammt aus einer Zeit, in der das Mischgetränk aus Cola und Orangenlimo noch händisch zusammengeschüttet und als Gwasch bezeichnet wurde. Das Wort Gwasch findet sich bereits im 19. Jahrhundert im Wörterbuch von Schmeller, in dem das "Gewäsch" ein zu dünn ausgefallenes Bier oder eine Brühe benannte. Beim Spezi verhindert schon der hohe Zuckeranteil, dass sein Geschmack fad und dünn ist.

Oimara

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(Foto: Günther Reger)

Im Radiosender Bayern 2 war kürzlich ein Lied des Musikers Oimara zu hören. Der junge Mann ist auf der Hafner Alm am Tegernsee aufgewachsen und nennt sich deshalb Oimara, also Almerer. Das ist einer, der von der Alm herstammt. Im Bairischen unterstreicht die Endung -erer häufig die Aktivität des Handelnden, nennen wir nur den Suberer (Subunternehmer), den Hamperer (Nichtsnutz) und den Weiberer (Frauenheld). Beni Hafner, so heißt der Oimara mit richtigem Namen, singt Lieder, die stilmäßig dem Kraut-und-Ruam-Prinzip folgen. Letzteres wurde leider der Moderatorin der Sendung zum Verhängnis, denn sie erkannte, halb so schlimm, den dialektalen Gehalt des Wortes Oimara nicht. So betonte sie bei der Aussprache des Wortes arglos das zweite a, was nicht nur einen anderen Wortklang, sondern auch eine neue Bedeutung ergibt. Er trage den Künstlernamen Oimára, sagte sie und erweckte den Eindruck, es handle sich um einen hippen Namen aus Frankreich oder Italien. Dabei war es bloß der richtigerweise auf der ersten Silbe zu betonende Oimara, der Almerer, der glücklich von der Alm heruntergestiegen war, aber auch mit seinem bairisch betonten Namen ganz passabel klingt.

Bixl

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(Foto: Robert Haas)

In Zwiesel ist gerade eine Bixl-Ausstellung zu Ende gegangen. Bixln sind kunstvoll gefertigte Schnupftabakgläser. Der Landtagsabgeordnete Manfred Eibl (FW), ein Schnupfer aus Leidenschaft, wurde bei dieser Gelegenheit sogar zum Bixl-Botschafter ernannt. Es ist ja eine hohe Kunst, den Tabak vom Bixl auf den Handrücken zu häufeln und den Haufen dann in die Nase zu drücken. Es gibt sogar Weltmeisterschaften, auf denen heldenhaft geschnupft wird, wobei mancher Akteur beim Ausrotzen des Tabaks auf dem Pissoir schon seines Gebisses verlustig gegangen ist. In politisch unkorrekten Zeiten wurden Frauen, die nicht im besten Ruf standen, als Bixn bezeichnet. Als Bixl wiederum galt auch eine Bordüre an Kleidungsstücken, was wiederum zur Bixlmadam führt, die zwar aufgetakelt daherschwanzelt, aber vornehmer tut, als sie ist.

Prangertag

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(Foto: dpa)

Auf der Suche nach einem gemeinsamen Recherchetermin hat ein Kollege neulich geschrieben: "Von mir aus auch am Prangatag!" Das war irgendwie herzerwärmend, denn in der Kaste der Redakteure und Schreiberlinge sind altehrwürdige Wörter wie Prangertag (Synonym für Fronleichnam) kaum noch zu hören. Auf dem Land ist das Wort aber durchaus noch lebendig. "Wer das katholische Bayern in seinem Kern ergründen will, der kommt nicht umhin, bei einer Fronleichnamsprozession mitzumarschieren", schrieb einmal der Kabarettist Bruno Jonas. Es ist tatsächlich eine eindrucksvolle Pracht, die dem Auge da geboten wird: die mit Blumen geschmückten Altäre und Figuren, die mit Birken gesäumten Straßen, die mit roten Tüchern verzierten Häuser. Das althochdeutsche Wörtlein "fro" (Herr) führt zur Bedeutung von Fronleichnam: "Leib des Herrn". Weil das aber nicht jeder so genau weiß, sagt man auf dem Land lieber Prangertag oder Prangdog. Vielleicht, weil das Allerheiligste zur Schau (Pranger) gestellt wird. Vielleicht aber auch, weil an diesem Tag alles prangt: bis hin zu den festlich gekleideten Prozessionsteilnehmern. Früher richteten sich die Mädchen am Prangertag noch her wie für ihre Hochzeit. Sie sprengten sich Bier in die Haare, damit diese recht schön geschnecklert wurden. Wenn dann die Zöpferl durchgekämmt wurden, schauten manche direkt aus wie kleine Engerl.

Schusser

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(Foto: dpa/dpaweb)

In der SZ war soeben eine Geschichte über den Staatsanwalt Jakob Schmidkonz zu lesen. Als es einmal um eine Mietminderung wegen eines angeblich schiefen Bodens ging, packte Schmidkonz beim Ortstermin "die Gerichtsmurmel, vulgo: Schusser" aus, wie es im Artikel hieß. Er stellte die Kugel behutsam auf den Boden, und da blieb sie auch stehen, ohne zu rollen. Die Klage wegen des mutmaßlich hängenden Bodens wurde noch vor Ort abgewiesen. Das Wort Schusser ist von der Murmel verdrängt worden. Bei älteren Menschen weckt der Schusser gewiss Erinnerungen an die Kindheit, in der sie ein kleines Loch gruben und danach versuchten, die bunten Glas- und Tonkugeln hinein zu schussern. In zubetonierten Landschaften ist es unmöglich, Schusserbahnen zu bauen. In Franken nennt man die Schusser Märbel. Dies rührt daher, dass die Kugeln früher aus Marmor hergestellt wurden und verschiedenen Zwecken dienten, manchmal sogar als Kanonenkugeln. Aber populär waren die Schusser vor allem als Spielgeräte. In Altbayern sagte man auch Arwa.

Postminister

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(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Der klassische Briefträger stirbt aus, jedenfalls meldet das die Nachrichtenagentur dpa. An seine Stelle tritt der sogenannte Verbundzusteller, der mit seinem Transporter immer weniger Briefe und immer mehr Pakete ausfährt. Der Wandel vom Brief zum Paket wird befeuert durch die aberwitzig vielen Online-Bestellungen. Auf dem Land spricht man, Paket hin oder her, nach wie vor vom Postboten. In der Landshuter Gegend tragen manche Postboten sogar den Titel Postminister, ehrenhalber. "Ah, der Postminister is da!", grüßen ihn jene Postempfänger, die einen Hang zur liebevollen Ironie haben. Einen Postminister gab es tatsächlich einmal, im Zuge der Privatisierung wurde das Bundesministerium für Post und Telekommunikation aber 1998 aufgelöst. Nun schmückt der Titel Postminister nur noch den einen oder anderen Postboten. Eine ähnliche Aufwertung erfahren auch Werktätige aus anderen Branchen. Da wird aus einem Arbeiter, der um Auskunft gebeten wird, schnell mal ein Herr Direktor oder ein Chef: "Du, Chef, wo ist denn euer Meister?" In Österreich wird quasi jeder Fiakerkutscher als Herr Professor tituliert. Die Berliner Schriftstellerin Gabriele Tergit erkannte schon 1931, dass die Leute Orden und Titel brauchen. "Sie können in Bayern fast schon jeden Prokuristen mit Herr Kommerzienrat anreden, und das Resultat ist, dass die Leute zufrieden sind."

Frau Doktor

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(Foto: dpa)

Als der CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg 2011 wegen seiner vermurksten Doktorarbeit zurücktrat, herrschte in Straubing Verdruss. Guttenberg fiel damit nämlich auch als Festredner für das Gäubodenvolksfest aus. Bei einer Umfrage fand die Mehrheit der Straubinger, Guttenberg könne das Fest doch auch als ehemaliger Minister eröffnen. Gerade was die Promotionsordnung betrifft, sind die Niederbayern sehr tolerant. Zwar kann man den Doktortitel noch nicht auf dem Flohmarkt kaufen, aber viel fehlt nicht mehr. Auf dem Standesamt wird schon seit jeher promoviert. Früher trug den Doktortitel nämlich nicht nur der Inhaber, sondern automatisch auch die Gattin, die beim Einkaufen manchmal mit "Grüß Gott, Frau Doktor!" angeredet wurde. Und das kommt heute noch vor. Der Autor Ludwig Fichtlscherer spottete vor Jahren darüber, dass die Bedienung im Wirtshaus zu jedem "Herr Doktor" sagt, der ein Trinkgeld gibt. "Beim nächsten Mal warst scho ein Professor." Die Titelsucht erreichte auch den Friedhof. Dort ruhen Sanitätsratswitwen, Kommerzienratswitwen, Oberlehrerswitwen . . . Bei der Trambahnritzenreinigerswitwe setzte es aus. "Da häddns an Grabstoa querlegen miassn", feixte Fichtlscherer.

Goaß

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(Foto: REUTERS)

Jüngst haben der Fußballersprössling Brooklyn Beckham, 23, und die amerikanische Milliardärstochter Nicola Peltz, 27, geheiratet. Die Boulevardblätter dokumentierten die Traumhochzeit mit bunten Fotostrecken. Häufig abgedruckt war jenes Bild, auf dem der junge Hochzeiter sich anschickt, seine Frau zu küssen, während sie in ihrem maßgeschneiderten Kleid von Valentino so cool dreinschaut wie ein Eis-Engel. Umso rührender, dass er sie "wifey" (Frauchen) nennt, wie dem Kanal Instagram zu entnehmen ist. Im Wartezimmer einer niederbayerischen Zahnarztpraxis wurde der steife Auftritt der Braut eher skeptisch bewertet. Eine ältere Patientin tat beim Betrachten der Bilder in einer Illustrierten kund, sie halte die Hochmut ausstrahlende Nicola für eine Goaß. Im Tierreich versteht man unter einer Goaß eine Geiß oder eine Ziege (althochdeutsch: Geiz). Im menschlichen Kontext steht das Wort Goaß für eine dünne, boanige Frau, die dazu neigt, kompliziert zu sein und zum Lachen in den Keller zu gehen. Neben dieser klassischen Zuordnung werden auch kleine Mädchen, die etwas ausgefressen haben, als Goaß bezeichnet. Störrischen Männern haften dagegen die Attribute Goaßbock und Goaßhiater (Ziegenhirt) an. Als sprachliche Erweiterungen sind bekannt das Goaßgschau (stierer Blick), die Goaßmass (Getränk) und das Glück vom Goaßpeterl (unverhofftes Glück).

Servus

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(Foto: dpa)

Die TV-Gelehrten Markus Lanz und Richard David Precht stießen neulich in ihrem Podcast bis ins Lateinische vor. Es ging um das Thema Arbeit, das die Römer einst mit dem Verb laborare beschrieben. "Das ist das, was der Sklave und der Viehbauer machen", erklärte Precht. Lanz brachte das Wort Servus (Sklave, Diener) ins Spiel und erklärte, Servus sei in Südtirol ein Gruß. Und in Bayern strahle das Wort "so was unglaublich Gemütliches" aus. Populär wurde das Wort vor Jahren, als Thomas Gottschalk und Franz Beckenbauer das Fernsehpublikum mit Servus begrüßten. Der Sprachforscher Johann Andreas Schmeller kannte das Wort im 19. Jahrhundert noch nicht. In Bayern etablierte sich Servus im Ersten Weltkrieg, als Adjes und Ade wegen ihrer französischen Herkunft nicht mehr gut gelitten waren.

Lüngerl

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(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Ministerpräsident Markus Söder ist sichtbar stämmiger geworden, was nicht verwundert, wenn man einen Blick auf seinen Speiseplan wirft. Dass er dem Stamme der Genießer zugehört, belegt er ja selber auf dem Kanal Instagram. Dort präsentiert er häufig in Wort und Bild, welche Schmankerl er sich bei guter Gelegenheit einverleibt (#söderisst). Vor einigen Tagen ließ sich Söder in Weltenburg ein altes Traditionsgericht schmecken. Er schrieb: "Seit meiner Kindheit esse ich gerne Lüngerl mit Kloß. Das hat meine Mutter immer perfekt gemacht. Viele kennen das kaum mehr." Sein Eintrag stieß nicht nur auf Begeisterung. "Sieht bissele aus wie Erbrochenes", schrieb eine Followerin, eine andere Person sah es pragmatisch: "Also dem Wastl, meinem Hund, schmeckt das auch." Ob so oder so, das Kalbslüngerl in seiner geschnetzelten Form, auch saure Lung genannt, wurde früher im Verbund mit einem Semmelknödel als Spezialgericht schlechthin bei Hochzeiten und beim Totenmahl (Kremess) aufgetischt. Weil es schnell zubereitet, leicht warm zu halten und im Notfall zu strecken war. In der gehobenen Sprache heißt das vom Aussterben bedrohte Lüngerl auch Lungenhaschee.

Beuscherl

In Südbayern und Österreich sind Lunge und sonstige Innereien auch unter der Bezeichnung Beuschel oder Beuscherl bekannt. In einer Schlachtschüssel schwammen dementsprechend Herzen, Nieren und allerlei Beuscherl. Als der Wohlstand nach dem Krieg wuchs, wurde das Lüngerl beim Totenmahl vom Schweinsbraten abgelöst. Nur dort, wo es ärmlich zuging, blieb man beim billigeren Lüngerl und nahm in Kauf, dass die Gäste über eine Beuschelleich klagten. Als Beuschelreißer galt wiederum eine starke Zigarette, die keinen Filter hatte, früher trugen diese Sorten lustige Namen wie etwa Mokri. Außerdem wurden auch mitreißende Melodien in diese Kategorie eingeordnet. Die Tanzhits in der Disco hießen Beuschelreißer. Danach zu tanzen, war jedenfalls angenehmer als an einer Lungenkrankheit zu leiden. "Oh je", hieß es dann, "dem feits am Beischl!"

Spangler

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(Foto: Andrey Popov/Imago)

Der Mittelbayerischen Zeitung war zu entnehmen, die Zahl der Feuerwehreinsätze, die für die Feuerwehren eigentlich keine Pflichteinsätze wären, steige an. Oft werde nur der Einfachheit halber der Notruf 112 gedrückt. Die Feuerwehr Cham müsse manchmal sogar anstelle von Schlossern und Klempnern einspringen. Interessant ist hierbei, dass die Zeitung von Klempnern schreibt. Dabei gibt es für viele Handwerksberufe im südhochdeutschen Kontext eigene Begrifflichkeiten. Für Klempner und Installateure lautete die Alternative Spengler, in Südbayern sagt man auch Spangler. Eigentlich ist das die ursprüngliche Bezeichnung für jene Handwerker, der einst Spangen herstellten. Nach Gesetzeslage sind in Deutschland die norddeutschen Bezeichnungen Fleischer, Klempner und Schornsteinfeger zu verwenden, woran sich viele Medien eisern halten. Das Handwerk lässt sich davon aber nicht beeindrucken und setzt weiterhin auf die traditionellen, oft bis ins Mittelalter zurückreichenden Berufsbezeichnungen Metzger, Spengler und Kaminkehrer.

