Der Abend in der CSU-Parteizentrale:Und so erfüllte sich Söders Wunsch

Lesezeit: 5 min

Am liebsten wäre es dem bayerischen Ministerpräsidenten ja, Seehofer würde sein Amt freiwillig abgeben. Genau das ist an diesem historischen Sonntag passiert. Rekonstruktion eines zähen Abends.

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl

Dieser historische Sonntag, der für die CSU mit einer Zäsur und für Horst Seehofer mit seinem angekündigten Rücktritt endet, beginnt zunächst mit einem scharfen Dementi. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) lässt mehrere Christsoziale sagen, was viele in der Partei denken: Parteivorsitz und Ministerpräsidentenamt gehörten wieder in eine Hand.

Hans Michelbach, der Vorsitzende der Mittelstands-Union, ist unter ihnen. Auch Michael Frieser, Chef des CSU-Bezirks Nürnberg und in dieser Funktion unmittelbarer Nachfolger von Markus Söder, verlangt, man müsse jetzt schnell die Weichen in der wichtigsten Personalfrage stellen. Im Klartext heißt das: Horst Seehofer soll als CSU-Chef abtreten und auch in der Partei den Weg für Ministerpräsident Markus Söder freimachen. So wird es am Abend auch kommen. Doch dazwischen vergehen einige zähe Stunden.

Rückzug als CSU-Chef und Innenminister
:Seehofer gibt auf

Der CSU-Chef beugt sich dem parteiinternen Druck und soll im Januar seinen Posten räumen. Auch als Innenminister will der 69-Jährige offenbar zurücktreten, legt sich aber auf keinen Termin fest. Die deutlichsten Worte findet Hans-Peter Friedrich.

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl

Stoibers Widerspruch kommt sofort und ungewöhnlich harsch

Als prominentesten Vertreter der Söder'schen Werbe-Aktion führt die FAS den CSU-Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber ins Feld. Stoiber rate Seehofer, dem Beispiel Angela Merkels zu folgen und den Parteivorsitz abzugeben, schreibt das Blatt. Stoibers Widerspruch kommt sofort und ungewöhnlich harsch. "In der heutigen FAS wird behauptet, ich hätte Horst Seehofer geraten, dem Beispiel von Angela Merkel zu folgen und den Parteivorsitz abzugeben. Das ist falsch", lässt Stoiber schon am Vormittag ausrichten. Richtig sei, dass er eine Ämterbündelung grundsätzlich für sinnvoll halte.

Nun, das relativiert den Nachrichtenwert erheblich. Dass Stoiber lieber beide Ämter in einer Person vereint sieht, gehört zu den Wahrheiten der CSU wie das Rautenmuster zu Bayern. Horst Seehofer werde selbst entscheiden, "welche konkreten inhaltlichen und personellen Konsequenzen aus dem Ergebnis der letzten Wahlen er für notwendig hält. Das hat er ja auch öffentlich mehrfach angekündigt", teilt Stoiber noch mit.

In der sogenannten großen Lage sitzen sie am Abend zusammen

Was Horst Seehofer für notwendig hält, darüber ist man sich in der CSU lange Zeit nicht so sicher. Wird er am Abend wirklich seinen Rückzug vom Parteivorsitz andeuten? Und wenn ja: für wann? Am späten Nachmittag trifft sich die Elite der Partei zur Besprechung in der Landesleitung, der Termin ist seit Tagen vereinbart. Im ersten Stock, in der sogenannten großen Lage, sitzen sie zusammen: Seehofer und seine fünf Stellvertreter, Ministerpräsident Söder, die Fraktionschefs, der Generalsekretär, seine Stellvertreterin und die mächtigen Bezirksvorsitzenden. Offizielle Tagesordnung: Aufstellung der Liste für die Europawahl und Analyse des Landtagswahlergebnisses.

Die Erwartungen der Partei formuliert einer von Seehofers schärfsten Kritikern, der schwäbische Bezirkschef Markus Ferber. Er sagt schon vor der Sitzung all das, was Stoiber dementiert hat, und darüber hinaus noch einiges mehr. Auf die Frage nach persönlichen Konsequenzen Seehofers antwortet Ferber in der ZDF-Sendung "Berlin direkt": "Ich denke, dass die Bundeskanzlerin ein gutes Vorbild war." Und er gehe davon aus, dass mit der Entscheidung von Angela Merkel, nicht mehr als CDU-Vorsitzende anzutreten, "eine gewisse Dynamik in den Prozess gekommen ist".

Nicht mehr antreten und bis dahin CSU-Chef bleiben - darauf würde sich Seehofer wohl sofort einlassen. Anders als in der CDU endet seine Amtszeit erst im kommenden Herbst, nicht in diesem Dezember. Ferber und weitere Kritiker Seehofers denken allerdings an einen anderen zeitlichen Korridor. Wenn sie sagen, Seehofer soll es machen wie Merkel, dann meinen sie: Der Chef solle am besten vor Weihnachten seinen Hut nehmen.

Ferber lässt keinen Zweifel daran, dass es pressiert. Er sagt: "Ein blaues Auge bei der einen Wahl, zwei blaue Augen bei der nächsten Wahl, und gar nichts mehr sehen bei der dritten Wahl - das ist keine Perspektive für die CSU." 2019 stehen die Europawahlen an, 2020 die Kommunalwahlen, 2021 die Bundestagswahl, die Partei habe keine Zeit zu verlieren. Seehofer greift er persönlich für seinen Stil an. Es gebe im Parteivorstand niemanden, "ich kenne jedenfalls keinen, der nicht schon in der einen oder anderen Weise vom Parteivorsitzenden ungebührlich behandelt wurde". Der Parteivorstand sei nicht mehr das Gremium, in dem Politik entschieden werde, sondern nur noch das Gremium, in dem Politik verkündet werde. Für Ferber ist klar, wer nun ran muss: Söder. Beide Spitzenämter gehörten in eine Hand.

