Kratzers Wortschatz:Beim Spickern braucht man keinen Spickzettel

Bei Darts-Weltmeisterschaften sind deutsche Teilnehmer meist chancenlos. Trotzdem erfreut sich dieser Sport auch in Bayern großer Beliebtheit - nur trägt er einen lustigeren Namen.

Von Hans Kratzer

Spickern

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(Foto: dpa)

Ein großes Spektakel bot die am Montag beendete Darts-Weltmeisterschaft in London. Im Alexandra Palace, genannt Ally Pally, feierten jeden Tag 3000 Fans ausgelassen ihre Helden, Corona bekümmerte niemanden. Aber es war kurzweilig, den Wettbewerb am Fernsehgerät zu verfolgen. Darts ist ein Präzisionssport, bei dem die Wettkämpfer mit Pfeilen (Darts) auf eine Zielscheibe werfen. In Süddeutschland heißen die Darts Spicker, weshalb der vor allem in Kneipen betriebene Sport auch Spickern genannt wird. In Vohenstrauß in der Oberpfalz gibt es den Spickerverein Blaupfeil, der laut Terminplan am Dreikönigstag ein Dreikönigs-Spicken im Spickerraum der Stadthalle geplant hatte. Die Verben spicken, spickern und specken beschreiben ursprünglich die Technik, mageres Fleisch mit Speck zu durchflechten. Spicken bedeutet aber auch, sich mit fremden Federn oder mit gestohlenen Weisheiten zu schmücken. Von da aus ist es nicht weit zum Abschreiben, das ebenfalls mit dem Verb spicken umschrieben wird. In diesem Fall könnte es auch mit spähen zusammenhängen. Unstrittig ist, dass ein Schelm, der spicken will, einen Spickzettel braucht. Wird er beim Unterschleif erwischt, dann droht ihm nach wie vor ein Spicksechser.

Riabbe

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(Foto: dpa)

Das Magazin Der Spiegel hat vermeldet, die Amtsübergabe vom alten an den neuen Bundesverkehrsminister habe zu den wenigen skurrilen Szenen des Regierungswechsels gezählt. Andreas Scheuer (CSU) habe seine Erfolge herausgestellt, seinem Nachfolger Volker Wissing (FDP) habe er aber ein unaufgeräumtes Büro hinterlassen. Wissing vertrat bei der Amtsübernahme die These, ein Regierungswechsel könne eine große Ästhetik haben. Dann lobte er die Musiker, die den Termin klanglich untermalt hatten, sie hätten diese Ästhetik auf wunderbare Weise betont. "Das war Wissings Art", heißt es in dem Bericht weiter, "seinem Vorgänger zu sagen, dass dieser ein Rüpel sei." Auch CDU-Chef Friedrich Merz hatte der Schwesterpartei CSU vor längerer Zeit indirekt Rüpelhaftigkeit vorgehalten. Zum Glück sind Wissing und Merz des Bairischen nicht mächtig. Sonst hätten sie statt Rüpel wohl Riabbe gesagt. Die im Riabbe enthaltene Unhöflichkeit, Ungeschliffenheit und Derbheit übertrifft an Schärfe den Rüpel bei weitem. "So ein Riabbe!" Schlimmer geht's nimmer. Schwächere Formen lauten Gloiffe, Glache und Glätzn.

Drack

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(Foto: dpa)

"Der Drache speit nicht mehr", war neulich in der SZ zu lesen. Es ging um jenen Vulkan auf der Insel La Palma, der die Menschen dort drei Monate lang drangsaliert hat. Mehr als 1600 Gebäude wurden durch die Lava zerstört. Einen "sturköpfigen Drachen" nennen die Einheimischen den Vulkan. Das deckt sich mit der Mythologie, die den Drachen als finsteren Gesellen beschreibt, von dem eine große Gefahr ausgehe, zudem besitze er übernatürliche Kräfte. Die Mutter aller Drachenmythen sei die Siegfried-Sage im Nibelungenlied aus dem frühen 13. Jahrhundert, war vor wenigen Tagen der SZ zu entnehmen. Auch im bayerischen Schimpfwörterkanon hat der Drache seinen festen Platz. Allerdings heißt er dort Drack, ein Wort, das wohl vom lateinischen draco abgeleitet ist. Ein Drack ist ein Mensch, der andere Menschen gerne ärgert: "Schleich' dich, du Drack!", heißt es dann. Auch Buben, die etwas ausgefressen haben, wurden früher gerne als Drackn tituliert und bisweilen mit einer Watschn belobigt.