Ritschiknödel

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(Foto: Robert Haas)

Florian Klenk, Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung Falter, tat auf Twitter sein Erstaunen kund, dass fast jedes Land der Welt irgendeine Form von Knödeln kennt. Also fragte er: "Welche Knödel gibt es bei euch?" Maximiliane Heigl aus Töging antwortete, bei ihrer niederbayerischen Verwandtschaft habe es Ritschiknödel gegeben. Das sei "ein Hybridknödel aus Kartoffeln und Semmeln, der sehr weich, fast batzig war und sich hervorragend für cremige Saucen eignet". Elisabeth Spitzenberger aus Viechtach teilte der SZ dagegen vor Jahren mit, Ritschiknödel seien rohe Kartoffelknödel und Ritschi sei ein Kartoffelpuffer. Das deckt sich mit der Angabe in Kollmers Lexikon der Waldlersprache, in dem "Ridsche" als geriebene rohe Kartoffeln, in der Pfanne gebraten, beschrieben sind. "Ridschegnel" sind dort Knödel aus geriebenen rohen Kartoffeln. In der Oberpfalz sagt man auch Dotsch dazu.

Greinen

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Musikant Stefan Dettl hat vor wenigen Tagen im Radio erzählt, seine Kapelle La Brass Banda habe einmal in einem Yoga-Kurs gespielt. "Ganz ruhig, meditativ, schöne Brass-Klänge", sagte er. Schon bald hätten die Menschen geweint und Emotionen losgelassen, "und wir hamm dann aa mitgread!", gab er zu. Eine berührende Geschichte, die zudem ein sprachliches Zuckerl beinhaltet. Nämlich das wundersame Partizip gread, das Dettl aus den Tiefen des Dialekts herausgezogen hat. Es könnte vom Verb röhren (rearn) herstammen, das manchmal statt weinen verwendet wird. Aus österlicher Sicht könnte man stattdessen aber auch das Verb greinen heranziehen, das ebenfalls als Synonym für weinen bekannt ist. Viele Dichter haben es verwendet. In Lena Christs "Lausdirndlgeschichten" ist beispielsweise zu lesen: "Großvater! Was greinst denn a so?" Auch Oskar Maria Graf schmückte damit seinen Roman "Das Leben meiner Mutter": "Lass sie greinen und keifen!" Greinen geht wohl auf das mittelhochdeutsche grinen zurück (den Mund verziehen, weinen). Auch im Gründonnerstag, der jetzt bevorsteht, steckt das Wort greinen. Grüne Kräuter spielen zwar an diesem Tag eine zentrale Rolle, seinen Namen aber verdankt dieser Tag trotzdem dem alten Verb greinen. Es ist ein Tag des Weinens und der Trauer, weshalb Orgelschall und Glockengeläut am Gründonnerstag verstummen.

Grand

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(Foto: DAH)

Über ein Inserat im Straubinger Tagblatt hat ein Verkäufer einen alten "Wassergrant" für 2500 Euro angeboten. Das war völlig in Ordnung, bis auf eine Kleinigkeit, die sogleich einen Leser in Rage versetzte. Er merkte dazu an, man könnte "über diesen Schmarrn geradezu einen Grant bekommen, und das in der Heimatzeitung". Was der Verkäufer loswerden wollte, war nämlich ein Wassergrand, den man im Gegensatz zum Grant mit weichem d schreibt. Ein Grand ist ein steinerner Behälter, in dem das Regenwasser aus der Dachrinne gesammelt wird. Auf Bauernhöfen fließt oft Brunnen- oder Quellwasser durch einen Grand, klar und eiskalt. Früher, als es noch keine Badezimmer gab, haben sich die Menschen dort gewaschen. Der Grant wiederum ist Ausdruck einer Übellaunigkeit, die in Bayern über die Zeit hinweg eine so spezielle Ausformung erfuhr, dass sogar lehrreiche Bücher darüber geschrieben wurden. Die kleine Version des Grands ist übrigens das Grandl, wie es früher oft im Holzofen in der Kuchl eingelassen war, damit das Brauchwasser dort schnell erhitzt werden konnte. Überdies kommt das Grandl gelegentlich noch in der Redewendung "das Grandl voll haben" vor. Wenn einer zu viel getrunken hat, dann sagen Kundige kurz und bündig: "Der hat's Grandl sauber voll!" Wenn eine Rauschkugel einst vom Wirtshaus zurückkehrte und das Grandl voll hatte, löste das bei der Gemahlin leicht einen Grant aus.