Was aber will Söder? Er hat bisher nur im kleinen Kreis zu verstehen gegeben, dass er für den Parteivorsitz jetzt doch zur Verfügung stehe. Vor der Landtagswahl und vor Merkels Verzicht war das noch anders. Da wollte Söder Ministerpräsident sein, sonst nichts. Aber den Königsmörder möchte Söder auch nicht geben. Am liebsten wäre es ihm, Seehofer würde das Amt freiwillig abgeben. Söders Wunsch wird sich erfüllen.

Europawahl 2019
:Ohne Zuspitzung geht es nicht

Die Christdemokraten setzen auf Spitzenkandidat Manfred Weber für die Europawahl. Der CSU-Mann hat in Frans Timmermans einen starken Gegner - sie müssen darüber streiten, wie die EU mit ihren Feinden umgehen will.

Kommentar von Matthias Kolb

So geben sich Seehofer und Söder vor der Sitzung

Beim Einlaufen in die Parteizentrale geben sich die beiden sehr entspannt. Seehofer spricht lieber über Fußball als über Politik, über das Unentschieden seines Heimatvereins FC Ingolstadt und die Niederlage des FC Bayern. Söder sagt auf die Frage, was er erwarte, lediglich: "Eine gute Sitzung." Am deutlichsten wird noch der Augsburger CSU-Chef Johannes Hintersberger, der sagt, man rede heute über Europa und die Konsequenzen aus dem Ergebnis der Landtagswahl.

Bis die Runde zum eigentlichen Thema kommt, vergehen allerdings weit mehr als zwei Stunden. So lange dauert es, ehe die Reihung für die Europawahl steht. Die ersten vier Plätze sind unstrittig: Als Spitzenkandidat wird Manfred Weber die CSU anführen, er war bereits am Donnerstag als Nummer eins der Christdemokraten in ganz Europa nominiert worden. Auch Weber wünschen sich viele in der Partei als CSU-Chef, doch Brüssel hat für ihn Vorrang. Er stünde wohl nur bereit, sollte Söder sich entziehen. Hinter Weber reihen sich Parteivize Angelika Niebler, Markus Ferber sowie Monika Hohlmeier ein, die Tochter von Franz Josef Strauß. Heftig umkämpft ist Platz fünf, der letzte mit guten Aussichten auf Erfolg. Hier setzt sich der Oberpfälzer JU-Chef Christian Doleschal gegen den mittelfränkischen JU-Mann Konrad Körner und den früheren Europa-Abgeordneten Bernd Posselt aus München durch.

Seehofer muss sich unschöne Worte anhören

Dann, nach langen zweieinhalb Stunden, geht es endlich darum, worauf alle gewartet haben. Seehofer erklärt, er sei bereit, sein Amt des Parteivorsitzenden aufzugeben. Ein Datum nennt er jedoch nicht. 2019 solle "das Jahr der Erneuerung werden", sagt Seehofer nach Teilnehmerangaben. Den meisten in der Runde ist das zu spät. Sie fordern einen Sonderparteitag noch in diesem Jahr, darauf allerdings will Seehofer sich nicht einlassen. Am Ende einigt man sich auf den kommenden Januar. Im Februar beginnen in der CSU die Delegiertenwahlen, für die Mitglieder soll Klarheit herrschen. Auch ein vorzeitiger Abschied als Bundesinnenminister zeichnet sich ab. Er werde nicht auf Dauer im Amt bleiben, er halte nicht zwingend an dem Posten fest, wird Seehofer zitiert. Ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Rückzug im Januar bestehe jedoch nicht.

Seehofer muss sich in der Aussprache unschöne Worte anhören. Besonders scharf attackiert ihn der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich, der Bezirkschef aus Oberfranken. Und sogar CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Seehofers engster Vertrauter, nimmt das Wort "Erneuerung" in den Mund. Er lobt aber auch Seehofers Verdienste, wie auch Hintersberger und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Die Haltung aber ist klar: Alle machen ihm bewusst, dass ein Neuanfang in der CSU nur ohne ihn möglich sei. Nur Söder und Manfred Weber, die aussichtsreichsten Bewerber für den CSU-Vorsitz, schweigen als Einzige in der Sitzung.

Ein erneuter Machtkampf ist nicht zu erwarten. Sollte Söder sich um das Spitzenamt in der Partei bewerben, wonach es aussieht, wird Weber sich zurückhalten. Er will im kommenden Jahr EU-Kommissionspräsident werden, nichts soll diesen Karrieresprung gefährden. Seehofer hat angekündigt, er wolle sich diese Woche noch zu seiner Zukunft äußern. Bis dahin dürfte auch Söder aus Respekt vor dem noch amtierenden Vorsitzenden stillhalten. An diesem Montag will er in München sein Kabinett vorstellen, danach werden die Weichen in der Partei gestellt.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusCSU
:Der Himmel über Horst Seehofer

Vor gut einem Jahr war Horst Seehofer noch der Alleinherrscher der CSU. Wie kann Macht so schnell verfallen? Besuch bei einem Mann, um den es einsam geworden ist.

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: