Ist dieses Klimakonzept jetzt mutig oder mutlos? Wurden die Erwartungen übertroffen oder unterboten? Wahrscheinlich von allem etwas. Es hängt davon ab, auf welche CSU man blickt. Wenn es die CSU vor einem Jahr ist, die den Alpenschutzplan aufweichen und Gewerbegebiete auf der Wiese erlauben wollte, ist das Papier, das der Parteivorstand an diesem Samstag einstimmig beschlossen hat, eine Art Revolution. Wenn man hingegen von der CSU spricht, deren Chef Markus Söder mit der Begeisterung eines Ökobauern seit einiger Zeit Bäume umarmt und Berge erklimmt, fällt das Urteil weniger euphorisch aus. Vieles von dem, was auf den 16 Seiten zusammengefasst ist, hat die CSU scheibchenweise bereits präsentiert. Trotzdem würde niemand bestreiten, dass für die Partei beim Klimaschutz ein neues Zeitalter beginnt.
Es ist früher Nachmittag, als Söder am Freitag zur zweitägigen Klausur eintrifft. Die Parteispitze tagt auf dem Gelände des Luft- und Raumfahrtzentrums in Oberpfaffenhofen - passend zum Thema "Industrie und Innovation". Für Söder ist das Strategiepapier an sich schon ein Wert: "Die CSU legt heute als erste Partei ein umfassendes Konzept vor, das in der Lage ist, zu versöhnen und nicht zu spalten." Wenn die Parteien künftig verhindern wollen, dass der Klimaschutz "ständig Gegenstand aller möglichen Wahlen" werde, brauche es einen breiten Konsens. Söder meint wohl einen Konsens, wie er ihn in der Volkspartei CSU herstellen will.
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Der Vizekanzler plant, große Geländewagen höher zu besteuern und strengere Standards für Heizungen zu erlassen. Die Menschen müssten sich auf "spürbare Auswirkungen" beim Klimaschutz einstellen.
Nicht alle schreien Hurra in der Partei über den grünen Anstrich, den der Chef mit breitem Pinsel verteilt. Zu den Skeptikern gehört der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer, ein Mann der Wirtschaft. Er berichtet von zwei Parteiaustritten in seinem Wahlkreis in der vorigen Woche: Die beiden Mitglieder hätten sich einfach nicht mehr wiedergefunden bei Söders rasantem Kurs, anderen gehe es ähnlich. "Wir dürfen nicht den Gaul des Zeitgeists zu Tode reiten", warnt Ramsauer. Als positiv empfindet er, dass die Parteispitze die ökologischen Vorschläge eng mit wirtschaftlichen Maßnahmen verzahne. "Wir müssen Maß und Mitte wahren."
Auch auf den 16 Seiten ist von "Maß und Mitte" die Rede. Wahrscheinlich meinen alle sogar dasselbe, nur kommen sie von grundverschiedenen Seiten. "Klima schützen, Konjunktur stützen", nennt sich das Konzept. "Wir können und dürfen es schlicht nicht auf das Großexperiment Klimawandel mit seinen mutmaßlich irreversiblen Folgen ankommen lassen", heißt es gleich zu Beginn. "Deshalb rufen wir auch allen Zweiflern zu: Wir müssen entschieden handeln!" Bayern und Deutschland sollen "zur globalen Leitregion für intelligenten Fortschritt und smarten Klimaschutz" werden. Das Papier soll die Grundlage für die Beschlüsse der Bundesregierung bilden. Am 20. September will sich die Koalition aus CDU, CSU und SPD auf ein umfassendes Klimaschutzgesetz einigen. Differenzen gibt es vor allem im Kampf gegen Kohlendioxid. Die CSU setzt auf eine CO₂-Begrenzung. Eine CO₂-Steuer, wie die SPD sie fordert, lehnt sie ab. Über einen nationalen Emissionshandel will die CSU "eine CO₂-Reduktion auf marktwirtschaftlichem Weg" erreichen.