Abortprinzessin

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(Foto: imago images/blickwinkel)

Im Bayerischen Fernsehen hat neulich ein älterer Herr über all jene gelästert, die sich in Krisenzeiten zu Hamsterkäufen hinreißen lassen. Er schimpfte, es sei eine Idiotie, dass die Leute wie wild Speiseöl kauften oder, wie am Beginn der Pandemie, Abortpapier. Interessant war, dass er statt des gängigen Begriffs Klopapier das altertümliche Wort Abortpapier verwendete. Mit der fortschreitenden Hygienisierung ist der Abort langsam aus der Alltagssprache verschwunden. In der TV-Serie "Polizeiinspektion 1" sagte der Inspektionsleiter Schöninger (Walter Sedlmayr) anno 1982 noch ganz selbstverständlich zu seinem Kollegen Moosgruber (Max Grießer): "Du, mach amoi d'Aborttür zu!" Wie dem Tagebuch der Unternehmerin Maria Walser zu entnehmen ist, sprach man in München um das Jahr 1890 herum vom Closette, wenn für das Klo ein eigenes Wasserreservoir vorhanden war. Damals begann man in wohlhabenden Häusern, immer mehr Aborte, also die trockenen Plumpsklos, zu Closettes umzubauen. Auf den Dörfern dienten noch vor 50 Jahren schmale Holzhäusl als Aborte. Sie waren oft am Rande des Misthaufens platziert und wurden als Scheißhäusl bezeichnet. Ein grobes Wort, das aber auch der Dichterfürst Goethe verwendet hat. Um das Häusl aufzusuchen, musste man sich bei jedem Wetter ins Freie begeben. Umso froher waren jene, die einen am Haus eingemauerten Abort besaßen, zwar ohne Spülung, aber mit einer gemauerten oder betonierten Versitzgrube. Laut Duden stammt das Wort Abort aus dem Niederdeutschen und benennt einen abgelegenen Raum zum Verrichten der Notdurft. Abortprinzessin hießen einst jene Frauen, die öffentliche Toiletten sauber halten und die Eintrittsgebühr kassieren. Ein Euphemismus, der den Realismus dieser Tätigkeit ziemlich gut verschleiert.

"Der Russ, der kommt, des is ganz gwies"

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(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Nach dem Angriff auf die Ukraine wird das Ansehen Russlands auf lange Zeit zerstört sein. Auch all jene Russen und Russlanddeutschen, die diesen Krieg nicht gewollt haben, gelten nun, tragischerweise, oftmals als Geächtete. In den bayerischen Varietäten der deutschen Sprache ist der Begriff Russ schon lange bekannt, wobei er sowohl positiv als auch negativ konnotiert war. Zunächst einmal schürte "der Russ" nach dem Weltkrieg weiterhin Ängste, erst recht nach seinem Einmarsch in Prag anno 1968. Diese Not wurde vor allem im volkstümlichen Liedgut beschworen. "Der Russ, der kommt, des is ganz gwies", prophezeite die Biermösl Blosn in den 80er-Jahren. "Wenn der Russ kommt, dann ist Schluss", sang der Liedermacher Georg Ringsgwandl, und der Satiriker Gerhard Polt ließ einen gewissen Schorsch klagen: "Der Russ, wann der kommt, dann kommt er anders als wia ihr eich des vorstellts. Da machts huiiii - und dann iss aus mitm Freibier." Tatsächlich taucht das Stichwort Russ schon vor 200 Jahren in diversen Wörterbüchern auf. Johann Andreas Schmeller verstand darunter "lästige Fliegen, die, vom Auslande gekommen, sich in einigen Örtern einheimisch gemacht haben". Frappierend ist, was der Sprachforscher Schmeller in grauer Vorzeit sonst noch dokumentiert hat. Der Russ sei "ein grober Bengel und Flegel, der gerne alles zu Grund richtet, womit er zu thun bekommt". Für den niederbayerischen Germanisten Hans Schlappinger war ein Russ vor einem halben Jahrhundert "eine Person männlichen oder weiblichen Geschlechts, die sich durch Ausdauer, Zähigkeit und Widerstandskraft gegen Beschwerden auszeichnet." Noch heute werden in manchen bayerischen Dörfern Menschen wegen ihres Habitus gerne "Russ" gerufen. In der Zeit des Ersten Weltkriegs nannte man die noch ungeschliffenen Rekruten Russen. Mancherorts trugen auch Maikäfer den Beinamen Russ. Bis heute erfreut sich das Gemisch aus Weißbier und Limonade respektive kohlensaurem Wasser großer Beliebtheit. Diese Russnmass (oder Russnhoibe) geht wohl zurück auf die Revolution von 1918/19. Die Revolutionäre, die ihr Hauptlager im Münchner Mathäserbräu aufgeschlagen hatten, streckten dort ihr Bier, um einigermaßen bei Sinnen zu bleiben. Diese Männer wurden Russen genannt, ob sie welche waren oder nicht, und das, was sie tranken, war fortan auch ein Russ.

häppi

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(Foto: Julian Finney/Getty Images)

Die deutschen Rodlerinnen und Rodler sind im olympischen Eiskanal in Peking ihren Gegnern haushoch überlegen. Im Doppelsitzer-Wettbewerb gewannen am Mittwoch Tobias Wendl und Tobias Arlt vom Rodelclub Berchtesgaden die Goldmedaille. Viele Vereinsmitglieder fieberten gemeinsam am Bildschirm mit ihren Sportlern mit. Andrea Wendl, die Mama von Tobias Wendl, sagte in ein Mikrofon, sie seien alle so häppi über den Erfolg ihrer Goldbuben. Ihre Begeisterung ist auch mit Blick auf die Sprachentwicklung aufschlussreich. Das Einfließen von Anglizismen in die deutsche Sprache ist ja seit Jahrzehnten zu beobachten. Und einige Wörter wirken bereits, als seien sie quasi urdeutsch. Cool ist etwa aus der Jugendsprache nicht wegzudenken, gerade in Bayern. Wer käme noch auf die Idee, das Synonym bärig zu verwenden. Ähnlich ist es mit happy, das man, weil es sogar die Oma auf dem Dorf verwendet, häppi schreiben sollte. Alle sind häppi, niemand ist mehr glücklich. Der Vorteil: häppi ist kurz und knackig, klingt lustig, ist leicht auszusprechen, und wer es verwendet, fühlt sich auf der Höhe der Zeit.

dol

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(Foto: Catherina Hess)

Wenn die im Becken angebrachten Düsen die Muskulatur lockern, werden im 28 Grad warmen Wasser des Dingolfinger Erlebnisbades Caprima oft interessante Gespräche geführt. Neulich sagte ein Badegast, als es um ein Wirtshaus ging, den schönen Satz: "Erscht neili hamma dol gwen!" Das Bairische gewinnt gerade dann besonders an Farbe, wenn es wie eine fremde Sprache klingt. Bei dem Beispiel aus dem Caprima sind Anklänge ans Schwedische nicht wegzuleugnen. Erst neulich sind wir dort gewesen, lautet die Übersetzung. In manchen Regionen Altbayerns sagt man zu dort tatsächlich dol. Dokumentiert ist dieses Wort in Michael Kollmers Lexikon "Die schöne Waldlersprach". Dort erfährt man, dass dol nicht nur dort, sondern auch neulich oder kürzlich heißen kann: "Dol amoi bin i dol gwen!" Es gibt sogar die Erweiterungsform dolad, aber die gebrauchen nur noch Ureinwohner bayerischer Randgebiete. Das Guatl (Gutti) kommt wie das französische Bonbon aus der Kindersprache. Bon heißt ja auch nichts anderes als gut. Es gibt noch Weiterungen wie Gutsl und Zuckerl, und die Platzerl sind eben bachane Guatl. Mancherorts sagt man auch Zeltln. Im Kolonialwarenladen Holzapfel im Bayerwald-Dorf Kasparzell gab es bis zur Schließung vor einigen Jahren einen Zeltlständer. Auf ihm waren Glaskugeln befestigt, in denen verführerisch Gummi-Schwammerl, zuckrige Erdbeeren und Kirschlutscher leuchteten. Bei den Kindern weckte der Zeltlständer einst ähnliche Sehnsüchte wie heute ein Smartphone mit Flatrate.

Magrananul

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(Foto: imago images/Shotshop)

In der 1934 gedrehten Filmgroteske "Der Firmling" mit Karl Valentin (Firmpate) und Liesl Karlstadt (Firmling Bepperl) bestellt der Pate in einem Weinlokal für seinen Schützling Makkaroni mit Schinken. Der hat zwar an seinem Ehrentag schon narrisch viel gefuttert, behauptet aber: "I könnt scho no Makroni essen!" Makroni respektive Makkaroni ist ein Wort mit Migrationshintergrund. Vermutlich haben es italienische Bau- und Ziegelarbeiter im späten 19. Jahrhundert mit nach Bayern gebracht. In der Zeitschrift MUH bat jüngst ein Leser um Aufklärung zum Wort Magrananul, das ebenfalls mit dem Phänomen Makkaroni zusammenhängt. In Magrananul steckt aber neben dem Wort Makkaroni auch noch die Nul, wie die Nudel im Dialekt genannt wird. Der Sprachwissenschaftler Ludwig Zehetner erklärte dem Fragesteller in der MUH, die Lautform Magrana sei eine vereinfachende Zusammenziehung des italienischen Worts maccheroni, Nudel. Ursprünglich sind Makkaroni röhrenförmige Teigwaren. Im Bairischen wurde daraus aber ein Einheitsbegriff, was einleuchtet, da es früher bei Weitem nicht jene Nudelvielfalt gab, die wir heute kennen. Im großväterlichen Wirtshaus im niederbayerischen Neufraunhofen war eine Magrananulsuppe ganz einfach eine Nudelsuppe, bei der die Einlage aus dünnen Nudeln und keineswegs aus röhrenförmigen Makkaroni bestand. Auch zu den spiralförmigen Nudeln sagte man Magrananul. Eine Magrananulsuppe hatte also mit den klassischen Makkaroni wenig gemeinsam. Unter einer Nul verstand man überdies ein Gebäck aus Hefeteig, hier war die Auswahl recht bunt: Dampfnudel, Rohrnudel, Schmalznudel und Kirtanudel ...

Malerwaschl

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Vor wenigen Wochen ist die eine halbe Ewigkeit für die Münchner Abendzeitung tätige Filmkritikerin Ponkie gestorben, deren eigentlicher Name Ilse Kümpfel-Schliekmann lautete. In einem Radio-Gespräch erzählte sie vor einigen Jahren aus ihrer Jugend in der Zeit des Nationalsozialismus. Damals besuchte sie ein evangelisches Gymnasium, auf dem nur liberale Lehrer unterrichtet hätten, wie sie sagte, bis die Nazilehrer kamen. "Die wollten, dass wir in den Bund Deutscher Mädel (BDM) eintreten." Ihre Mutter habe das abgelehnt. "Der Hitler war ihr zuwider. Sie hat ihn einen Malerwaschl genannt." Dieses abschätzig gemeinte Wort erinnert an den ähnlich klingenden Baderwaschl. So nannte man einst den Friseur, der zum Einseifen einen Waschl verwendete. Auch die Maler verwenden beim Weißeln einen Waschl, einen flächigen Pinsel mit rechteckigem Querschnitt und relativ kurzem Handgriff. Ponkies Mutter aber wollte mit dem Wort Malerwaschl zum Ausdruck bringen, Hitler sei ein windiger Bildermaler, der mehr waschelte als seine Bilder kunstvoll zu gestalten.

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