Schaber

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(Foto: Catherina Hess)

Sogar in einem schlichten Bekleidungsstück wie der Schürze steckt oft eine facettenreiche Kulturgeschichte, was gerade eine Ausstellung im Stadtmuseum Kaufbeuren eindrucksvoll belegt. Oft wird die Schürze reduziert auf die geblümte Kittelschürze, wie sie vor allem die Hausfrauen und die Bäuerinnen trugen. Dieses Kleidungsstück wird Schürzl genannt. Auch Handwerker tragen aus Schutzgründen Arbeitsschürzen, allerdings nennt man diese Schaber (Schowern, Schawa), worauf Leser Alfred Hechtl kürzlich hingewiesen hat. Dieser Begriff ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Werkzeug, das eine Schneide zum Schaben hat. Von Christina Loquai erfuhren wir, im westlichen Bayern sage man Schurz zu Schürze und Schaber, oder auch Füatta (Vor-Tuch). Was die Herkunft des Wortes Schaber betrifft, könnte ein Zusammenhang mit dem französischen chaperon (Abdeckung) bestehen.

Guatl

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(Foto: dpa)

Der freundliche Kollege St. hat uns mitgeteilt, das alte Wort Guatl erinnere ihn stets an seine Großmutter. Die habe immer gesagt: "Wenn da Hois (Hals) kratzt, nimm Guatl mit." Die hochdeutschen Begriffe Bonbon oder die - medizinisch klingenden - Pastillen habe er wahrscheinlich nie benutzt, schreibt St. leicht wehmütig. Denn das Wort Guatl geht gerade im Strudel des Sprachwandels verloren. Schade, dass keine Adventsmärkte stattfinden, dort würden nämlich Süßigkeiten wie Zuckerwatte, gebrannte Mandeln und Guatl feilgeboten. Das Guatl (Gutti) kommt wie das französische Bonbon aus der Kindersprache. Bon heißt ja auch nichts anderes als gut. Es gibt noch Weiterungen wie Gutsl und Zuckerl, und die Platzerl sind eben bachane Guatl. Mancherorts sagt man auch Zeltln. Im Kolonialwarenladen Holzapfel im Bayerwald-Dorf Kasparzell gab es bis zur Schließung vor einigen Jahren einen Zeltlständer. Auf ihm waren Glaskugeln befestigt, in denen verführerisch Gummi-Schwammerl, zuckrige Erdbeeren und Kirschlutscher leuchteten. Bei den Kindern weckte der Zeltlständer einst ähnliche Sehnsüchte wie heute ein Smartphone mit Flatrate.

schneiben

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Im "Oberbairischen Fest-Täg-und-Alte-Bräuch-Kalender für das Jahr 2022", erschienen im Raab Verlag, findet sich ein Artikel über den Almabtrieb mit der Überschrift "Boid schneibds an Schnee". Im Deutschen sagt man eigentlich: Es hat geschneit! Das schon das im Althochdeutschen gängige Verb schneien (sniwan) tritt im Laufe der Geschichte in variabler Form in Erscheinung. Unterhaltsam wird es, wenn die bairischen Dialektformen ins Spiel kommen. Es schneibt und es hat gschneibt, sagen die einen. Es hat gschniebn (gschniem), sagen die anderen. Interessant ist der eingeschobene Buchstabe "b", der nicht nur bei schneien, sondern auch bei speien (bairisch: speiben, schpeim) zu beobachten ist. Das "b" in schneiben und im Stammauslaut von gschneibt ist auf die historischen Vorformen mit "w" zurückzuführen. Schon das Althochdeutsche kennt die Verhärtung des w zum b (snibit). Auch in Ludwig Thomas Klassiker "Heilige Nacht" taucht das "b" auf: "Alle Weg san vaschniebn / Is koa Steigl net bliebn."

Zwetschgnmandl

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(Foto: dpa)

Lauterbach hier, Lauterbach da, Lauterbach dort. Der SPD-Politiker ist seit Ausbruch der Corona-Krise omnipräsent. Ein Fernsehabend ohne Lauterbach ist nicht mehr vorstellbar. Im Bundestag fiel der frisch gekürte Bundesgesundheitsminister schon früh auf, weil er seine Mitmenschen, wie soeben in der Wochenzeitung Die Zeit zu lesen war, dauerhaft nervte - und zwar jeden, ohne Ansehen der Person. Peter Struck, der mittlerweile gestorbene Ex-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, schimpfte einmal, Lauterbach solle "einfach mal die Schnauze halten." Wenn man Lauterbach in all seinen Facetten beschreiben will, lohnt es sich, den bairischen Grundwortschatz heranzuziehen. Zweifellos erfüllt er sämtliche Kriterien, um als Doudschmatzer, Gscheidhaferl, Gschaftlhuber und Wuisler durchzugehen. Neulich bezeichnete ihn jemand aus dem Bekanntenkreis sogar als Zwetschgenmandl. Diese Zuordnung ist insofern originell, als eine solche Figur ursprünglich aus gedörrten Zwetschgen gebastelt wurde. Im übertragenen Sinn handelt es sich um einen schmächtigen Mann, den man nicht sonderlich ernst nimmt, weil er die Nerven strapaziert. Der Satiriker Gerhard Polt hat dem Zwetschgenmandl in einem Sketch allgemein ein Denkmal gesetzt. Er traf es in einem Wirtshaus, wo das Zwetschgenmandl, das keine Gaudi kannte, eine Gulaschsuppe aus einem Plastikding rausgelöffelt hat. Bis ein Freund mit einem Salzhaferl daherkam und "hauds am Zwetschgnmandl in Gulaschsuppn eini", denn: "Schbäzi, sauer macht lustig!" Lauterbach indessen isst aus Prinzip kein Salz. Bei ihm geht es nur noch um die Frage: Steigt er zum Retter der Nation auf oder geht er als politischer Wolpertinger in die Geschichte ein?

Packerl Kunsthonig

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(Foto: Niels P. Joergensen)

In einem Podcast des Bayerischen Rundfunks ("Heimat lesen") schildert Alexander Metz, was er in seiner Nachkriegs-Kindheit in Cham alles erlebt hat. Er führt den Zuhörer zurück in eine Zeit, die einem heute sehr fremd vorkommt. Das gilt auch für die damalige Ernährung, die von Schlichtheit und Mangel geprägt war. Die Speisen trugen Namen wie gstöckelte Milch, Semmelschmarrn und Zwulsuppe (Riebelesuppe). "Besonders gern mochte ich eine heiße Milch mit Honig, in die ich eine Semmel einbrockte", erzählt Metz. Der Honig war damals ein goldbrauner Kunsthonig, den es in Würfelform im Kramerladen gab. Er wurde über dem Feuer geschmolzen und in einem Einmachglas aufbewahrt. Aus dieser Zeit stammt auch der Ausspruch: "I bin beinand wia a Packerl Kunsthonig!" Das sagten jene, die kränkelten und sich schwach fühlten. Der Kunsthonig heißt heute Invertzuckercreme. Die aromatisierte Masse sieht nur so ähnlich aus wie ein Bienenhonig. Einst diente sie als Ersatzprodukt für echten Honig. Und sie wird zur Herstellung von Lebkuchen und Backwaren verwendet.

speiben

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

In der BR-Sendung "Ringlstetter" war neulich die Astrophysikerin Suzanna Randall zu Gast. Weil sie demnächst als erste deutsche Frau zur Raumstation ISS fliegen will, bereitet sie sich mit sogenannten Parabelflügen darauf vor. Dabei erlebt sie mehrmals hintereinander jeweils 20 Sekunden lang Schwerelosigkeit. "Das geilste Gefühl der Welt", wie Randall betonte. Ringlstetters Assistentin Caro Matzko erzählte, sie habe auch einmal die Chance auf einen Parabelflug gehabt, aber sie konnte nicht, denn: "Ich würd' so schpeiben!" Die meisten Menschen verwenden für diesen biologischen Vorgang heutzutage das Verb kotzen, die Vornehmeren sagen, sie übergeben sich oder sie erbrechen sich. In einem Bierland wie Bayern ist aber auch das Verb schpeiben (speiben, speien) beliebt. Sehr aufschlussreich war, was der einstige Wiesnwirt Wiggerl Hagn vor Jahren der SZ erzählte: "Wenn einer nach Steckerlfisch, zwei Mass Bier, gebrannten Mandeln und einem Hendl im Löwenbräuzelt noch Fünferlooping fährt und dann schpeibt, heißt es: Das Hendl war schlecht." In der Regel wird ein dermaßen geplagter Mensch gefragt: "Guat schaust aus, host gschpiem?"

Zeiserl

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(Foto: dpa)

Die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock wurde zuletzt verdächtigt, sie schreibe gerne von anderen ab, sei es in einem Buch oder in Twitter-Posts. Sie geriet dadurch in Verdacht, ihre Persönlichkeit sei noch nicht ganz ausgereift. Trotzdem bekleidet sie nun das Amt der deutschen Außenministerin. In den gnadenlosen sozialen Medien erheben sich nun die Spötter, die ätzen, wie das wohl sein werde, wenn Baerbock auf Typen wie Putin, Lawrow und Erdoğan trifft. Werden diese die junge Politikerin ernst nehmen oder sie gar als Zeiserl betrachten? Wird sie sich im Reich der eisenharten Männer Gehör verschaffen können? In Harald Grills Roman "gehen lernen" schildert der Autor das klassische Los eines Zeiserls in einer Schulklasse. "Sowie ich den Mund aufmach im Unterricht, lachen sie. Wenn mich das Fräulein was fragt, trau ich mich nur noch ganz leise zu sprechen. Und das Fräulein tut dann auch noch so blöd: Ach, unser Zeiserl spricht wieder!" Diese Schilderung funktioniert auch auf der Bühne der Weltpolitik. Eigentlich ist ein Zeiserl (Zeisig) ein Singvogel. Im Volkslied heißt es: "Stieglitz, Stieglitz, 's Zeiserl ist krank!" Hauptsache, die Zeiserl dieser Welt landen nicht im Zeiserlwagen. Das ist ein Fahrzeug, mit dem früher Gefangene transportiert wurden.

zwingen

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(Foto: Robert Haas)

Die Autorin Hannah Schweier hat einen Film über ihre Großmutter Berta gedreht, die im Landkreis Cham ein Wirtshaus betrieben hat. Die berührende Doku trägt den Titel "80 000 Schnitzel" und ist in der ZDF-Mediathek zu sehen. 50 Jahre lang hat Berta Zehntausende Schnitzel geklopft, paniert und gebraten. In einer Szene verzehren drei Frauen mit Wonne solche Schnitzel. Eine sagt: "Wosz ned zwingts, nehma mit hoam!" Das heißt: Was ihr nicht schafft, nehmen wir mit. "Zwingstas nimmer?" So fragt man, wenn die Portion zu groß war. Etwas zwingen, bedeutet das: ein Schnitzel bezwingen oder es in den Magen hineinzwingen? Das beurteile jeder selber.

Hamperer

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(Foto: dpa)

Angesichts der Coronakrise wirken viele Spitzenpolitiker auffallend wirr und orientierungslos. Horcht man bei Gesprächen, die das Volk auf der Straße führt, näher hin, so fällt der häufige Gebrauch des Schimpfworts Hamperer auf. Als ein Nest von Hamperern galt bislang vor allem der Senat von Berlin, der sich bis hin zur Organisation von Wahlen durch heftiges Dilettieren auszeichnet. Jetzt aber ist das Hamperertum auch auf den Bundestag übergesprungen. Nicht mehr nur Querdenker und Quertreiber, sondern auch edel gesinnte Demokraten sehen mittlerweile im Hohen Haus jede Menge Hamperer am Werk. Ursprünglich verstand man unter diesem Begriff einen Nichtsnutz, der nur wenig auf die Reihe bekam. Die Redaktion des Bayerischen Wörterbuchs leitet das Wort Hamperer von den Stör-Handwerkern her, die früher durchs Land gezogen sind, um auf den Bauernhöfen ihre Dienste anzubieten. Diese Menschen besaßen nicht viel Vermögen, genossen aber ein großes Vertrauen. Bei den aktuellen Hamperern scheint es sich umgekehrt zu verhalten.

Fleischpfanzerl

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Leser Bodo Bleinagel hat dem SZ-Kostproben-Autor Ivan Lende seinen größten Dank übermittelt. Und zwar für Lendes Anmerkungen zum Fleischpfanzerl, das ja landläufig als Fleischpflanzerl bezeichnet wird, quasi, als rühre es von einer Pflanze her. Bleinagel schreibt, er bemühe sich unter Verweis auf Schmellers Bayerisches Wörterbuch seit vielen Jahren, dem L im Wort Fleischpflanzerl den Garaus zu machen, "leider ganz vergeblich." Bleinagel bedauert, dass es hierzulande kaum einem Menschen einleuchten will, dass es sich beim Fleischpfanzerl nur zu einem geringen Teil um ein Produkt aus Kohlenhydraten handelt, sondern dass, wie Lende richtig geschrieben habe, die kleine Pfanne Namensgeber war. Redaktionell ergänzt werden muss an dieser Stelle noch, dass auch das alte Wort Fanzel bei der Schöpfung des Wortes Fleischpfanzl eine Rolle gespielt haben könnte (Brei, Fleischbrei). Natürlich wäre alles viel einfacher und eindeutiger, wenn die Bayern die Fleischpfanzl - so wie die Österreicher - als faschierte Loaberl (Laibchen) benennen würden.

Spinnerter Uhu

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Gut sechs Wochen nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler hatte die Schauspielerin Therese Giehse am 13. März 1933 eine Bühnenprobe in den Münchner Kammerspielen. Während einer Pause machte sie sich über Hitler lustig, der sie, wie es hieß, als Schauspielerin hoch verehrte, obwohl sie Jüdin war. Wie in Uwe Wittstocks neuem Buch "Februar 1933" nachzulesen ist, nannte sie Hitler öffentlich einen spinnerten Uhu und erzählte dann den Witz von dem Vater, der mit seinem kleinen Sohn beim Essen sitzt. Der Sohn fragt: "Vater, wer hat den Reichstag angesteckt?" Der Vater antwortet: "Ess, ess, mein Junge!" Sofort wurde die Giehse von einem Kollegen denunziert, ein anderer Kollege warnte sie aber. Sie floh dann aus der Stadt zu ihrer Freundin Erika Mann in die Schweiz. Erst 16 Jahre später, 1949, sollte sie wieder auf der Bühne der Kammerspiele stehen, der spinnerte Uhu konnte ihr nichts mehr anhaben. Der Uhu ist ein erhabener Vogel, aber ausgerechnet er wird gerne als Vergleichswesen für einen verrückten Menschen, einen Kauz, einen Sonderling herangezogen. Als Steigerungsformen sind spinnerter Uhu oder gar wamperter Uhu beliebt. Das Adjektiv (g)wampert kommt von der Wampe.

Oachebär

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(Foto: imago images/Martin Wagner)

Auf der Instagram-Seite @mundartwertvoll wurde vor Kurzem das Wort Oachebea präsentiert. Das ist bei dieser Schreibweise auf Anhieb gar nicht so leicht zu identifizieren. Mit der Endung -bär kommt man der Lösung schon näher. Ein Oachebär ist ein Eichelbär, so könnte man einen Keiler, also ein männliches Wildschwein bezeichnen. Dessen Hauptmerkmal ist der scharfe Geruch. Davon ausgehend, nennt man einen stinkenden Menschen Oachebär. "Du stinkst wia a Oachebär!", lautet eine populäre Anklage. Eine Instagram-Userin merkte an, es handle sich hier um einen Schmutzfink, "mit liebevoller Betonung". Das ist freilich zu bezweifeln. An einem Oachebär klebt gar nichts Liebesvolles. Er ist einfach ein Saubär. Liebevoll ist höchstens das Oachkatzl, wie das Eichkätzchen (Eichhörnchen) genannt wird.