Grundsätzlich gilt für die CSU: keine Verbote, sondern Anreize schaffen. So will sie den Kauf energiesparender Haushaltsgeräte steuerlich mit 20 Prozent fördern. Einen "Klimabonus" von bis zu 10 000 Euro jährlich will die CSU gewähren. Dazu zählen neben dem Kauf von Haushaltsgeräten auch energetische Gebäudesanierungen an selbst genutztem Wohneigentum oder der Austausch alter Heizungsanlagen bis 2030. "Das fossile Zeitalter geht zu Ende", sagt Söder. Auch die energetische Modernisierung von Betriebsgebäuden soll steuerlich gefördert werden.
"Die Idee, den Kauf von energiesparenden Haushaltsgeräten steuerlich zu begünstigen, nützt einkommensschwachen Menschen überhaupt nichts", kritisiert der SPD-Umweltpolitiker Florian von Brunn. Sinnvoller sei eine Umtauschprämie, davon profitiere jeder. Insgesamt sei das CSU-Konzept "heuchlerisch", ätzt Brunn. Denn nur mit dem Ausbau der Windenergie sei eine Energiewende möglich. An der umstrittenen 10-H-Abstandsregelung bei Windrädern hält die CSU in ihrem Strategiepapier allerdings fest.
Im Freistaat will die CSU neue Forschungszentren schaffen: für synthetische Kraftstoffe (Straubing), Wasserstoff (Nürnberg) sowie Batteriezellen (Schwaben, gemeinsam mit Baden-Württemberg). Das Schneefernerhaus auf der Zugspitze soll ein nationales Grundlagenzentrum für Klimaforschung werden, in Augsburg soll ein Zentrum für Klimafolgenforschung gegründet werden. Der ÖPNV und der Radverkehr sollen ausgebaut werden. Das 365-Euro-Ticket für Schüler und Auszubildende soll es auch bundesweit geben, darin ist man sich mit der SPD einig.
Die Mehrwertsteuer auf Bahntickets will die CSU von 19 auf sieben Prozent senken - eine Entlastung von 500 Millionen Euro im Jahr. Die Mehrwertsteuer werde "eins zu eins" an Kunden weitergegeben, verspricht Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. An anderen Stellen bleibt die CSU vage. Von einer Flugsteuer auf Billigflüge, wie sie Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vorgeschlagen und die Parteispitze umgehend einkassiert hatte, ist in dem Konzept nichts zu lesen. Stattdessen heißt es: Man wolle "mit einer nachhaltigen Preisgestaltung im Flugverkehr dafür sorgen, dass Bahn- und Busfahrten zu einer echten kostengünstigen Alternative zu Inlandsflügen werden".
Nichts zu lesen ist auch von den Kosten. Nach Schätzungen von CSU-Leuten gehen sie wohl in die Milliarden. Ob die Bürger wirklich nur entlastet werden, ist nach Ansicht von Fachleuten zu bezweifeln. Zertifikate, wie die CSU sie wünscht, dürften zu Preiserhöhungen bei Kraftstoffen, Öl, Gas und Strom führen. So mancher in der CSU spricht von einem "Wohlfühlpapier", unangenehme Wahrheiten würden nicht ausgesprochen. Doch selbst interne Kritiker erkennen an, dass die CSU für ihre Verhältnisse einen großen Schritt mache.
Einer der geistigen Väter des Papiers ist Generalsekretär Markus Blume. Er wird am Freitag gefragt, welche drei Punkte er im Bund als "CSU pur" umsetzen würde. Blume nennt eine große Steuerreform, eine Digitalisierungsoffensive und "natürlich ein Klimakonzept, genau wie unseres". Natürlich? Klima? CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte dieselbe Frage tags zuvor mit digitaler Bildung, Entbürokratisierung und einem wehrhaften Rechtsstaat beantwortet. Zum Topthema Klima sagte sie nichts - auch zur Überraschung der Schwesterpartei. Aber das ist wieder ein anderes Thema.