Barras

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(Foto: dpa)

Vor Kurzem war in einem Leitartikel der SZ zu lesen, in Deutschland sei die Welt des Militärs von den Lebenswelten vieler Milieus so weit entfernt wie nie zuvor. Es habe noch nie einen so unmilitärischen deutschen Staat wie die Bundesrepublik gegeben. In diesem Sog verschwindet damit auch ein Wort, das bis zur Abschaffung der Wehrpflicht (2011) noch fester Bestandteil der Alltagssprache war. Kaum ein junger Mann, der damals nicht gefragt wurde: "Warst schon beim Barras?" Und wenn ein Heranwachsender unordentlich war, dann hieß es: "Beim Barras werden sie dir schon Ordnung beibringen." Die Herkunft des Wortes Barras ist nicht ganz geklärt. Seit gut 150 Jahren bezeichnet es die Armee und das Militär, vor allem galt es als Synonym für die Wehrmacht. Aber auch zu Bundeswehrzeiten sprach man noch vom Barras. Zur Wehrpflicht einberufen zu werden, das hieß: Ich muss zum Barras. Eine Theorie besagt, das Wort leite sich von dem schillernden französischen Staatsmann Paul de Barras (1755-1829) ab. Zu dessen Zeit wurden die Soldaten noch mit Prämien angeworben. Man verdingte sich also beim Barras. Eine andere Erklärung ist eine Ableitung aus dem Jiddischen: Dort bezeichnet "baras" eine Art Fladenbrot, welches als Verpflegung der Soldaten diente.

Erpfl

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(Foto: dpa)

Erpfl, ein Synonym für Kartoffel, ist zum oberfränkischen Wort des Jahres 2021 gekürt worden. Wegen der Abschwächung der unbetonten Nebensilben wurde aus dem Dreisilber Erd-ap-fel der Einsilber Erpfl. In Südbayern ist der Erdapfel noch geläufig. In Unterfranken heißt die Kartoffel Grumbrö (Grundbirne), in Schwaben sagt man Grundbir (Grumbbra), Erdbir und Bodenbir. Grundbirnen gibt es auch im Rupertiwinkel, nördlich von Nürnberg nennt man sie Potacken, nördlich von Ingolstadt sogar Bumser.

Bachratz

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Vor einigen Tagen hat im Buchheim-Museum am Starnberger See ein Empfang zu Edmund Stoibers 80. Geburtstag stattgefunden. Wie die SZ schrieb, verbindet den ehemaligen Ministerpräsidenten mit dem Museum eine besondere Geschichte. Denn Stoiber habe sich persönlich dafür eingesetzt, dass die Schätze des streitbaren Kunstsammlers Lothar-Günther Buchheim in Bayern bleiben. Dass das nicht einfach war, kann man sich denken. Buchheim war ein aufbrausendes Unikum und stark im Austeilen. Bei der Suche nach einem Standort für sein Museum bezeichnete er seine Widersacher einmal als Gullyratten, die noch kein Museum von innen gesehen haben. Dieses Urteil bedarf lediglich der Ergänzung, dass den bairischen Wortschatz weniger das Wort Gullyratten prägt als vielmehr das Pendant Bachratzen (Bochratzen). So heißen Ratten, die am Wasser leben und nicht gerade als liebreizende Wesen gelten. Es gibt, wie mancher Schimpfkanonade zu entnehmen ist, auch Bachratzen in Menschengestalt. "Du kimmst daher wia a Bochratz!", diese Anklage gilt zum Beispiel einem zerzausten Menschen, der die Nacht durchgefeiert hat und nicht mehr den allerfrischesten Eindruck macht. Im Ort Altenmarkt an der Alz gibt es einen Faschingsverein namens Oidnmarkta Bochratz'n. Den Apostroph bräuchte es gar nicht, er wertet das Ansehen der Bochratzn auch nicht mehr auf.

Schipf

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(Foto: Johannes Simon)

"Weil ich mir gestern in den Finger an Schipf eizong hab, hab ich über Nacht a Pflaster mit Zugsalbe braucht." Dieses Missgeschick teilte uns Stefan Kattari senior mit, natürlich in der Absicht, auf das Wort Schipf aufmerksam zu machen. Er vermutet, das sei ein älterer Begriff für den Schiefer, ein Gestein, das leicht splittert. Aus Schiefer waren früher die Schreibtafeln in der Schule. Vermutlich wegen der Brüchigkeit nennt man einen Holzsplitter ebenfalls Schiefer. Es kommt häufig vor, dass plötzlich ein Holzsplitter im Finger steckt. Dann klagt man: "Jetzt hab ich mir an Schiefer eizong." Im übertragenen Sinne kann das auch heißen: Jemand ist mir böse, weil ich was Falsches gesagt habe. Der Dialekt kennt überdies die Variante Schiafing. Berühmt wurde das Wort durch das Lied vom Einsiedl von Bogen, das auch von Haindling vertont wurde: "Da Oasiedl vo Bong/hod Hoizscheidl glom/und hod se an Schiafing/in Orsch einezong."

Massl

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(Foto: dpa)

Marcel Huber (CSU), ehemaliger Leiter der Staatskanzlei und bekennender Dialektsprecher, hat am Freitag die Bairische Sprachwurzel erhalten. Huber hatte als Minister auch deshalb Popularität genossen, weil der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer immer vom "Massl Huber" sprach. Sepp Obermeier, der die Sprachwurzel überreichte, interpretierte das als ungewolltes Eingeständnis Seehofers, dass er mit dem ehemaligen Ampfinger Feuerwehrkommandanten als Krisenmanager ein unverdientes Glück hatte. Im Bairischen bedeutet das Wort Massl nämlich Glück (jiddisch Massel). Es drückt die Flüchtigkeit des Glücks etwas vornehmer aus als das derbere Wort Dusel. Für das Ansehen und die gesellschaftliche Akzeptanz der bairischen Sprache sei der Huber Marcel in jeder Hinsicht ein Massl, würdigte Obermeier den Preisträger im Namen des Bundes Bairische Sprache.

Bierdimpfl

21 / 25
(Foto: Alessandra Schellnegger)

Nach zwei Jahren Pause sind manche schon entwöhnt von der Wiesngaudi. Aber jetzt sind Volksfeste wieder erlaubt. Das hat das bayerische Kabinett beschlossen. Welch eine fantastische Nachricht für die Gattung der Bierdimpfl, die auch in dieser Zeitung immer wieder in ihrem Dasein und in ihrer Fähigkeit zur Kontemplation gewürdigt werden. Kürzlich war in der SZ zu lesen, der Begriff Bierdimpfl komme daher, dass der Biertrinker felsenfest auf seiner Bierbank verharrt und still vor sich hin dimpfelt. Anderer Meinung ist diesbezüglich Marcus Maximilian Muhr, der uns darauf hingewiesen hat, der Bierdimpfl komme keineswegs von jenen, die vor sich hindimpfeln. Vielmehr sei timpfė ein altes Wort für eine tiefe Stelle im Wasser oder für einen Strudel. Es gehe zurück auf das mittelhochdeutsche Wort tümpfel, das wortgleich mit dem Tümpel ist, nur eben mit der für den hiesigen Sprachraum typischen Verschiebung des p zum pf. Der Bierdimpfl (piartimpfė) ist laut Muhr also einer, der das Bier aufnimmt wie ein Wasserstrudel. Vergleichbar einem Gulli - weshalb Leute, die viel Bier in sich hineinschütten, gelegentlich auch so bezeichnet werden: "Der säuft wie ein Gulli."

Irxnschmier

22 / 25
(Foto: dpa)

Vor 14 Tagen ist die Münchner Autorin Cilly Kaletsch gestorben. Sie veröffentlichte Bücher, organisierte Lesungen und trat in Sendungen des Bayerischen Rundfunks auf. Im Jahr 2018 erhielt sie den Poetenteller des Bayerischen Ministerpräsidenten. Kultusminister Bernd Sibler (CSU) würdigte damals den Facettenreichtum ihrer Mundart-Lyrik. "Mit einem Augenzwinkern, klug und pointiert greifen Sie Geschichten und Erlebnisse auf, wie sie das Leben mit sich bringt", sagte Sibler. Auch zu dieser Wortschatz-Kolumne hat sie manche Anregung beigesteuert. Vor Jahren machte sie in einer Mail auf das Wort Irxn aufmerksam, das sie in einem Drogeriemarkt in Bad Birnbach aufgeschnappt hatte. Dort hörte sie mit, wie eine Kundin, die nach etwas suchte, die Verkäuferin fragte: "Wo gibt's denn do a Irxnschmier?" Wobei sie gestisch den Gebrauch eines Deorollers andeutete. Irxn ist ein alter Begriff für die Achsel. Ein Spruch besagt: "Einem Faulen fehlt es unter der Irxn." Über einen kräftigen Menschen sagte man, er besitze Irxnschmalz. Die Irxnschmier wiederum ist jener Stoff, den man unter die Achsel schmiert, um Schweißgeruch zu unterbinden, also ein Deodorant. "Schee, dass es so was no gibt!", schrieb Cilly Kaletsch am Ende ihrer Mail über ihr Erlebnis in der Drogerie, und gewiss hat sie dabei gelächelt.

Deichselschewerer

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(Foto: Catherina Hess)

Als der aus Niederbayern stammende Feuerwehrmann Xaver Altschäfl neulich den SZ-Reporter am Telefon über diverse feuerwehrtechnische Entwicklungen aufklärte, brachte er nebenbei das wunderbare Wort Deichselschewerer ins Spiel. Auf die Nachfrage, was denn ein Deichselschewerer sei, antwortete er, so sage man bei ihm daheim zu einem Kleinbauern. Also zu einem, der ein Zeugl besitzt, ein kleines Sachl, in dem noch Zugtiere stehen. In Zehetners Wörterbuch ist folgender Spruch zitiert: "Luada, reiß d'Eichsel o, is de letzt no ned zahlt." So bildhaft wurde, als die Deichsel noch Eichsel hieß, geschimpft, wenn etwas nicht funktionierte auf dem Hof. Störrische Zugtiere zerbrachen allzu oft die Deichsel, mit deren Hilfe sie gelenkt wurden.

Gscheitschmatzer

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(Foto: Marius Maasewerd)

Als sich die Not in Afghanistan dramatisch zuspitzte, schnellte in Deutschland die Zahl derer, die ganz genau wussten, was in Kabul alles schiefgelaufen war und was nun zu tun sei, sprunghaft in die Höhe. Auf Twitter erreichte die Besserwisseritis einen Rekordpegel. Das wurde sogar dem Vize-Präsidenten des Bayerischen Landtags, Markus Rinderspacher (SPD), zu bunt. Er merkte ironisch an, Twitter habe jede Menge kompetente Evakuierungsexperten in Afghanistan, die live aus Starnberg und Düsseldorf aus nächster Nähe über Kabul berichten. Die Bundeswehr danke den tausenden selbsternannten Einsatzleitern auf dem weichen Sofa für ihre Lageeinschätzung. Rinderspacher hätte statt "Experten" ebenso das Wort Gscheitschmatzer verwenden können. Diese Spezies vermehrt sich in Krisenzeiten ähnlich rasant wie die Schnecken im Salatbeet. Der Gscheitschmatzer ist eng verwandt mit dem Gscheithaferl, das quasi vor Gescheitheit überläuft und gerne die Nerven der Zuhörer strapaziert. Wie der Gscheitschmatzer nimmt sich auch der Gschaftlhuber furchtbar wichtig. Freilich lehrt das Leben, dass es bei Gscheitschmatzern und Gschaftlhubern mit der Gescheitheit oft gar nicht so weit her ist.

Letten

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(Foto: dpa)

Die Regenfälle der vergangenen Wochen und die damit einhergehenden Überschwemmungen haben das Wort Letten an die Oberfläche gespült, das sowohl maskulin als auch feminin verwendet wird, in Zeiten der Trockenheit aber so gut wie nie zu hören ist. Eine Letten ist jener Dreck, der nach einer Überschwemmung den Boden bedeckt. Ein ähnliches Wort wäre Baaz. Früher badeten die Dorfkinder gerne im Weiher oder im Fluss. Was gab es Schöneres, als sich bei dieser Gelegenheit den Bauch mit Letten vollzuschmieren oder barfuß in der Letten zu stehen, so dass es zwischen den Zehen nur so schlutzte und blubberte. Ein Genuss war es, mit den Fingern in die Letten zu fahren, worauf der Baaz wurstartig aus der geschlossenen Handfläche quoll. Diese Urerfahrung machte der Autor sogar am Kommuniontag, als die Dorfjugend nach der Andacht im Regen stand, übermütig wurde und im Feiertagsgewand in der Letten landete. Heute ist es schier unvorstellbar, welcher Dreck in Zeiten ohne Asphalt und Pflaster die öffentlichen Plätze bedeckte. Wenn im Frühjahr der Föhn hereinbrach, wich der Frost der Letten. Wer nicht aufpasste, dem blieb darin sogar der Schuh stecken.

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